BGH: Abgrenzung zwischen Diebstahl und Betrug

A. Sachverhalt (leicht vereinfacht)

A veranlasst K dazu, ihm sein Mobiltelefon für ein Telefonat zu überlassen. K übergibt es dem A in der von diesem hervorgerufenen Annahme, das Mobiltelefon nach dem Telefonat zurückzuerhalten. Tatsächlich beabsichtigte A, das Mobiltelefon zu behalten, um es später zu verkaufen. Nach dem Telefonat steckt A das Mobiltelefon in seine Tasche und entfernt sich. Auf die mehrfachen Bitten des K, ihm das Mobiltelefon zurückzugeben, reagiert A nicht; vielmehr gibt der körperlich überlegene A dem K zu verstehen, dass er „jetzt besser gehen solle“. K gibt deswegen sein Herausgabeverlangen auf.

 

Strafbarkeit des A?

 

B. Die Entscheidung des BGH (Beschl. v. 2.8.2016 – 2 StR 154/16)

 

I. Strafbarkeit wegen Betruges gemäß § 263 I StGB

A könnte sich wegen Betruges gegenüber und zulasten des K gemäß § 263 I StGB strafbar gemacht haben, indem er K dazu veranlasste, ihm das Telefon herauszugeben.

A hat K über seine Herausgabebereitschaft getäuscht, worüber sich K auch geirrt hat. Fraglich ist, ob K über sein Vermögen verfügt hat. Eine Vermögensverfügung ist jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen, welches sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt. Das Landgericht hatte eine Vermögensverfügung mit der Erwägung bejaht, dass K dem A täuschungsbedingt dessen Gewahrsam bzw. Besitz an dem Telefon übertragen habe. Andererseits könnte es sich dabei auch um eine bloße Gewahrsamslockerung gehandelt haben, die es dem A erst ermöglicht hat, sich den Gewahrsam durch ein weiteres deliktisches Handeln einzuverleiben. Es geht hier also um die Abgrenzung von Betrug (Vermögensverfügung) und Diebstahl (Wegnahme).

Der BGH führt dazu allgemein aus, dass die Abgrenzung maßgeblich von der inneren Willensrichtung des Getäuschten abhänge:

„Diese Wertung des Landgerichts ist rechtsfehlerhaft. Hat sich der Täter - wie hier - eine Sache durch Täuschung verschafft, so ist für die Abgrenzung von Wegnahme (§ 242 StGB) und Vermögensverfügung (§ 263 StGB) auch die Willensrichtung des Getäuschten und nicht nur das äußere Erscheinungsbild des Tatgeschehens maßgebend. Betrug liegt vor, wenn der Getäuschte auf Grund freier nur durch Irrtum beeinflusster Entschließung Gewahrsam übertragen will und überträgt. In diesem Fall wirkt sich der Gewahrsamsübergang unmittelbar vermögensmindernd aus. Diebstahl ist gegeben, wenn die Täuschung lediglich dazu dienen soll, einen gegen den Willen des Berechtigten gerichteten eigenmächtigen Gewahrsamsbruch des Täters zu ermöglichen oder wenigstens zu erleichtern (vgl. Senat, Urteil vom 17. Dezember 1986 - 2 StR 537/86, BGHR StGB § 242 Abs. 1 Wegnahme 2 mwN).

Von der Vorschrift des § 242 StGB werden insbesondere auch solche Fallgestaltungen erfasst, in denen - wie hier - der Gewahrsamsinhaber mit der irrtumsbedingten Aushändigung der Sache eine Wegnahmesicherung aufgibt, gleichwohl aber noch zumindest Mitgewahrsam behält, der vom Täter gebrochen wird. Vollzieht sich der Gewahrsamsübergang in einem mehraktigen Geschehen, so ist die Willensrichtung des Getäuschten in dem Zeitpunkt entscheidend, in dem er die tatsächliche Herrschaft über die Sache vollständig verliert. Hat der Gewahrsamsinhaber, der die wahren Absichten des Täuschenden nicht erkannt hat, den Gegenstand übergeben, ohne seinen Gewahrsam völlig preiszugeben, und bringt der Täter die Sache nunmehr in seinen Alleingewahrsam, ist Wegnahme gegeben, wenn der Ausschluss des Berechtigten von der faktischen Sachherrschaft ohne oder gegen dessen Willen stattfindet (vgl. auch BGH aaO).“

 

Nach Ansicht des BGH habe die Täuschung nur zu einer Gewahrsamslockerung geführt. Damit trat die Vermögensminderung in Form eines Gewahrsams- bzw. Besitzverlustes erst ein, als sich A das Telefon eigenmächtig in die Tasche steckte. Das beruhte aber nicht – wie es der Begriff der Vermögensverfügung voraussetzt – unmittelbar auf der Überlassung des Telefons zur kurzzeitigen Nutzung. Danach hat K nicht über sein Vermögen verfügt, als er A das Telefon zur kurzfristigen Nutzung überließ.

Eine Strafbarkeit wegen Betruges gemäß § 263 I StGB scheidet aus.

 

II. Strafbarkeit wegen Diebstahls gemäß § 242 I StGB

A könnte sich aber wegen Diebstahls gemäß § 242 I StGB strafbar gemacht haben, indem er das Telefon in seine Tasche steckte.

Dadurch hat er den bis dahin (s.o.) bestehenden Gewahrsam des K an dem Mobiltelefon gegen dessen Willen aufgehoben und neuen Gewahrsam begründet:

„Der Zeuge K. hat seinen Gewahrsam gegen seinen Willen erst verloren, als [A] das Mobiltelefon in ihre Tasche steckte.“

Damit hat A den Gewahrsam des K gebrochen und das ihm fremde Mobiltelefon weggenommen. A handelte auch vorsätzlich und mit der Absicht, sich das Telefon rechtswidrig zuzueignen.

Damit hat sich A wegen Diebstahls gemäß § 242 I StGB strafbar gemacht.

 

III. Strafbarkeit wegen Unterschlagung gemäß § 246 I StGB

Die Unterschlagung ist gegenüber dem Diebstahl formell subsidiär (§ 246 I StGB aE).

 

IV. Strafbarkeit wegen räuberischen Diebstahls gemäß § 252 StGB

A könnte sich aber wegen Diebstahls gemäß § 252 StGB strafbar gemacht haben, indem er gegenüber K äußerte, dass er „jetzt besser“ gehen solle.

Dazu müsste A gegen K Gewalt verübt oder Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben angewandt haben. Ob in der Äußerung, K solle „jetzt besser“ gehen, die konkludente Drohung mit körperlichen Tätlichkeiten zu sehen ist, ist fraglich. Der Sachverhalt ist dazu zu wenig eindeutig und lässt auch andere Interpretationen zu. Nach dem Grundsatz in dubio pro reo fehlt es damit an einer qualifizierten Drohung im Sinne von § 252 StGB.

 

V. Strafbarkeit wegen Erpressung gemäß § 253 I StGB

A könnte sich aber wegen Erpressung gemäß § 253 I StGB strafbar gemacht haben, indem er gegenüber K äußerte, dass er „jetzt besser“ gehen solle.

Auch wenn man in der Äußerung, dass K „jetzt besser“ gehen solle, eine Drohung mit einem empfindlichen Übel (anders als bei § 252 StGB ist keine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben erforderlich) erblicken wollte, fehlt es jedenfalls an einem (eigenständigen) Vermögensnachteil. Der endgültige Gewahrsamsverlust war bereits vollendet, als A das Telefon in seine Tasche steckte. Durch die Drohung hat A den bereits eingetretenen Schaden weder vertieft noch einen neuen Schaden begründet. Auch dem anschließenden (vorläufigen) Verzicht auf die Geltendmachung von Herausgabeansprüchen kommt keine eigenständige Bedeutung zu. Dafür spricht auch die Erwägung, dass ansonsten der auf diese Situation zugeschnittene Strafvorschrift des räuberischen Diebstahls nach § 252 StGB und dessen (engeren) Voraussetzungen umgangen würden.

Es handelt sich damit allenfalls um eine sogenannte Sicherungserpressung, deren Strafbarkeit entweder bereits auf Tatbestandsebene (kein Vermögensnachteil) oder jedenfalls auf Konkurrenzebene entfällt (mitbestrafte Nachtat).

 

VI. Strafbarkeit wegen Nötigung gemäß § 240 StGB

A könnte sich aber wegen Nötigung gemäß § 240 I StGB strafbar gemacht haben, indem er gegenüber K äußerte, dass er „jetzt besser gehen solle“.

Auch hier spricht mehr dafür, in der fraglichen Äußerung wegen der „dünnen“ Sachverhaltsangaben (noch) keine konkludente Drohung mit einem empfindlichen Übel zu sehen, sodass auch eine Strafbarkeit nach § 240 StGB ausscheidet.

 

C. Fazit

Der Fall erinnert ein wenig an den Mobiltelefon-Fall aus dem Jahr 2010 (BGH Beschl. v. 6.7.2010 – 3 StR 180/10), der sich ebenfalls mit den Gewahrsamsverhältnissen an einem „überlassenen“ Mobiltelefon befasst und auch bereits Gegenstand von Examensklausuren war. Die Abgrenzung zwischen Diebstahl und Betrug ist ein Ausbildungs- und Examensdauerbrenner und sollte daher beherrscht werden. Auch die weiteren Tatbestände (§§ 240, 252, 253 StGB) gehören zum Kernbereich des Prüfungsstoffes und erfreuen sich bei den Prüfungsämtern nach wie vor großer Beliebtheit. Grund genug, den Fall zum Anlass zu nehmen und die Voraussetzungen der §§ 242, 263 StGB und deren Abgrenzung sowie die Grundlagen der übrigen genannten Straftatbestände zu wiederholen – Jura Online hilft Dir dabei.

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