Sachverhalt (beruht auf einem Gedächtnisprotokoll)
A wohnt in Düsseldorf und hat sich dazu entschlossen, sich einen Brauchtum in Köln anzuschauen. Da er jedoch auf den Genuss seines Heimatbieres nicht verzichten möchte, entschließt er sich, vor der Abfahrt noch ein paar Flaschen seines geliebten Altbiers zu trinken. So fährt er dann in einem Kostüm Richtung Köln mit dem PKW, der auf ihn zugelassen ist und den er zur Sicherung eines Darlehens an die Sparkasse S übereignet hatte. Die letzte Rate von 200 € ist noch nicht getilgt. A hat keine Fahrerlaubnis mehr.
100 m vor seinem Ziel wird er von dem Polizisten C im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle angehalten und nach seinen „Papieren“ befragt sowie danach, ob A etwas getrunken habe. A gibt an, er habe seine Papiere zuhause vergessen und nur „ein wenig“ Bier getrunken. Die daraufhin durchgeführte Atemalkoholkontrolle ergab nach Abzug aller Toleranzen eine BAK von 0,6 Promille. C sagte A, er sehe angesichts der Feierlichkeiten über die fehlenden Fahrunterlagen hinweg, wegen der hohen Gefahr alkoholisierten Fahrens drohe ihm jedoch ein Bußgeld sowie ggf ein Strafverfahren. Auf die ausdrückliche Nachfrage des C gibt A deshalb an, er sei sein Bruder B (der eine Fahrerlaubnis besitzt), um dem Verfahren zu entkommen. C notiert sich die Personalien des B wie von A angegeben und weist A an, das Auto stehen zu lassen.
A geht daraufhin zu Fuß den Rest des Weges. Erfreut darüber, dass er dem Bußgeldverfahren entkommen konnte, gibt er sich nun doch dem in Köln gebrauten Kölsch hin. Gegen Mitternacht begibt sich A auf den Weg zurück zu seinem PKW. Obwohl ihm bewusst ist, dass er das Fahrzeug nicht mehr sicher führen kann, entschließt er sich, mit einer BAK von 1,2 Promille, damit nach Hause zu fahren. K, der Kneipenfreund des A, wittert eine Gelegenheit, günstig und zügig zurück in die rechtsrheinische Heimat zu kommen und setzt sich ebenfalls in den Wagen, obwohl er erkennt, dass A offensichtlich stark betrunken ist.
Als A von dem Parkstreifen losfahren will, bremst er plötzlich alkoholbedingt und ohne jeden Grund sehr heftig, woraufhin K mit der Stirn gegen die Seitenscheibe schlägt und eine Platzwunde erleidet. Aufgrund dieses Ereignisses entschließt sich K dazu, nun doch das Taxi zu nehmen, um sicherer nach Hause zu kommen.
Auf der Heimfahrt fährt A in eine Kurve und gelangt dabei alkoholbedingt in den Straßengraben. Dabei überrollt er unbemerkt das am Wegesrand liegen gelassene, alte Fahrrad des X (Wert: 100 €), das dabei vollständig zerstört wird. A konnte einem Felsen nur gerade so ausweichen – dass der PKW nicht beschädigt wurde ist bloßer Zufall.
Aufgrund dieses Ereignisses auf A aufmerksam geworden, verfolgt Polizist P den A. Als er bei einer Geschwindigkeit von 80 km/h einen sehr geringen Abstand zu A hat, fordert er über die Außenlautsprecher „Halten Sie an“.
A erstarrt dadurch in Furcht und Schrecken. Um nicht doch noch erkannt zu werden, damit also nicht auffällt, dass er zuvor eine falsche Identität angegeben hatte, beschließt er, P abzuschütteln. Dazu bremst er plötzlich unvorhergesehen sehr stark, sodass P – wie von A beabsichtigt – zu einem gewagten scharfen Bremsmanöver gezwungen wird. Dabei hätte es ohne Weiteres auch zu einem Unfall kommen können. P bleibt daraufhin verängstigt/verwirrt zurück.
Zuhause angekommen erkennt A Kunststoffsplitter in seiner Stoßstange und erkennt dadurch, dass er wohl etwas angefahren hat, unternimmt jedoch keine weiteren Schritte.
Wie hat sich A nach dem StGB strafbar gemacht?
Bearbeitervermerk:
Vom Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 21,24a StVG ist auszugehen. Es ist zu unterstellen, dass die Verkehrskontrolle von C und die Halteaufforderung des P rechtmäßig waren. §§ 153-162, 185-194, 258 I StGB sind nicht zu prüfen.
Unverbindliche Lösungsskizze
1. Handlungsabschnitt: Verkehrskontrolle
A. § 242 I StGB (durch die Fahrt mit dem Pkw nach Köln)
I. Tatbestand
- Fremde bewegliche Sache
(+); Arg: Sicherungsübereignung an S
- Wegnahme
(-); Arg.: kein fremder Gewahrsam. A hat Alleingewahrsam.
II. Ergebnis: § 242 StGB (-)
B. § 246 I StGB (durch dieselbe Handlung)
I. Tatbestand
Fremde bewegliche Sache (+)
Zueignung
a) Zueignungswille
aa) Aneignungsvorsatz
(+); Arg.: A wollte den Pkw zumindest vorübergehend nutzen.
bb) Enteignungsvorsatz
(-); Arg.: A bringt Pkw zurück.
b) Ergebnis: (-)
- Ergebnis: (-)
II. Ergebnis: § 246 StGB (-)
C. § 248b I StGB (durch dieselbe Handlung)
(-); Arg.: Kein Hinweis, dass S mit dem Gebrauch nicht einverstanden war.
D. § 316 I StGB (durch dieselbe Handlung)
I. Tatbestand
Führen eines Kfz im Straßenverkehr (+)
Alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit
a) Absolute Fahruntüchtigkeit
-> 1,1 Promille (-)
b) Relative Fahruntüchtigkeit
-> 0,3 Promille + alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit (-)
II. Ergebnis: § 316 I StGB (-)
E. § 164 I StGB (durch Angabe des A, er sei B)
I. Tatbestand
- Zuständige Stelle
Hier: Polizei, § 158 I StPO
- Rechtswidrige Tat
Hier: § 21 StVG
- Verdächtigen
(-); Arg.: auf B wird kein Verdacht gelenkt, da das Verhalten für diesen nicht strafbar wäre (B ist Inhaber einer Fahrerlaubnis).
II. Ergebnis: § 164 I StGB (-)
F. § 164 II StGB (durch dieselbe Handlung)
I. Tatbestand
- Zuständige Stelle
(+), s.o.
- Behauptung tatsächlicher Art
Hier: Ordnungswidrigkeit des B nach § 24a StVG
Problem: Selbstbegünstigung (A möchte Verfahren entkommen)
aA: (-); Arg.: Selbstbegünstigungsprivileg, § 258 I, V StGB
hM: (-); Arg.: § 258 IV StGB gibt kein Recht auf aktive Falschbezichtigung
Unrichtigkeit der Behauptung (+)
Vorsatz bzgl. 1 + 2
Wider besseres Wissen bzgl. 3. (+)
Absicht ein behördliches Verfahren herbeizuführen (+)
II. Rechtswidrigkeit und Schuld (+)
III. Ergebnis: § 164 II StGB (+)
2. Handlungsabschnitt: Köln
A. § 315c I Nr. 1a, III Nr. 1 StGB (Durch Fahrt von Köln nach Hause/Bremsmanöver)
I. Tatbestand
Führen eines Kfz im Straßenverkehr (+)
Alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit
(+); Arg.: 1,3 Promille
- Konkrete Gefahr für Leib des K
(+), auch keine Anhaltspunkte für Beteiligung des K nach §§ 26, 27 StGB.
- Vorsatz bzgl. 1. und 2.
(+); Arg.: „…obwohl er erkennt…“
- Fahrlässigkeit bzgl. 3.
(+); Arg: A handelte insoweit objektiv sorgfaltswidrig und die konkrete Gefahr war objektiv vorhersehbar.
II. Rechtswidrigkeit
-> Genehmigung
Problem: Rechtsgut
aA: (auch) Individualrechtsgut körperliche Unversehrtheit -> Einwilligung (+); Arg.: Schutz über § 316 StGB reicht aus
hM: Allgemeinheit -> Einwilligung (-); Arg.: Systematische Stellung
III. Schuld (+)
IV. Ergebnis: § 315c I Nr. 1a, III Nr. 1 StGB (+)
B. § 316 I StGB
(+), aber: Gesetzeskonkurrenzen (formelle Subsidiarität).
I. Tatbestand
Unfall im Straßenverkehr (+)
Unfallbeteiligter i.S.d. § 142 V stGB (+)
Entfernen (+)
Verletzung einer Feststellungspflicht
(-); Arg.: K entschließt sich, ein Taxi zu nehmen (= Einverständnis bzw. Einwilligung).
II. Ergebnis: § 142 I Nr. 1 StGB (-)
3. Handlungsabschnitt: Heimfahrt
A. § 315c I Nr. 1a, III Nr. 1 StGB
I. Tatbestand
Führen eines Kfz im Straßenverkehr (+)
Alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit (+)
Konkrete Gefahr
a) Für Pkw
(-); Arg.: notwendiges Tatmittel
b) Für Fahrrad
(-);Arg.: keine Sache von bedeutendem Wert (>750 Euro)
c) Felsen
(-); Arg.: kein Sachverhaltshinweis auf Wert
II. Ergebnis: § 315c I Nr. 1a, III Nr. 1 StGB
B. § 316 StGB (+)
C. § 303 I StGB (bzgl. Fahrrad)
(-); Arg.: Kein Vorsatz
D. § 142 I Nr. 2 StGB
I. Tatbestand
- Unfall im Straßenverkehr
(+); Arg.: nicht ganz unerheblicher Sachschaden am Fahrrad (>25 Euro)
Unfallbeteiligter i.S.d. § 142 V StGB
Entfernen (+)
Verletzung der Wartepflicht (+)
Vorsatz
(-); Arg.: bzgl. 1, § 16 I 1 StGB
II. Ergebnis: § 142 I Nr. 2 StGB (-)
4. Handlungsabschnitt: Polizist
A. § 113 I, II Nr. 1 StGB (durch das Abbremsen)
I. Tatbestand
- Amtsträger
Hier: Polizeibeamter P
Zur Vollstreckung von Gesetzen berufen (+)
Bei der Vornahme einer Diensthandlung
Hier: Identitätsfeststellung, §§ 163b, 163c StPO
Gewalt (+)
Vorsatz (+)
Rechtmäßigkeit der Diensthandlung
(+); Arg.: Bearbeitervermerk
II. Rechtswidrigkeit und Schuld (+)
III. Strafe, § 113 II Nr. 1 StGB
(+); Arg.: Pkw = gefährliches Werkzeug
IV. Ergebnis: § 113 I, II Nr. 1 StGB (+)
B. § 240 I StGB
(+), aber: Gesetzeskonkurrenzen.
C. §§ 223 I, 224 I Nr. 2, 5, 22, 23 I StGB
I. Tatentschluss
- Bzgl. Grundtatbestand, § 223 I StGB
a) Non-voluntative Theorien
-> Vorsatz (+)
b) Voluntative Theorien
aa) Wissen (= Möglichkeit des Erfolgseintritts)
-> Vorsatz (+); Arg.: Wortlaut, § 16 StGB („kennt“)
bb) Wollen (= Billigend in Kauf nehmen)
-> Vorsatz (-); Arg.: Bewusste Fahrlässigkeit ansonsten nicht erklärbar; klare Abgrenzung der 3 Vorsatzformen.
- Zwischenergebnis: Grundtatbestand (-)
II. Ergebnis: §§ 223 I, 224 I Nr. 2, 5, 22, 23 I StGB (-)
D. § 315b I Nr. 3, III i.V.m. § 315 III Nr. 1b StGB
(-); Arg.: äußerlich verkehrsgerechtes Verhalten; kein Schädigungsvorsatz
5. Handlungsabschnitt: Zuhause
A. § 142 II Nr. 2 StGB (A unternimmt keine weiteren Schritte)
I. Tatbestand
Unfall (+)
Unfallbeteiligter (+)
Entfernen (+)
Berechtigt oder entschuldigt
aA: (+); Arg.: Erst-Recht-Schluss; Schuldumfasst Vorsatz
hM: (-); Arg.: Art. 103 II GG (Analogieverbot)
II. Ergebnis: § 142 II Nr. 2 StGB
B. § 142 I Nr. 1 StGB (durch dieselbe Handlung)
I. Tatbestand
Unfall (+)
Unfallbeteiligter (+)
Entfernen vom Unfallort
Problem: Unfallort
aA: (+); Arg.: zeitlich-räumlicher Zusammenhang zum schädigenden Ereignis
hM: (-); Arg.: Art. 103 II GG
II. Ergebnis: § 142 I Nr. 1 StGB (-)
5. Gesamtergebnis und Konkurrenzen
§ 164 II StGB
§ 315c I Nr. 1a, III Nr. 1 StGB
§ 316 I StGB
§ 113 I, II Nr. 1 StGB
-> Tatmehrheit, § 53 StGB
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