A. Sachverhalt (vereinfacht)
T hat bei der K, einer Sparkasse, ein Bankschließfach mit der Nummer 341 angemietet. Als T stirbt, bittet B, die Alleinerbin der T, die K um Aushändigung des Schließfachinhalts und gibt an, nicht im Besitz des Schlüssels zu sein.
K lässt in ihrer Filiale im Beisein der B das Fach Nr. 341 aufbrechen und dieser den Inhalt aushändigen. Drei Monate später stellt sich heraus, dass T nicht das Schließfach in dieser Filiale, sondern in der Hauptstelle angemietet hatte. Das aufgebrochene Filialschließfach war hingegen von den Eheleuten M. gemietet worden, die darin eigenes Bargeld aufbewahrt hatten.
K ersetzt den Eheleuten M. die nach deren Angaben in dem Schließfach aufbewahrte Geldsumme von 31.000 € und verlangt von B die Erstattung dieses Betrages. B wendet ein, dass sie – was zutrifft – aufgrund einer paranoiden Schizophrenie geschäftsunfähig gewesen sei. Ferner hat sie sich auf Entreicherung berufen, weil sie das Geld ausgegeben hat.
B. Die Entscheidung des BGH (Urt. v. 20.11.2013, Az. XII ZR 19/11)
A. Anspruch aus § 812 I 1 Var. 1 BGB
Ein Anspruch könnte sich aus Leistungskondiktion ergeben. Dazu müsste B etwas durch Leistung der K erlangt haben.
B hat Besitz an den in dem Schließfach befindlichen Geldscheinen erlangt. Der BGH geht auch davon aus, dass sie den Besitz durch Leistung, also durch bewusste, zweckgerichtete Mehrung ihres Vermögens, erhalten habe:
„Bis zur Öffnung des Schließfachs lag der Besitz an dessen Inhalt bei den Eheleuten M. Ob es sich hierbei um deren Alleinbesitz (vgl. RGZ 141, 99, 101; OLG Düsseldorf FamRZ 1996, 493, 495 mwN) oder um Mitbesitz zusammen mit der Klägerin (vgl. Soergel/Stadler BGB 13. Aufl. § 854 Rn. 6, 22) handelte, kann hier offenbleiben. Denn die Klägerin begründete jedenfalls dadurch Besitz, dass sie das Schließfach durch ihre Mitarbeiter öffnen ließ. Die Übergabe des Schließfachinhalts an die frühere Beklagte diente sodann dazu, die vertragliche Pflicht der Klägerin zur Gebrauchsüberlassung hinsichtlich des Schließfachs oder einen gegen sie gerichteten Herausgabeanspruch der früheren Beklagten zu erfüllen. In beiden Fällen verschaffte die Klägerin der früheren Beklagten den Besitz somit durch Leistung. Dass die Klägerin eine verbotene Eigenmacht beging, steht ihrer Besitzleistung nicht entgegen. Die Geschäftsfähigkeit der früheren Beklagten war für den Empfang der Besitzleistung nicht erforderlich (vgl. Staudinger/Knothe BGB [2011] Vorbem zu §§ 104 - 115 Rn. 90).“
Schließlich besteht auch kein rechtlicher Behaltensgrund, also hat B den Besitz an den Geldscheinen rechtsgrundlos durch Leistung erlangt.
Gerichtet ist der Anspruch gemäß § 812 I BGB indes auf die Herausgabe des Erlangten, also auf die Herausgabe des Besitzes an den erlangten Geldnoten. K verlangt aber nicht die Herausgabe der erlangten Scheine, sondern die Zahlung von 31.000,00 €. Ein solcher Zahlungsanspruch könnte sich als Anspruch auf Wertersatz darstellen. Gemäß § 818 II BGB ist nämlich der Bereicherungsschuldner zum Wertersatz verpflichtet, wenn er – wie hier – nicht mehr zur Herausgabe des Erlangten imstande ist. Nun stellt sich die Frage, welcher Wert dem bloßen Besitz an den Geldnoten zukommt. Der BGH geht davon aus, dass dem Besitz als solchem grds. kein eigenständiger Wert zukomme und sich ein Wertersatzanspruch nur aus dem Eigentum ableiten lasse:
„aa) Dem Besitz als solchem kommt - neben aus der Sache gezogenen Nutzungen - kein eigenständiger Wert zu, der den Bestand des Besitzes überdauern oder bei Austauschgeschäften durch die erhaltene Gegenleistung ersetzt werden könnte. Die mithilfe fremden Geldes erworbenen Sachen verkörpern nicht den Wert des Besitzes, sondern des Eigentums (RGZ 98, 131, 135; RGZ 115, 31, 34; BGH Urteil vom 20. Oktober 1952 - IV ZR 44/52 - NJW 1953, 58, 59; Soergel/Hadding BGB 13. Aufl. § 818 Rn. 27; Klinkhammer Der Besitz als Gegenstand des Bereicherungsanspruchs [1997] S. 46, 98 f.). Ein eigenständiger Wert des Besitzes lässt sich auch nicht nach dem Gebrauchswert bemessen (aA Sosnitza Besitz und Besitzschutz [2003] S. 222; Münch-Komm/M. Schwab BGB 6. Aufl. § 818 Rn. 98). Der Gebrauchswert der Sache verwirklicht sich aufseiten des Bereicherungsschuldners in Form von Nutzungen, die dieser aus der Sache gezogen hat und die nach § 818 Abs. 1 BGB ohnedies - neben der Sache selbst - herauszugeben sind. Auf den - entgangenen - Gebrauchswert für den Gläubiger kann nicht abgestellt werden, weil sich ein darauf basierender Anspruch mangels eines korrespondierenden Wertes im Vermögen des Bereicherungsschuldners nur als Schadensersatzanspruch rechtfertigen ließe (vgl. Klinkhammer Der Besitz als Gegenstand des Bereicherungsanspruchs [1997] S. 98 ff.). Unter dem hier maßgeblichen Gesichtspunkt einer beim Schuldner eingetretenen und fortdauernden ungerechtfertigten Bereicherung lässt sich der Anspruch hingegen nicht begründen.
bb) Die Aktivlegitimation für einen Anspruch auf Wertersatz kann dementsprechend nicht aus dem Besitz (der Besitzkondiktion) folgen, sondern nur aus dem Eigentum, das hier den Eheleuten M. zustand. Bei einer gegenüber dem Eigentümer wirksamen Verfügung über die erlangte Sache greift daher nur der Anspruch aus § 816 Abs. 1 BGB als Rechtsfortwirkungsanspruch zugunsten des Eigentümers (RGZ 115, 31, 34; BGH Urteil vom 20. Oktober 1952 - IV ZR 44/52 - NJW 1953, 58, 59; in Bezug auf Geld Staudinger/K. Schmidt BGB [1997] Vorbem zu §§ 244 ff. Rn. B 12). Auch wenn die Verfügung unwirksam ist, kommt ein gegen den früheren Besitzer auf Wertersatz gerichteter Bereicherungsanspruch nicht in Betracht (aA Sosnitza Besitz und Besitzschutz [2003] S. 222). In diesem Fall verbleibt dem Eigentümer der Herausgabeanspruch aus § 985 BGB.
Aufseiten der früheren Beklagten [B] wäre in diesem Fall auch keine Vermögensmehrung eingetreten. Wenn die von der früheren Beklagten [B] hinsichtlich des Geldes getroffenen Verfügungen etwa wegen Geschäftsunfähigkeit unwirksam gewesen sein sollten, hätte sie schon keinen Gegenwert erwerben können, der sich als verbleibende Bereicherung noch in ihrem Vermögen befunden hätte. Mit dem Geld gekaufte Sachen hätte sie nicht zu Eigentum erworben, und von etwaigen mit dem Geld bedienten Schulden wäre sie nicht frei geworden. Selbst bei einem Eigentumserwerb durch Realakt gemäß §§ 946 ff. BGB ergäbe sich aus § 951 BGB zwar ein auf Wertersatz gerichteter Bereicherungsanspruch, dieser stünde aber nur demjenigen zu, der sein Recht verloren hat.“
B. Anspruch aus § 812 I 1 2. Fall BGB
Ein Anspruch könnte sich aus einer Rückgriffskondiktion ergeben. Das wäre dann der Fall, wenn K einen Anspruch der Eheleute M. gegen die B als Dritte gemäß § 267 BGB erfüllt hätte. Dann nämlich könnte die K nach § 812 I 1 Var. 2 BGB bei B Rückgriff nehmen. Zunächst einmal ist fraglich, ob K überhaupt eine Zahlung auf fremde Schuld im Sinne von § 267 BGB vorgenommen hat, weil dafür eine nach außen erkennbare, auf die Erfüllung einer fremden Schuld gerichtete Tilgungsbestimmung notwendig gewesen wäre. Das ist zweifelhaft, weil die K jedenfalls aus dem bestehenden Vertrag über das Schließfach den Eheleuten M. zum Schadensersatz verpflichtet war. Letztlich kann diese Frage aber dahinstehen, wenn den Eheleuten M. kein Anspruch gegen die B zustand.
I. Ein solcher Anspruch der Eheleute M., den Eigentümern der Geldscheine, könnte sich zunächst aus § 816 I 1 BGB ergeben. Das allerdings setzt voraus, dass B über die Geldnoten verfügt hat. Zwar hat sie das Geld ausgegeben, allerdings war sie dabei geschäftsunfähig; ihre Willenserklärungen waren damit nichtig (§§ 104 Nr. 2, 105 I BGB). Verfügungen der B im Sinne von § 816 I 1 BGB liegen demnach nicht vor.
II.
„Ein Anspruch aus § 951 BGB scheitert bereits daran, dass den Eheleuten M. auch im Fall einer Vermischung des Geldes nach §§ 948, 947 BGB anteiliges Miteigentum verblieben und daher kein Rechtsverlust entstanden wäre (vgl. Staudinger/Gursky BGB [2011] § 951 Rn. 4 mwN). „
III. Schließlich könnte sich ein Anspruch grds. aus §§ 989, 990 BGB ergeben. Doch ist B wegen ihrer Krankheit nicht verschuldensfähig (§ 827 S. 1 BGB).
Ein Anspruch der Eheleute M. bestand nicht; ein Anspruch der K aus Rückgriffskondiktion kommt somit nicht in Betracht.
C. Fazit
Eine interessante Entscheidung, die sich wunderbar für die Umsetzung in einer Prüfungsaufgabe eignet. Sie weist einen prägnanten Sachverhalt auf und verlangt vom Rechtsanwender, die einzelnen Anspruchsgrundlagen und Tatbestandsmerkmale sauber zu prüfen und scharf zwischen dem Eigentum und dem Besitz zu unterscheiden. Diese Kombination könnte Prüfer reizen.
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