Sachverhalt (beruht auf einem Gedächtnisprotokoll)
Der sehr wohlhabende M macht seiner Freundin F im September 2013 den lange ersehnten Heiratsantrag. Die Hochzeitsfeier soll am 08.08.2014 in der kreisfreien Stadt S in NRW stattfinden. Als große Anhänger der fernöstlichen Kultur planen M und F, als Teil einer standesgemäßen Hochzeitsfeier so genannte „Kong-Ming-Laternen“ aufsteigen zu lassen. Dabei handelt es sich um sehr leichte Papierlaternen, die eine Brennquelle enthalten und so durch eigenen Heißluftantrieb in die Luft aufsteigen. Diese Laternen legen oft mehrere Hundert Kilometer zurück, bevor sie zu Boden gehen. Dabei sind sie so gestaltet, dass sie erst dann herabsinken, wenn das gesamte Brennmaterial aufgebraucht ist. M und F schaffen also solche Laternen für einen Kaufpreis von insgesamt 5000 Euro an. So sehen sie in ihren Träumen schon Dutzende Laternen malerisch über den See in Richtung des örtlichen Waldgebietes auf und davon steigen.
Ein Dritter erfährt von diesen Plänen und meldet dies sofort der örtlichen Ordnungsbehörde. Diese geht sodann auf M und F zu. Die Frage, ob sie allen Ernstes Fluglaternen voll mit in Brennpaste getränkten Baumwolllappen über einem Waldgebiet aufsteigen lassen würden, bejahen beide. Die Ordnungsbehörde erlässt daraufhin am 13.03.2014 formell ordnungsgemäß einen mit ebenfalls ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid und untersagt M und F den Einsatz der „Kong-Ming-Laternen“ am 08.08.2014. Sie ordnet gleichzeitig formell ordnungsgemäß die sofortige Vollziehung an. Ebenfalls droht sie in dem Bescheid ein Zwangsgeld in Höhe von 2000 Euro für den Fall der Zuwiderhandlung an. Zur Begründung verweist die Behörde auf das Verbot des § 1 Fluglaternenverordnung NRW (FluglatV). Der Bescheid wird M und F am 20.03.2014 zugestellt.
M und F erheben daraufhin Klage, die am 22.04.2014, dem Dienstag nach Ostermontag, beim örtlich zuständigen Verwaltungsgericht eingeht. Das Gericht setzt den Termin für die mündliche Verhandlung auf den 29.08.2014 fest.
Ein von Amts wegen bestellter gerichtlicher Gutachter stellt sachlich zutreffend fest, dass es durch Laternen wie denen von M und F durchaus zu einem Waldbrand kommen könnte, wenn diese – was nicht auszuschließen ist – fehlerhafterweise noch brennend zu Boden gehen.Insbesondere in den Monaten April bis August bestehe daher eine erhöhte Waldbrandgefahr. Diese Gefahr wäre allerdings erheblich gemindert, wenn – was ebenfalls regelmäßig vorkommt – in diese Zeit eine längere Regenperiode fällt.
Zwischenzeitlich haben M und F plangemäß am 08.08.2014 geheiratet, aber unter großem Bedauern auf den Einsatz der Laternen verzichtet. Sie möchten nunmehr vom Gericht festgestellt wissen, dass die Ordnungsbehörde zum Erlass der Verfügung nicht berechtigt war. Schließlich habe es im August und in den Wochen zuvor nahezu durchgängig geregnet. Im Übrigen können sie sich auch vorstellen, in Zukunft bei anderen Anlässen die Laternen doch aufsteigen zu lassen. Sie halten die Verfügung daher für gänzlich rechtswidrig. Wenigstens müsse die Stadt ihnen doch die Ausgaben für die Laternen ersetzen. Zum Erlass einer Verordnung wie der FluglatV sei außerdem, wenn überhaupt, die Stadt zuständig. Auch beschweren sie sich über die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes; bereits aus § 2 S. 2 FluglatV ergebe sich, dass dieses höchsten 1000 Euro betragen könne. Die Behörde verweist hinsichtlich der Rechtmäßigkeit auf die im Bescheid angegeben Begründung.
Fallfrage: Hat die Klage von F und M Erfolg?
- Fluglaternenverordnung NRW – (Gesetzgeberische Angaben) …Gestützt auf § 26 I OBG NRW.
- *1 – Es ist verboten, Papierlaternen mit eigener Brennquelle oder so genannte „Kong-Ming- Laternen“ (Fluglaternen) zu benutzen.*
- *2 – Ordnungswidrig handelt, wer gegen das Verbot des § 1 verstößt. Für den Falle der Zuwiderhandlung kann ein Bußgeld bis zu 1000 Euro verhängt werden.*
- *3 – Die Verordnung tritt am 31.12.2014 außer Kraft. Der Minister des Innern.*
Zudem ist ein Kalender für das gesamte Jahr 2014 abgedruckt.
Bearbeiterhinweis:
Alle aufgeworfenen Rechtsfragen sind, ggf. hilfsgutachterlich, zu beantworten. Die FluglatV wurde vom Innenminister dem Landtag vorgelegt, ausgefertigt und verkündet. Forst-, naturschutz- oder Luftfahrtverkehrsrechtliche Vorgaben sind nicht zu beachten.
Unverbindliche Lösungsskizze
A. Zulässigkeit
I. Verwaltungsrechtsweg, § 40 I 1 VwGO
- Öffentlich-rechtliche Streitigkeit
Hier: OBG, VwVG NRW
Nichtverfassungsrechtlicher Art (+)
Keine abdrängende Sonderzuweisung (+)
II. Statthafte Klageart
- VA, § 35 S. 1 VwVfG
Hier: Untersagungsverfügung und Androhung des Zwangsgeldes
- Erledigung
Hier: Zeitablauf (Hochzeit hat am 08.08.2014 ohne „Kong-Ming-Laternen“ stattgefunden)
- Zeitpunkt der Erledigung
Hier: Nach Erhebung der (Anfechtungs-)Klage
III. Besondere Sachurteilsvoraussetzungen
- Fortsetzungsfeststellungsinteresse, § 113 I 4 VwGO
Hier: Wiederholungsgefahr und Präjudizinteresse
- Klagebefugnis, § 42 II VwGO (analog)
Hier: Art. 2 I GG
- Erfolgloses Vorverfahren, §§ 68 ff. VwGO (analog)
(-), aber entbehrlich nach § 68 I 2 VwGO i.V.m. § 110 I 1 JustG NRW
4. Klagefrist, § 74 I 2 VwGO (analog)
Ein Monat ab Bekanntgabe
Bekanntgabe: 20.03.
Klageerhebung: 22.04.
Aber: Fristende fällt auf Sonntag und endet daher mit Ablauf des nächsten Werktages, hier Dienstag, d. 22.04., nach Ostermontag, § 57 VwGO i.V.m. § 222 II ZPO.
- Klagegegner
Hier: Stadt S, § 78 I Nr. 1 VwGO
IV. Allgemeine Sachurteilsvoraussetzung (+)
B. Objektive Klagehäufung, § 44 VwGO (+)
C. Begründetheit
I. Untersagungsverfügung
- Rechtswidrigkeit
a) Ermächtigungsgrundlage
aa) FluglatV
(-); Arg.: enthält keine Ermächtigungsgrundlage für den Einzelfall, sondern nur Verbot
bb) Ordnungsbehördliche Generalklausel, § 14 OBG
b) Formelle Rechtmäßigkeit
aa) Zuständigkeit (+)
bb) Verfahren
- Anhörung, § 28 I VwVfG (+)
cc) Form
- Schriftform, § 20 OBG (+)
c) Materielle Rechtmäßigkeit
aa) Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage (§ 14 OBG)
(1) Schutzgut
- Öffentliche Sicherheit; Fallgruppe: Geschriebenes Recht (FluglatV)
- Voraussetzung: Wirksamkeit der Verordnung
(a) Ermächtigungsgesetz
Hier: § 26 OBG
(b) Formelle Wirksamkeitsvoraussetzungen
- Insbesondere Zuständigkeit des Innenministers, § 26 II OBG; Arg.: einheitliche Regelung für das ganze Land wegen Verbreitung der „Kong-Ming-Laternen“ geboten.
(c) Materielle Wirksamkeitsvoraussetzungen
(aa) Voraussetzungen des Ermächtigungsgesetzes (§ 26 OBG)
(aaa) Schutzgut
- Öffentliche Sicherheit
Hier: Individualgüter Leib, Leben, Eigentum bzw. Kollektivgüter bei eventuellem Waldbrand betroffen
(bbb) Abstrakte Gefahr
(+); Arg.: Entstehung von Waldbränden bei typisierter Betrachtung nach den Feststellung des Gutachters hinreichend wahrscheinlich.
(bb) Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht (+)
(d) Ergebnis: FluglatV wirksam
(2) Konkrete Gefahr
(+); Arg.: Verstoß gegen FluglatV hinreichend wahrscheinlich; tatsächlich eingetretene Regenperiode nicht maßgeblich.
(3) Ordnungspflichtigkeit
Hier: Verhaltensstörer, § 17 OBG, und Zustandsstörer, § 18 OBG
bb) Rechtsfolge: Ermessen
Hier: Ermessensfehler nicht ersichtlich, insbesondere Untersagung auch verhältnismäßig.
2. Ergebnis: Klage bzgl. Untersagung unbegründet.
II. Androhung des Zwangsgeldes i.H.v. 2.000 Euro
1. Rechtswidrigkeit
a) Ermächtigungsgrundlage: §§ 55 I, 57 I Nr. 2, 60, 63 VwVG NRW
b) Formelle Rechtmäßigkeit (+)
c) Materielle Rechtmäßigkeit
aa) Vorliegen der Vollstreckungsvoraussetzungen
(1) GrundVA („HDU-Verfügung“)
Hier: Untersagung des Einsatzes der „Kong-Ming-Laternen“
(2) Wirksamkeit (+)
(3) Vollstreckbarkeit, § 55 I VwVG NRW
Hier: Anordnung der sofortigen Vollziehung, § 80 II 1 Nr. 4 VwGO
(4) Rechtmäßigkeit des GrundVA
- Umstritten, ob Rechtmäßigkeit des GrundVA Vollstreckungsvoraussetzung
Hier: GrundVA rechtmäßig (s.o.), so dass Streit dahinstehen kann.
bb) Vollstreckungspflichtigkeit
(+); Arg.: M und F Adressat des GrundVA
cc) Ordnungsgemäße Durchführung
(1) Androhung eines zulässigen Zwangsmittels
Hier: Zwangsgeld, §§ 57 I Nr. 2, 60 VwVG NRW
(2) Anforderungen des § 63 VwVG NRW (+)
(3) Verhältnismäßigkeit
- Begrenzung auf 1.000 Euro wegen § 2 FluglatV (-); Arg.: Höhe des Bußgeldes (Strafe) und Höhe des Zwangsgeldes (Effektivität des Zwangsgeldes) haben nichts mit einander zu tun.
- Ergebnis: Klage bzgl. Androhung des Zwangsgeldes unbegründet.
D. Gesamtergebnis: (-)
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