A. Sachverhalt
Der Kläger ist Landwirt. In seinem Stall standen im Dezember 1980 98 Bullen. Am 17. Dezember 1980 lieferte ein Fahrer der Beklagten auf dem Hof des Klägers flüssige Kartoffelpülpe an. Der Kläger ließ davon so viel in die Futtertröge der Bullenställe einfüllen, wie diese fassten, nämlich etwa 6,9 t. Nachdem die Bullen von der Pülpe gefressen hatten, erkrankten sie zum Teil schwer. 40 Bullen verendeten oder mussten getötet werden; bei den übrigen Tieren stellte sich eine geringere Gewichtszunahme ein als üblich, sie erbrachten einen verminderten Verkaufserlös. Die Erkrankung beruhte auf übermäßiger Säurebildung im Pansen der Tiere.
Die Pülpe stammte aus dem Betrieb der Beklagten. Diese stellt Kartoffelchips her. Die dabei anfallenden Kartoffelreste werden erhitzt und mit Enzymen versetzt. Dabei wird ein Großteil der Kartoffelstärke in Zucker umgewandelt und die Masse verflüssigt.
Die Beklagte überließ die Pülpe gewöhnlich einem Schweinemastunternehmen, an dem sie als Gesellschafterin beteiligt ist. Im Dezember 1980 konnte dieses Unternehmen die damals anfallenden großen Pülpemengen nicht aufnehmen. Der Geschäftsführer der Schweinemästerei, M., der zugleich Leiter eines landwirtschaftlichen Beratungsringes ist, schlug deshalb der Beklagten vor, den Überschuss nicht auf Ackern zu verteilen und unterzupflügen, sondern Landwirten der Umgebung kostenlos anzubieten. Damit war die Beklagte einverstanden. Darauf interessierte M. den Landwirt B., Mitglied des genannten Beratungsringes, an der Pülpe als Bullenfutter. Dieser hatte nur für eine Teilmenge Verwendung und veranlasste die Lieferung eines weiteren Teiles an den Kläger.
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung von 83.848 DM nebst Zinsen in Anspruch. Er führt die Erkrankung der Tiere darauf zurück, dass die Pülpe mit Enzymen behandelt war; unbehandelte Kartoffelpülpe sei auch in großen Mengen als Bullenfutter geeignet. Die enzymatisierte Pülpe tauge dagegen nur als Schweinefutter. Auf die Enzymbehandlung habe die Beklagte nicht hingewiesen. Vielmehr habe M. auf B.’s Frage ausdrücklich erklärt, die Pülpe sei unbehandelt.
Die Beklagte macht geltend, nicht sie, sondern M. habe dem Kläger die Pülpe liefern lassen. Der Kläger habe sich den Schaden selbst zuzuschreiben, weil M. B. darauf hingewiesen habe, zu Anfang dürften nur etwa 10 kg je Tier täglich verfüttert werden. Der Kläger habe die gebotene Vorsicht bei der Dosierung außer Acht gelassen; bei einer solchen Fütterungsart hätte auch rohe Pülpe ohne Enzymzusätze die gleichen Folgen gehabt.
B. Worum geht es?
Die Parteien sind durch einen Schenkungsvertrag (§ 516 BGB) über die Kartoffelpülpe verbunden. Eine Sachmängelhaftung, die auch im Schenkungsrecht – indes nur bei Arglist des Schenkers – nach § 524 I BGB gilt, kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil die Pülpe als solche nicht mangelhaft, sondern nur vorsichtig zu dosieren war.
In Betracht kommt eine vertragliche Haftung der Beklagten daher nur nach den Grundsätzen der sogenannten culpa in contrahendo (§§ 280 I, 241 II, 311 II BGB) oder als Schadensersatz neben der Leistung wegen Verletzung einer Schutzpflicht (§§ 280 I, 241 II BGB; sogenannte positive Forderungsverletzung). Das ließe sich mit der Begründung annehmen, der Beklagte habe es pflichtwidrig unterlassen, den Kläger auf die Enzymbehandlung der Pülpe und über die daraus resultierende Notwendigkeit einer strengen Dosierung hinzuweisen. Denn darin läge eine Schutzpflichtverletzung (§ 241 II BGB).
Weil der Schenker aus in der Regel altruistischen Motiven einen Vermögenswert aufgibt, ohne dafür eine Gegenleistung zu erhalten, sieht das Gesetz in §§ 521-524 BGB eine privilegierte Haftung des Schenkers im Vergleich zu entgeltlichen Rechtsgeschäften vor. So haftet der Schenker nach § 521 BGB – abweichend vom allgemeinen Grundsatz (§ 276 I 1 BGB) – nicht für (normale) Fahrlässigkeit, sondern nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. § 521 BGB gilt dabei jedenfalls für die Verletzung der dem Schenker obliegenden Leistungspflichten (§ 241 I BGB). Um deren Verletzung geht es hier indes nicht; der Beklagte hatte die geschenkte Pülpe ja ordnungsgemäß übereignet. Weil das Berufungsgericht – bindend für den BGH – angenommen hatte, dass der Beklagte im Hinblick auf die unterlassene Aufklärung (§ 241 II BGB) nicht grob fahrlässig gehandelt habe, hatte der BGH damit die folgende Frage zu beantworten:
Greift die Haftungsprivilegierung des § 521 BGB auch bei der Verletzung vorvertraglicher oder vertraglicher Schutzpflichten i.S.v § 241 II BGB?
C. Wie hat der BGH entschieden?
Der BGH verneint im Kartoffelpülpe-Fall (Urt. v. 20.11.1984 – IVa ZR 104/83 (BGHZ 93, 23 ff.)) eine Haftung der Beklagten. Die Beklagte hafte gemäß § 521 BGB nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit; die Privilegierung des § 521 BGB greife auch bei der Verletzung von Schutzpflichten ein, die - und das ist eine wichtige Einschränkung – im Zusammenhang mit dem Gegenstand der Schenkung stehen.
Zunächst stellt der BGH den (damaligen) Meinungsstand dar:
„Ob Haftungsmilderungen für einzelne Schuldverhältnisse auch dann eingreifen, wenn es sich um die Verletzung von vorvertraglichen oder vertraglichen Schutzpflichten handelt, die nicht an dem Erfüllungsinteresse des Gläubigers ausgerichtet sind, sondern dem Integritätsinteresse (Erhaltungsinteresse) des Vertragspartners dienen, ist bisher nicht abschließend geklärt. Während z. B. Canaris JZ 1965,475,481) und Kollhosser (MünchKomm § 521 Rdn. 6,7) eine Erstreckung des vertraglichen Haftungsmaßstabs insoweit weitgehend befürworten, treten z. B. Thiele (JZ 1967,649), Gerhard (JuS 1970,597) und Schlechtriem (VersR 1973,581) für differenzierende Lösungen ein.“
Zur Begründung seiner Auffassung stellt der BGH maßgeblich auf den weit gefassten Wortlaut des § 521 BGB und dessen Sinn und Zweck ab:
„[Der Senat] vertritt im Anschluß an die genannten Schriftsteller die Auffassung, daß jedenfalls im Bereich des § 521 BGB Freigiebigkeit der einen Seite nur zu den Vertragserwartungen des Begünstigten in Beziehung gesetzt werden kann. Daher rechtfertigt die Großzügigkeit des Schenkers es nicht, die Haftungsmilderung auch da eingreifen zu lassen, wo es um die Verletzung von Schutzpflichten geht, die nicht im Zusammenhang mit dem Vertragsgegenstand stehen (ähnlich Esser, Schuldrecht 11,4. Aufl. § 112 V 3; Eike Schmidt, Nachwort S. 159 zum Nachdruck von Ihering, Culpa in contrahendo, und Staub, Die positiven Vertragsverletzungen). Indessen besteht hier ein derartiger Zusammenhang; es handelt sich um einen Schaden, der durch den »nach dem Vertrag vorausgesetzten« Verbrauch der Pülpe entstanden ist. In diesem Bereich muß § 521 BGB nach der Auffassung des Senats eingreifen.
Dagegen hält er es nicht für gerechtfertigt, mit Schlechtriem (Vertragsordnung und außervertragliche Haftung S. 332 ff.) noch weiter zu gehen und den Schenker auch insoweit voll haften zu lassen (vgl. auch Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts II, 12. Aufl. § 47 IIa). Für eine solche Lösung mag zwar die Entstehungsgeschichte sprechen. Der Vorläufer von § 521 BGB, § 442 des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches (E I), bezog sich auf das Schenkungsversprechen und meinte den durch das Ausbleiben der versprochenen Leistung entstandenen Schaden. Darauf deuten die Motive hin (Band II S. 296, § 442 Fn. 1). Auch die in der Kommission für die zweite Lesung (Protokolle II S. 21) beschlossene Fassung ging in diese Richtung. Die erst in der Redaktionskommission beschlossene endgültige Fassung (Jakobs/Schubert, Die Beratungen des Bürgerlichen Gesetzbuches II S. 379) sollte möglicherweise keine sachliche Änderung herbeiführen. Im übrigen wurde, worauf Schlechtriem (VersR 1973,581,586) zutreffend hingewiesen hat, in der zweiten Kommission einem Antrag, § 551 E 1(= § 600 BGB) zu streichen, weil im Fall der Ansteckung der Herde des Entleihers eine derartig weitgehende Haftungsmilderung unangemessen sei, entgegengehalten, daß »dem hervorgehobenen praktischen Bedürfnisse durch die Bestimmungen über Schadensersatz wegen unerlaubter Handlung genügt werde« (vgl. Protokolle II 270).
Jedoch erscheinen diese Argumente dem Senat nicht als zwingend. Der weitgefaßte Wortlaut der Vorschrift weist in die umgekehrte Richtung. Überdies ließe sich bei der von Schlechtriem befürworteten Lösung ein Wertungswiderspruch zu § 524 Abs. 1 BGB kaum vermeiden. Durch diese Vorschrift ist die Haftung des Schenkers für Schäden, die dem Beschenkten aus einem Fehler der verschenkten Sache entstehen, auf den Fall der Arglist beschränkt. Damit wäre es nur schwer in Einklang zu bringen, wenn der Schenker einer fehlerfreien - aber »gefährlichen« - Sache sogar für nur leicht fahrlässige Verletzung seiner Hinweispflichten einzustehen hätte. Dagegen ist es nach der Auffassung des Senats mit der Wertung des Gesetzgebers durchaus vereinbar, wenn der Schenker, der sich von einer Sache trennt und sie dem Beschenkten großzügig überläßt, für Schäden im Rahmen der Vertragserwartungen des Beschenkten nur nach einem gemilderten Maßstab haftet.“
Schließlich führt der BGH aus, dass § 521 BGB auch auf konkurrierende deliktische Ansprüche aus § 823 BGB analog angewandt werden müsse. Andernfalls drohe sie im Ergebnis leerzulaufen:
„Die Haftungsmilderung des § 521 BGB muß, wenn und soweit sie der Beklagten bei der Verletzung ihrer vertraglichen und vorvertraglichen Schutzpflichten zugute kommt, auch auf Ansprüche des Klägers aus unerlaubter Handlung durchschlagen.“
D. Fazit
Bestand und Reichweite gesetzlicher und vertraglicher Haftungsprivilegierungen sollten sicher beherrscht werden, da sie immer wieder Gegenstand von Prüfungsaufgaben sind (siehe dazu etwa auch den aktuellen und wichtigen Blumengießen-Fall zur Haftung im Gefälligkeitsverhältnis). Der Fall sollte daher zum Anlass genommen werden, diesen wichtigen Komplex zu wiederholen – Jura Online hilft Dir dabei.
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