Frostertunnel-Fall

A. Sachverhalt

Die Firma H.-P. Kunststoff- und Kautschukverwertungs GmbH & Co KG (im Weiteren Firma H.-P.) errichtete bis in das Jahr 1977 hinein einen Fabrikneubau in B. Mit den Isolierungsarbeiten für einen Frostertunnel (Auskleiden mit Isolierplatten und Verschäumen der verbleibenden Zwischenräume mit Polyurethan-Hartschaum) beauftragte sie die Beklagte. Diese wiederum beauftragte die Klägerin als ihre Subunternehmerin mit dem Verschäumen.

Die Arbeiten beider Parteien wurden abschnittsweise und gleichzeitig durchgeführt.

Am 7. April 1977 waren während dieser Arbeiten und in der Nähe des Frostertunnels Leute der Firma S. mit Schweißarbeiten beschäftigt. Gegen 13.30 Uhr entstand, kurz nach einer Unterbrechung der Schweißarbeiten, in der Fabrikhalle ein größerer Brand. Dadurch wurden die bis dahin erbrachten Arbeiten beider Parteien weitgehend zerstört. Die Fabrikanlage ist später nach geänderten Plänen fertiggestellt worden. Beide Parteien haben deshalb nach dem Brand nicht mehr an dem Frostertunnel gearbeitet.

Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin von der Beklagten die Bezahlung ihrer bis zum Brand erbrachten und mit Schlussrechnung vom 27. Dezember 1977 berechneten Werkleistungen, zuletzt in Höhe von 24.215,11 DM nebst Zinsen.

B. Worum geht es?

Die H.-P. GmbH & Co KG ist (als Bauherrin des Fabrikneubaus) mit der Beklagten, die die Isolierungsarbeiten für einen Frostertunnel ausführen sollte, durch einen Werkvertrag (§ 631 BGB) verbunden. Die Beklagte (als Hauptunternehmerin) hat ihrerseits mit der Klägerin einen Subunternehmvertrag über das Verschäumen geschlossen, der ebenfalls als Werkvertrag einzuordnen ist. Vertragliche Beziehungen zwischen der H.-P. GmbH & Co KG (Bestellerin) und der Klägerin (Subunternehmerin) bestehen nicht. Daher kann sich die Klägerin wegen der geltend gemachten werkvertraglichen Vergütungsansprüche nur an die Beklagte als ihre Vertragspartnerin wenden, nicht aber an die H.-P. GmbH & Co KG.

Weil der Vergütungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte aus § 631 I BGB erst fällig wird, wenn das Werk (das Verschäumen) abgenommen wurde (§ 641 I BGB), die Arbeiten der Klägerin aber vor Abnahme zerstört wurden, kommt ein Anspruch aus § 631 I BGB insoweit nicht in Betracht. Vielmehr trägt die Klägerin nach § 644 BGB grundsätzlich bis zur Abnahme des Werkes die Leistungs- und Vergütungsgefahr, weswegen sie verpflichtet ist, das Werk erneut herzustellen, ohne für die „nutzlos“ erbrachten Leistungen eine Vergütung zu erhalten. Helfen könnte der Beklagten § 645 I BGB, der in Abweichung von der Grundregel in § 644 BGB dem Werkunternehmer einen Anspruch auf „einen der geleisteten Arbeit entsprechenden Teil der Vergütung und Ersatz der in der Vergütung nicht inbegriffenen Auslagen“ gewährt, wenn „das Werk vor der Abnahme infolge eines Mangels des von dem Besteller gelieferten Stoffes oder infolge einer von dem Besteller für die Ausführung erteilten Anweisung untergegangen, verschlechtert oder unausführbar geworden [ist], ohne dass ein Umstand mitgewirkt hat, den der Unternehmer zu vertreten hat“. Das Berufungsgericht hatte argumentiert, dass die Beklagte den von ihr schon mit Isolierplatten ausgekleideten Frostertunnel der Klägerin als “Stoff” im Sinne des § 645 I BGB zum Ausschäumen zur Verfügung gestellt habe. Einer unmittelbaren Anwendung des § 645 I BGB tritt der BGH jedoch entgegen:

„Es kann dahinstehen, ob der bis zum Brand von der Beklagten mit Isolierplatten ausgekleidete Teil des Frostertunnels, den die Klägerin dann ausgeschäumt hat, als von der Beklagten an die Klägerin “gelieferter Stoff” im Sinne des § 645 Abs. 1 BGB angesehen Verden kann (vgl. BGHZ 60, 14, 20) [BGH 30.11.1972 - VII ZR 239/71]. Das Werk der Klägerin, nämlich die durch das Ausschäumen erbrachte Leistung, ist jedenfalls nicht infolge eines Mangels des schon mit Isolierplatten ausgekleideten Tunnels (des “Stoffes”) untergegangen. Unstreitig beruht der Untergang allein auf dem Brand. Dafür ist keine Partei verantwortlich, sondern wahrscheinlich die Firma S. Eine unmittelbare Anwendung dieser Vorschrift scheidet damit aus.“

 

Damit bleibt nur noch eine entsprechende Anwendung des § 645 I BGB. Im Scheunen-Fall, den wir in der letzten Woche vorgestellt haben, hat der BGH eine analoge Anwendbarkeit des § 645 BGB bejaht, weil es dort eine Handlung des beklagten Bestellers gewesen sei (das Verbringen von Heu in die Scheune), die das Abbrennen der Scheune (das Werk) verursacht habe. Damit sei der Scheunen-Fall den in § 645 I 1 BGB genannten Tatbeständen ähnlich, was eine analoge Anwendung rechtfertige.

Der BGH hatte im Frostertunnel-Fall nun die folgende Frage zu beantworten:

Kommt eine analoge Anwendung des § 645 I BGB auch dann in Betracht, wenn das Werk vor Abnahme infolge eines von einem weiteren Werkunternehmer verursachten Brandes zerstört wird?

 

C. Wie hat der BGH entschieden?

Der BGH verneint im Frostertunnel-Fall (Urt. v. 6.11.1980 – VII ZR 47/80 (BGHZ 78, 352 ff.)) eine analoge Anwendung von § 645 I 1 BGB.

Zunächst stellt der BGH dar, dass § 645 BGB „auf Billigkeit“ beruhe und einem „billigen Interessenausgleich“ zwischen den Parteien des Werkvertrages diene:

„Diese Vorschrift beruht auf Billigkeit. Ihre entsprechende Anwendung ist deshalb in Fällen geboten, in denen die Leistung des Unternehmers aus Umständen untergeht oder unmöglich wird, die in der Person des Bestellers liegen (BGHZ 60, 14 ff) oder auf Handlungen des Bestellers zurückgehen (BGHZ 40, 71 ff), auch wenn es insoweit an einem Verschulden des Bestellers fehlt. In derartigen Fällen steht der Besteller der sich aus diesen Umständen ergebenden Gefahr für das Werk näher als der Unternehmer (BGHZ 77, 320). Die entsprechende Anwendung des § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB führt in solchen Fällen zu einem beiden Parteien des Werkvertrages gerecht werdenden billigen Interessenausgleich. Der Unternehmer erhält (nur) die erbrachte und untergegangene Werkleistung bezahlt. Der Besteller braucht den darüber hinausgehenden Teil der vereinbarten Vergütung nicht zu entrichten.“

 

Der BGH verneint eine entsprechende Anwendung des § 645 BGB, weil die Werkleistung nicht aus einem der Beklagten „zuzurechnenden Grund“ untergegangen sei. Die Beklagte stehe der Brandursache nicht näher als die Klägerin. Weil schon nach der weiten „Sphärentheorie“ kein Grund für eine analoge Anwendung des § 645 BGB bestehe, könne auch hier offenbleiben, ob der „Sphärentheorie“ zu folgen sei:

„Im vorliegenden Fall ist die Werkleistung der Klägerin jedoch nicht aus einem der Beklagten zuzurechnenden Grunde untergegangen. Den Brand hat die Beklagte nicht verursacht. Arbeiten – wie hier – Unternehmer und Subunternehmer gleichzeitig und in naher räumlicher Beziehung an ihren Werken, die nach ihrer Fertigstellung das vom Hauptunternehmer gegenüber dessen Besteller geschuldete Werk ergeben sollen, so ist der Hauptunternehmer nicht näher als sein Subunternehmer an den Gefahren, die – unabhängig vom Verhalten beider – während der Bauzeit zum Untergang der noch in der Bearbeitung befindlichen Bauteile führen können. Der Untergang ist in solchen Fällen nicht der »Sphäre oder dem »Risikobereich« des Hauptunternehmers zuzurechnen. Auch im vorliegenden Fall kann daher offen bleiben, ob in allen Fällen, in denen der Grund für den Untergang des Werkes im Bereich (der »Sphäre«) des Bestellers zu suchen ist, der Unternehmer, abweichend von der Regel des § 644 Abs. 1 Satz 1 BGB, einen Anspruch auf Vergütung hat (vgl. dazu BGHZ 40, 71 ff, 74, 75, m. w. N.).“

 

Das Berufungsgericht hatte argumentiert, dass die entsprechende Anwendung des § 645 I 1 BGB zugunsten der Klägerin „billig und geboten“ sei, weil der Beklagten ihrerseits ein (Teil-)Vergütungsanspruch gegen die H.-P. GmbH & Co KG für die bislang erbrachte Werkleistung aus einer entsprechenden Anwendung des § 645 BGB zustehe. Dann schulde die Beklagte aber auch der Klägerin eine teilweise Vergütung.

Für eine analoge Anwendung im Verhältnis zwischen der Beklagten und der H.-P. GmbH & Co KG könnte eine Entscheidung des OLG Köln aus dem Jahr 1975 sprechen. Das OLG hatte einem Werkunternehmer einen (Teil-)Vergütungsanspruch in analoger Anwendung des § 645 BGB zugesprochen, als das noch nicht abgenommene Werk in Folge eines von einem weiteren von dem Besteller beauftragten Werkunternehmer verursachten Brandes untergegangen war:

„Die Beklagte [Bestellerin] war es, die die Heizungsfirma C. [weitere Werkunternehmer] mit Installationsarbeiten beauftragt hat, zu deren Ausführung die Schweißarbeiten notwendig waren, die für den Brand des Schlosses ursächlich geworden sind. (…) Damit ist das Werk des Klägers [Werkunternehmer] nicht nur infolge eines Umstandes untergegangen, der im Sinne der von der Rechtslehre zu § 644 BGB [gemeint wohl: § 645 BGB] entwickelten „Sphärentheorie” der „Sphäre”, dem „Risikobereich” der Beklagten als des Bestellers zuzurechnen ist, sondern die Beklagte hat im Sinne der Entscheidung des BGH in NJW 1963, 1824 (1825), dadurch, daß sie in dem Jahrhunderte alten Bauwerk feuergefährliche Schweißarbeiten veranlaßte, selbst die Gefahr für den Untergang des Werkes des Klägers erhöht und – wenn auch keineswegs schuldhaft – den Anfang der Ursachenkette gesetzt, die schließlich zur Vernichtung des gesamten Bauwerkes und damit auch zum Untergang des Werkes des Klägers geführt hat. Es wäre unter diesen Umständen ebenso unbillig, den Kläger leer ausgehen zu lassen, wie bei den in § 645 BGB geregelten Tatbeständen, so daß eine entsprechende Anwendung des § 645 BGB geboten erscheint.“ (OLG Köln Urt. v. 15.4.1975 – 15 U 156/74, OLGZ 1975, 323 ff.)

 

Dem widerspricht der BGH. Der Brand gehe nicht auf „gefahrerhöhende Handlungen“ der H.-P. GmbH & Co KG zurück. Die gleichzeitige Beauftragung mehrere Unternehmer, die gleichzeitig auf der Baustelle tätig werden, sei üblich und nach wertender Betrachtung daher keine Risikoerhöhung, die eine Verschiebung der Vergütungsgefahr auf die Bauherrin rechtfertige. Ob der (recht weiten) Rechtsprechung des OLG Köln zu folgen sei, könne offenbleiben. Dieser Fall, in dem es um den Neubau einer Fabrik gehe, könne nämlich nicht mit dem damaligen Fall verglichen werden, weil es dort um den Umbau eines sehr alten Bauwerks gegangen sei:

„Ein Ausnahmefall im Sinne des § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB liegt auch im Verhältnis der Beklagten zur Firma H. nicht vor. Geht eine Bauleistung vor ihrer Abnahme aufgrund eines an der Baustelle entstandenen Brandes unter und trifft den Bauherrn daran kein Verschulden, so ist der zufällige Untergang dem Bauherrn nur dann im Sinne des § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB anzulasten, wenn der Brand auf Umstände in seiner Person oder auf seine Handlung zurückgeht. Das ist jedoch nicht der Fall, wenn ein anderer Handwerker in eigener Verantwortung den Brand ausgelöst hat oder eine solche Möglichkeit nicht ausgeräumt werden kann.

Bei Bauvorhaben werden häufig verschiedene Handwerker im Auftrage des Bauherrn gleichzeitig auf der Baustelle tätig. Die gleichzeitige Beauftragung verschiedener Bauhandwerker kann für sich allein im Regelfall die Verschiebung der Vergütungsgefahr auf den Bauherrn nicht rechtfertigen. Daß die Firma H. darüber hinaus irgend etwas Risikoerhöhendes getan hätte, hat keine der Parteien behauptet. Die vom Berufungsgericht angeführte Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln OLGZ 1975, 323 ff betrifft einen anders gelagerten Fall. Dort waren beim Umbau eines Jahrhunderte alten Bauwerkes vor der Abnahme Werkleistungen eines Bauhandwerkers durch einen Brand untergegangen, der auf vom Bauherrn veranlaßten Schweißarbeiten eines anderen Handwerkers beruhte. In jenem Fall hat das Oberlandesgericht den Auftrag des Bauherrn an den anderen Handwerker als eine Handlung angesehen, die eine Ursachenkette begründete, an deren Ende der Brand stand. Das hat das Oberlandesgericht dem Bauherrn als Handlung im Sinne von BGHZ 40, 71 ff angelastet und deshalb den Vergütungsanspruch des Bauhandwerkers für die untergegangene Werkleistung bejaht.

Ob in diesem besonderen Fall, der den Umbau eines sehr alten und daher wohl besonders feuergefährdeten Hauses betraf, das Oberlandesgericht die Beauftragung eines weiteren Handwerkers mit Schweißarbeiten als eine die Verschiebung der Vergütungsgefahr rechtfertigende Handlung des Bauherrn bewerten durfte, kann hier offen bleiben. Der vorliegende Fall betrifft einen großen Fabrikneubau und liegt damit ganz anders.“

 

D. Fazit

Der Frostertunnel-Fall ist eine wichtige Abgrenzung zum Scheunen-Fall, zeigt er doch, dass die entsprechende Anwendung von § 645 BGB Grenzen hat. Interessant ist der Fall auch deswegen, weil er wegen der Subunternehmerkonstruktion eine „doppelte“ Prüfung des § 645 BGB erfordert: Einerseits im Verhältnis Klägerin-Beklagte, andererseits (inzident) im Verhältnis zwischen der Beklagten und der H.-P. GmbH & Co KG.

Achtung: Der BGH musste keine Stellung dazu nehmen, ob der Klägerin Schadensersatzansprüche gegen den Brandverursacher („wahrscheinlich“ S) zustehen, weil solche Ansprüche nicht Streitgegenstand waren. Da eine unmittelbare vertragliche Beziehung zwischen den einzelnen Werkunternehmern (Klägerin; S) nicht besteht, käme ein (eigener) vertraglicher Schadensersatzanspruch der Klägerin nur auf der Grundlage eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte (hier: der Klägerin) in Betracht, wenn sie in den Schutzbereich des Werkvertrages zwischen der Bestellerin (H.-P. GmbH & Co KG) und der (weiteren) Werkunternehmerin S einbezogen wäre. Möglich wären auch deliktische Ansprüche, wobei zu fragen ist, ob durch den Brand ein von § 823 I BGB geschütztes Rechtsgut der Klägerin (Eigentum? Besitz?) verletzt wurde. Fehlt es danach an eigenen Ansprüchen der Klägerin, wäre auch eine Drittschadensliquidation (der Schaden der Klägerin würde zum Anspruch der H.-P. GmbH & Co KG „gezogen“ werden) denkbar.

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