Sachverhalt (beruht auf einem Gedächtnisprotokoll)
Im Bundesland B gibt es das Feiertagsgesetz (FTG). Darin heißt es in § 3, dass an ruhigen Feiertagen nur solche Vergnügungsveranstaltungen erlaubt seien, die mit dem Charakter des Feiertages zu vereinbaren seien. In § 1 sind als solche ruhige Feiertage z.B. der Karfreitag und Totensonntag vermerkt. Außerdem Allerheiligen, der am 1.11. gefeiert wird und an dem katholische Christen traditionell der Verstorbenen gedenken. Sportveranstaltungen sind an diesem Tag ausdrücklich erlaubt.
Der Verein “Mehr Toleranz für internationale Feste in B” (V) aus dem Bundesland B hat es sich zur Aufgabe gemacht, Meinungskundgaben und Informationsveranstaltungen zu internationalen Festen zu veranstalten. Der Verein selbst hat 7 Mitglieder. Anfang Oktober verlautbart V, dass am 31.10. eine solche Meinungsaustausch- und Infoveranstaltung in der Diskothek in der Großstadt S stattfinden werde. In der Ankündigung wird darauf hingewiesen, dass es den Besuchern offen stehe, in Halloweenverkleidung zu erscheinen und es auch nicht verboten sei, sich rhythmisch zu Musik zu bewegen. V hat zu diesem Zweck bereits eine Diskothek angemietet, die Platz für 800 Menschen bietet. Gemietet wurde diese von 31.10. 22 Uhr bis 01.11. 07:00 Uhr.
Die zuständige Ordnungsbehörde der Stadt S verbietet nach erfolgter Anhörung dem V die Veranstaltung schriftlich per Bescheid. Als Begründung führt sie an, alleine die Diskrepanz von der Mitgliederzahl des Vereins zu dem Veranstaltungsraum spreche dafür, dass es sich um eine Scheinveranstaltung handele, die den Zweck habe, das Feiertagsverbot zu umgehen. Dafür spreche auch die Tatsache, dass jeder gegen eine Gebühr von 8 € Mitglied des Vereins werden könne. Die Ordnungsbehörde erklärt außerdem den sofortigen Vollzug. Dazu führt sie insbesondere aus, wegen des unverschämten Umgehungsversuches müsse an V ein Exempel statuiert werden.
Der V reicht noch am selben Tag, wirksam vertreten durch seinen Vorsitzenden, einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz und zugleich Klage ein. V führt aus, das FTG sei schon gar nicht anwendbar, da die Veranstaltung von V nicht öffentlich sei. Viel erheblicher sei aber die Tatsache, dass die Begriffe “ernst” und “öffentlich” aus § 3 FTG mit dem Bestimmtheitsgebot nicht zu vereinbaren seien. Außerdem zwinge das FTG allen Menschen den christlichen Glauben auf und sei mit dem Neutralitätsgebot daher unvereinbar. Außerdem verstoße es gegen das Recht auf Versammlungsfreiheit. Aufgrund der Tatsache, dass Sportveranstaltungen erlaubt seien, ergebe sich weiterhin ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz. Die V hält dem entgegen, so neutral sei der Staat gar nicht, was sich aus Art. 140 GG iVm Art. 139 WRV ergebe. Die Versammlungsfreiheit erfasse zudem gar nicht die Veranstaltung des V, da davon nicht jede Vereinsarbeit erfasst sei. Sport diene außerdem der Volksgesundheit und sei nicht so eine schrille Albernheit wie Halloween feiern.
Hat der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz des V Aussicht auf Erfolg?
Im Anhang wurde darauf hingewiesen, dass Halloween ein Fest ist, das am 31.10. gefeiert wird und zu dem Menschen Kostüme tragen. Außerdem wurde vorgegeben, dass das FTG formell verfassungsgemäß ist und § 110 JustG zeitlich gilt. Sofern Landesrecht anzuwenden sei, gelte NRW-Recht.
Unverbindliche Lösungsskizze
A. Zulässigkeit
I. Verwaltungsrechtsweg, § 40 I 1 VwGO (+)
II. Statthafte Verfahrensart
Hier: Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, § 80 V 1 2. Fall VwGO; Arg.: Verbot = Verwaltungsakt, gegen den in der Hauptsache die Anfechtungsklage die statthafte Klageart ist.
III. Antragsbefugnis, § 42 II VwGO analog
Hier: Art. 8, 5, 4, 3, 19 III GG
IV. Antragsgegner, § 78 I Nr. 1 VwGO
V. Rechtsschutzbedürfnis
Hauptsacherechtsbehelf nicht offensichtlich unzulässig (+)
Keine aufschiebende Wirkung
Hier: § 80 II 1 Nr. 4 VwGO
- Vorheriger Antrag bei der Behörde, § 80 IV VwGO
- Nicht erforderlich; Arg.: § 80 VI VwGO ; effektiver Rechtsschutz
VI. Beteiligten- und Handlungsfähigkeit, §§ 61, 62 II VwGO
- Bzgl. der Vereins: §§ 21, 26 BGB
B. Begründetheit
I. Formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung
Zuständigkeit, § 80 II 1 Nr. 4 VwGO
Verfahren
- Anhörung gem. § 28 I VwVfG (analog) nicht erforderlich; Arg.: Anordnung der sofortigen Vollziehung kein Verwaltungsakt
- Form
Gesonderte, schriftliche, tragfähige Begründung, § 80 II 1 Nr. 4, III VwGO (-); Arg.: das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung wird nicht deutlich
Heilung gem. § 45 I Nr. 2 VwVfG nicht möglich; Arg.: Anordnung der sofortigen Vollziehung kein Verwaltungsakt
II. Materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung
Darüber hinaus könnte die Anordnung der sofortigen Vollziehung auch materiell rechtswidrig sein.
(Problem: Prüfungsumfang – Ist nach Feststellung der formellen Rechtswidrigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung noch die materielle Rechtmäßigkeit/Rechtswidrigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung zu prüfen?
(+); Arg.: Prozessökonomie)
- Rechtmäßigkeit des zugrundeliegenden Verwaltungsaktes (Verbotsverfügung)
a) Ermächtigungsgrundlage
aa) Feiertagsgesetz (FTG)
(-); Arg.: FTG enthält nur Verbot, keine Ermächtigung
bb) § 5 Versammlungsgesetz
Problem: Versammlung
aA: Jeder Zweck ausreichend
aA: Politischer (öffentlicher) Zweck erforderlich
hM: Kommunikativer Zweck erforderlich, aber auch ausreichend
Hier: wohl bloße Tanzveranstaltung; Arg.: Ort; Uhrzeit, Dauer; Ankündigungen bzgl. der Musik; „Mitgliedsbeitrag“
b) Formelle Rechtmäßigkeit (+)
c) Materielle Rechtmäßigkeit
aa) Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage
(1) Schutzgut
- Öffentliche Sicherheit
- Fallgruppe: Geschriebenes Recht (§ 3 FTG)
(a) Wirksamkeit (Verfassungsmäßigkeit) des § 3 FTG
(aa) Formelle Verfassungsmäßigkeit (+)
(bb) Materielle Verfassungsmäßigkeit
(aaa) Verstoß gegen die Versammlungsfreiheit, Art. 8 GG
(-); Arg.: Wohl keine Versammlung (s.o.)
(bbb) Verstoß gegen Meinungsfreiheit, Art. 5 I 1 GG
(-); Arg.: Wohl keine Meinungsäußerung
(ccc) Verstoß gegen Glaubensfreiheit, Art. 4 I, II GG
Negative Glaubensfreiheit der Mitglieder
„Staatliches Neutralitätsgebot“ nicht absolut; Arg.: z.B. Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV
(ddd) Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, Art. 3 I GG
- Vergleich mit Sportveranstaltungen, die an Feiertagen ausdrücklich zugelassen sind
- Aber: Unterschiedsbehandlung wohl sachlich gerechtfertigt; Arg.: keine reine „Spaßveranstaltung“
(eee) Bestimmtheitsgebot
- „Öffentlich“ (+); Arg.: hinreichend konkretisiert, vgl. auch § 1 Versammlungsgesetz
- „Ernst“ wohl noch (+)
(b) Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 FTG (+)
(2) Gefahr (+)
(3) Ordnungspflichtigkeit
Hier: Verhaltensstörer, § 17 OBG
bb) Rechtsfolge: Ermessen
- Verhältnismäßigkeit (+)
- Weitere Interessenabwägung (+)
C. Gesamtergebnis/Gerichtlich Entscheidung
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hat Erfolg. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist zumindest formell rechtswidrig. Das Gericht wird die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufheben.
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