A. Sachverhalt (beruht auf einem Gedächtnisprotokoll)
Die 13 J besucht die 8. Klasse eines Gymnasiums in Düsseldorf. Im November 2013 fällt J mehrfach durch ihr Fehlverhalten in der Schule auf. So ruft J immer, wenn sich der neue Mitschüler M meldet: „Ey Missgeburt, sei still!“. Trotz Verwarnungen ändert J ihr Verhalten nicht. In einem Gespräch zwischen J, ihren Eltern, der Klassenlehrerin (K) von J und M, dem M, seinen Eltern sowie dem Schulleiter (S), wird auf das Fehlverhalten der J hingewiesen.
Die Eltern der J weisen die Vorwürfe mit dem Argument zurück, dass es normal sei, dass Kinder sich streiten. Das gehöre zum Erwachsenwerden dazu. Sie sehen keinen Handlungsbedarf. J lässt das unbeeindruckt und fragt am Ende „Sind wir jetzt fertig mit der Gerichtsshow?“.
Im Januar 2014, kippt J dem M auf dem Heimweg von der Schule außerhalb des Schulgeländes heißen Kakao über den Kopf und spuckt diesen an.
Als Schulleiter S davon Kenntnis erlangt, ist er entschlossen, jetzt Maßnahmen nach § 53 SchulG NRW gegen J zu verhängen. Er möchte J für 2 Wochen vom Schulunterricht ausschließen. Vorher möchte er J und ihren Eltern jedoch die Möglichkeit geben, sich zu der Sache im Beisein der K zu äußern.
Der Gesprächstermin wird auf den 16. Januar 2014 festgelegt. Als die Eltern der J von dem Vorhaben des S Kenntnis erlangen, sind diese erbost und wenden sich an Rechtsanwalt R. Dieser teilt mit Schriftsatz vom 14. Januar 2014 an S mit, dass er bei der Anhörung dabei sein möchte, hierzu beauftragt ist und die Interessen der J vertritt. S verweigert dem R aber die Anwesenheit bei dem Gespräch.
Am 16. Januar 2014 kommen J und ihre Eltern ohne R zur Schule. Noch im Türrahmen stehend sagt J nur „das interessiert mich so gar nicht!“ und geht.
Die Eltern der J äußern, S solle ihre „Tochter in Ruhe lassen; ohne ihren Anwalt äußert sich J nicht“, bevor auch diese gehen.
S ist vollkommen verärgert. Er erlässt am 16. Januar 2014 noch die Maßnahme, dass S ab Montag, 27. Januar 2014 für 2 Wochen vom Schulunterricht ausgeschlossen wird.
Die Maßnahme wird den Eltern der J am 17. Januar 2014 schriftlich und begründet zugestellt. In der Aufregung vergisst S, die K erneut zurate zu ziehen. Als diese am nächsten Tag von der Maßnahme erfährt, äußert sie, dass das Ganze in Ordnung gehe.
In seiner schriftlichen Begründung führt S an, J habe sich schon seit November schlecht verhalten und ihre Pflichten verletzt. Das Vorkommen im Januar habe das Fass zum überlaufen gebracht. Die Maßnahme sei nun wegen des schweren Fehlverhaltens der J dringend nötig, um sie zu recht zu weisen und den Schulfrieden wieder herzustellen. Die Maßnahme sei auch angemessen.
J’s Eltern sind erbost. Sie wenden ein, die J sei immer schön brav zur Schule gegangen und habe keine unentschuldigten Fehlstunden. Außerdem habe sie, was stimmt, ausschließlich gute Noten geschrieben. J habe also ihre Pflichten nach §§ 42, 43 SchulG NRW nicht verletzt, sondern erfüllt.
Ferner sei das Geschehen vom Januar nicht von Relevanz für den Schulleiter, da es außerhalb der Schulzeit und des Schulgeländes passiert ist. Außerdem seien auch die Vorkommnisse im November 2013 nicht einzubeziehen, da diese durch das Gespräch vor Weihnachten schon „verbraucht“ seien. J dürfe nicht doppelt bestraft werden, da sonst ein Verstoß gegen Art. 103 GG vorliege. Ferner sei das Verfahren fehlerhaft gewesen. Dass S die Beteiligung des R abgelehnt hat, verstoße schon gegen § 3 BRAO und ergebe sich auch aus dem anzuwendenden VwVfG NRW.
Weiter führen die Eltern an, in diesem Land gelte ja wohl die Meinungsfreiheit, die auch im Rahmen vom SchulG zugestanden wird.
Die Maßnahme verstoße weiter gegen das Recht der J auf Bildung aus § 1 SchulG NRW, da die Schule mit ihr den Bildungserfolg der J verhindere.
Frage 1: War die Ordnungsmaßnahme des S rechtmäßig?
Frage 2: Mit welchen Rechtsbehelfen können J / ihre Eltern am 17. Januar 2014 gegen die Maßnahme vorgehen?
Bearbeiterhinweis:
Es ist im Rahmen eines Gutachtens auf alle aufgeworfenen Rechtsfragen, ggf. hilfsgutachterlich, einzugehen.
Es ist davon auszugehen, dass die Bekanntgabe der Maßnahme ordnungsgemäß erfolgt ist.
Weitere §§ der BRAO (außer § 3 BRAO) sind nicht zu prüfen.
Es wurde außerdem auf den aktuellen § 110 I 1 JustG NRW „1. November 2007 bis zum 31. Dezember 2014“ hingewiesen.
Außerdem wurde auf die Änderung von § 110 IV 2 JustG NRW hingewiesen.
B. unverbindliche Lösungsskizze
Frage 1: Rechtmäßigkeit der Ordnungsmaßnahme
I. Ermächtigungsgrundlage: § 53 I, III Nr. 3 SchulG NRW
II. Formelle Rechtmäßigkeit
- Zuständigkeit
- Schulleiter, § 53 VI 1 SchulG NRW
- Verfahren
a) Anhörung der Schülerin und der Eltern, § 53 VI 1 u 3 SchulG
- Problem: Verweigerung der Zulassung des Anwalts, vgl. § 3 III BRAO und auch § 14 I 1 VwVfG NRW; evtl. Heilung durch spätere Einlassung der Eltern ohne Anwalt
b) Anhörung der Klassenlehrerin K, § 53 VI 3 SchulG
(-), aber Heilung durch nachträgliche Zustimmung der K, § 45 I Nr. 3 VwVfG NRW
- Form (+)
III. Materielle Rechtmäßigkeit
- Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage
- Pflichtverletzung durch die Schülerin, § 53 I 2, 42, 43 SchulG NRW
a) Hausaufgaben, § 42 III 2 SchulG NRW (+)
b) Teilnahme am Unterricht, § 43 I SchulG NRW(+)
c) Beeinträchtigung der Erfüllung der Aufgaben der Schule, § 42 III 1 SchulG NRW
- Aufgabe der Schule nicht nur Bildung, sondern auch Erziehung, insbesondere Vermittlung von sozialer Kompetenz, vgl. § 2 SchulG NRW
aa) Äußerungen gegenüber Mitschüler M im November 2013 („Ey, Missgeburt, sei still“)
Würdigung der konkreten Umstände: wiederholte Äußerungen, während des Unterrichts, besondere Herabwürdigung
Problem: „Verbrauch“ der Pflichtverletzung durch erzieherisches Gespräch mit Eltern im Dezember 2013, Art. 103 GG? Wohl kein Verbrauch; Arg.: Ordnungsmaßnahmen nach § 53 SchulG NRW sind keine „Strafe“, sondern stellen ein abgestuftes, auf einander aufbauendes Instrumentarium zur Sicherung des Schulfriedens dar.
bb) Verhalten auf dem Heimweg gegenüber Mitschüler M im Januar 2014 (Heißer Kakao und Anspucken)
- Problem: Verhalten außerhalb der Schulzeit und des Schulgeländes; aber: räumlich-sachlicher Zusammenhang.
- Rechtsfolge: Ermessen („können“)
- Verhältnismäßigkeit, § 53 I 3 SchulG NRW
a) Zweck
- Sicherung des Schulfriedens und der geordneten Unterrichts- und Erziehungsarbeit, § 53 I 1 SchulG NRW
b) Geeignetheit
(+); Arg.: Gelegenheit zum Überdenken des Fehlverhaltens
c) Erforderlichkeit
- Erzieherische Einwirkungen als milderes Mittel, § 53 I 4 SchulG (-); Arg.: Verwarnungen, Hinweise und Gespräch mit Eltern haben keinen Erfolg gehabt.
d) Verhältnismäßigkeit i.e.S.
aa) Verstoß gegen Meinungsfreiheit, Art. 5 I 1 GG
Meinungsfreiheit gilt auch für Schüler im öffentlich-rechtlichen Schulverhältnis, vgl. auch § 45 I, II SchulG
Aber: Schranken, Art. 5 II GG, § 45 SchulG – Ehrschutz, Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule; Schutz der Rechte anderer
bb) „Recht auf Bildung“, § 1 SchulG
- Einschränkung durch §§ 53, 42, 43 SchulG
IV. Ergebnis: (+)
Frage 2: Rechtsbehelfe der J/Ihrer Eltern gegen Maßnahme
A. Hauptsacherechtsbehelf
- Widerspruch, § 68 I 1 VwGO; Arg.: § 68 I 2 VwGO am Anfang i.V.m. § 110 I 1 JustG NRW gilt nicht wegen § 110 II Nr. 3 lit. a JustG NRW; Rückausnahmen nach § 110 IV JustG NRW greifen nicht.
B. Einstweiliger Rechtsschutz
- Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung, § 80 V 1 2. Fall VwGO; Arg.: Widerspruch hat wegen § 53 IV VwGO keine aufschiebende Wirkung.
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