OLG Braunschweig zur Strafbarkeit des Inbrandsetzens eines "Starenkastens"

A. Sachverhalt

Am 29.06.2010 befuhr der Angeklagte (A) am Steuer seines PKW die B 4 von Braunlage in Richtung Torfhaus. In Höhe der Einmündung zur B 242 wurde das vom Angeklagten geführte Fahrzeug von der dortigen, vom Landkreis Goslar betriebenen stationären Geschwindigkeitsmessanlage mit einer Geschwindigkeit von 107 km/h „geblitzt“. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit an dieser Stelle betrug 70 km/h. Der Angeklagte war zu diesem Zeitpunkt nicht im Besitz einer von deutschen Behörden erteilten Fahrerlaubnis, er besaß aber einen von einer polnischen Behörde ausgestellten Führerschein.

Der Angeklagte hatte bemerkt, dass er von der Geschwindigkeitsmessanlage geblitzt worden war. Er befürchtete daher, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung geahndet und darüber hinaus auch die Gültigkeit seiner polnischen Fahrerlaubnis durch die deutschen Behörden überprüft und möglicherweise in Frage gestellt werde.

Er entschloss sich daraufhin, die Geschwindigkeitsmessanlage durch Inbrandsetzen so zu beschädigen, dass das Bild nicht mehr verwertbar wäre, das von ihm bei der Geschwindigkeitsüberschreitung am 29.06.2010 gefertigt worden war.

Zu diesem Zweck fuhr der Angeklagte in der Nacht zum 01.07.2010 zu der stationären Geschwindigkeitsmessanlage, die ihn am 29.06.2010 geblitzt hatte.

Entsprechend dem zuvor getroffenen Tatplan stieg er mit einer zu diesem Zweck mitgenommenen Trittleiter zu dem Kasten, der am oberen Bereich der Geschwindigkeitsmessanlage angebracht war und in dem sich die Kamera und das Messgerät befanden. Er entfernte die beiden runden Glasabdeckungen vor der Kamera und dem Messgerät und stopfte durch die untere Öffnung ein Stoffstück in den Kasten der Messanlage, das zuvor von einem zu diesem Zweck mitgenommenen Bettbezug abgerissen worden war. Anschließend zündete er das in den Kasten gestopfte Stoffstück an, das in Brand geriet. Wie vom Angeklagten beabsichtigt, wurden die in dem Kasten eingebauten Teile der Messanlage durch das in Brand gesetzte Stoffstück beschädigt. Eine Reparatur dieser Teile war nicht mehr möglich. Da die aufgrund der Tat irreparabel beschädigten Geräte im Kasten der Geschwindigkeitsmessanlage nicht mehr hergestellt wurden, wurde in dem Kasten der Geschwindigkeitsmessanlage ein neues elektronisches Messgerät installiert. Die dem Landkreis Goslar hierdurch entstandenen Kosten betrugen 40.271,98 Euro. Ein Gerät des durch die Tat zerstörten Typs, hätte, wenn es noch lieferbar gewesen wäre, ca. 30.000,00 bis 35.000,00 Euro gekostet.

Strafbarkeit des A?

B. Die Entscheidung des OLG Braunschweig (Urt. v. 18.10.2013, Az. 1 Ss 6/13)

I. Strafbarkeit gemäß § 306 I Nr. 2 2. Var. StGB wegen einfacher Brandstiftung

A hat den „Starenkasten“ in Brand gesetzt. Fraglich ist, ob es sich dabei um eine „technische Einrichtung“ im Sinne von § 306 I Nr. 2 Var. 2 StGB handelt.

Unter Auseinandersetzung mit den dazu in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansichten stellt der Senat dar, dass es sehr zweifelhaft sei, ob eine Geschwindigkeitsmessanlage als „technische Einrichtung“ qualifiziert werden könne:

„Der Tatbestand des § 306 I Nr. 2 Var. 2 StGB ist nicht einschlägig, weil eine Geschwindigkeitsmessanlage keine technische Einrichtung ist. Zwar lässt sich der in der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft zitierten Kommentierung von Fischer entnehmen, dass „Überwachungsanlagen“ unter den Begriff der technischen Einrichtung fallen sollen (Fischer, StGB, 60. Aufl,. § 306 Rn. 5). Es bleibt jedoch offen, welche Art von „Überwachungsanlagen“ hier gemeint sind und ob Geschwindigkeitsmessanlagen hierunter fallen. Demgegenüber besteht in der Kommentarliteratur Einigkeit, dass der weite Begriff der technischen Einrichtung der Einschränkung bedarf (Fischer, StGB, 60. Aufl., § 306 Rn. 5; Norouzi in von Heintschel-Heinegg, StGB, § 306 Rn. 8; Wolff in Leipziger Kommentar StGB, 12. Aufl., § 306 Rn. 30; Radtke in Münchner Kommentar, StGB, § 306 Rn. 16, 32). Aus diesem Grund wird teilweise verlangt, dass die technische Einrichtung in einem funktionalen Zusammenhang mit einer Betriebsstätte i. S. d. § 306 I Nr. 2 Var. 1 StGB stehen muss (Radtke in Münchner Kommentar, StGB, § 306 Rn. 32; Wolff in Leipziger Kommentar StGB, 12. Aufl., § 306 Rn. 30; Heine in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 306 Rn. 5; Wolters in SSW StGB, § 306 Rn. 4). Es sei - wie die namentliche Benennung einer Maschine als technische Einrichtung § 306 I Nr. 2 StGB zeige - ein Bezug zu einem Gewerbebetrieb (Wolff in Leipziger Kommentar StGB, 12. Aufl., § 306 Rn. 30) oder zumindest zu einem Unternehmen (Radtke in Münchner Kommentar, StGB, § 306 Rn. 32; Heine in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 306 Rn. 5) erforderlich.“

Ob eine Bußgeldbehörde, die mithilfe einer Geschwindigkeitsmessanlage eine öffentliche Aufgabe (Verkehrsüberwachung) verfolgt, in den Anwendungsbereich des § 306 StGB fällt, lässt der Senat letztlich offen. Eine Strafbarkeit gemäß § 306 StGB scheide in diesem Fall aus, da dessen Schutzzweck nicht tangiert sei:

„Denn bei der Anwendung des § 306 I Nr. 2 StGB muss die Tathandlung jedenfalls generell gemeingefährlich sein (Radtke in Münchner Kommentar, StGB, § 306 Rn. 32; Norouzi in von Heintschel-Heinegg, StGB, § 306 Rn. 6.1. Es kommt nach dieser, aus Sicht des Senats zutreffenden Ansicht darauf an, ob das Inbrandsetzen der Geschwindigkeitsmessanlage generell als geeignet anzusehen ist, nicht nur den Messanlageneigentümer zu schädigen, sondern auch sonstige Rechtsgüter zu beeinträchtigen (vgl. Radtke in Münchner Kommentar, StGB, § 306 Rn. 21; Norouzi, a. a. O.). Für diese Auffassung spricht, dass nur die (generelle) Gemeingefährlichkeit die erhebliche Strafdrohung rechtfertigen kann (Radtke in Münchner Kommentar, StGB, § 306 Rn. 10; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 306 Rn. 21 [wegen der Beschränkung auf fremde Tatobjekte nur „mühsam“]). Für den Tatbestand des § 306 I Nr. 1 StGB hat der Bundesgerichtshof unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien anerkannt, dass es sich um kein reines Eigentumsdelikt handelt. Der Vorschrift hafte vielmehr ein „Element der Gemeingefährlichkeit“ an (BGH, Beschluss vom 21.11.2000, 1 StR 438/00, juris, Rn. 5). Weil der Bundesgerichtshof dieses, § 306 I Nr. 1 StGB betreffende Ergebnis insbesondere mit der systematischen Stellung des § 306 StGB im 28. Abschnitt (Gemeingefährliche Straftaten) begründet hat, kann für § 306 I Nr. 2 StGB nichts anders gelten.“

II. Strafbarkeit gemäß § 316b I Nr. 3 StGB

In Betracht kommt eine Strafbarkeit nach § 316b I Nr. 3 StGB („Störung öffentlicher Betriebe“) – ein aus Sicht eines Examenskandidaten sicherlich exotischer Tatbestand. Bei der (ortsfesten) Geschwindigkeitsmessanlage müsste es sich um eine der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung dienende Einrichtung oder Anlage handeln.

Das OLG Karlsruhe hat diese Frage im Jahre 2012 bejahen wollen, der BGH hat sie kürzlich offen gelassen. Das OLG Braunschweig kommt zu dem Ergebnis, dass eine Strafbarkeit gemäß § 316b StGB ausscheide:

„§ 316b I Nr. 3 StGB ist ebenfalls nicht einschlägig. Zwar wird in Rechtsprechung (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17.08.2012, 2 Ss 107/12, juris, Rn. 8 ff.) und Literatur (Fischer, StGB, 60. Aufl., § 316 b Rn. 5 [Radaranlagen]; König in Leipziger Kommentar StGB, 12. Aufl., § 316 b Rn. 29 [Geschwindigkeitsmessanlage]) teilweise die Auffassung vertreten, dass Geschwindigkeitsmessanlagen als Anlagen i. S. d. § 316b I Nr. 3 StGB der öffentlichen Sicherheit dienen. Dem ist indes bereits entgegenzuhalten, dass § 316b StGB zwischen der Anlage, die die öffentliche Ordnung oder Sicherheit verfolgt, und der dem Betrieb der Anlage dienenden Sache unterscheidet (OLG Stuttgart, Beschluss vom 03.03.1997, 2 Ss 59/97, juris, Rn. 12). Geschwindigkeitsmessanlagen sind als bloße Hilfsmittel der Bußgeldbehörde anzusehen und deshalb selbst weder Einrichtung noch Anlage i. S. d. § 316b StGB (Sternberg-Lieben/Hecker in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 316 b Rn. 5; Wieck-Noodt in Münchner Kommentar, StGB, § 316 b Rn. 21; differenzierend: OLG Stuttgart, Beschluss vom 03.03.1997, 2 Ss 59/97, juris, Rn. 12 ff.). Weil die Bußgeldbehörde jedenfalls primär das Ziel verfolgt, in repressiver Weise Ordnungswidrigkeiten zu ermitteln und zu ahnden, dient sie nicht der Abwehr von Gefahren für bedeutende Rechtsgüter und ist deshalb keine Einrichtung i. S. d. § 316 b Abs. 1 Nr. 3 StGB (OLG Stuttgart, Beschluss vom 03.03.1997, 2 Ss 59/97, juris, Rn. 12 ff.; Sternberg-Lieben/Hecker, a. a. O.; Wieck-Noodt, a. a. O.; Bernstein, Zur Rechtsnatur von Geschwindigkeitskontrollen, NZV 1999, 316, 321).

Soweit das Oberlandesgericht Stuttgart der in jenem Fall zu beurteilenden Geschwindigkeitsmessanlage wegen eines vorgeschalteten Hinweis - und Warnschildes, das die Messanlage angekündigt hat, auch eine eigenständige Gefahrabwendungsfunktion beigemessen hat (OLG Stuttgart, Beschluss vom 03.03.1997, 2 Ss 59/97, juris, Rn. 18 f.), hat dies vorliegend schon deshalb keine Bedeutung, weil nach den Feststellungen der Kammer nicht von einer angekündigten sondern von einer verdeckten Verkehrskontrolle auszugehen ist. Die Annahme einer auf angekündigte Geschwindigkeitsmessungen beschränkten Gefahrabwendungsfunktion, wie sie dem Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart zugrunde liegt, stößt zudem deshalb auf Bedenken, weil sie zu einer unterschiedlichen rechtlichen Behandlung von offenen und verdeckten Geschwindigkeitsmessanlagen führt (Bernstein, Zur Rechtsnatur von Geschwindigkeitskontrollen, NZV 1999, 316, 322).“

III. Strafbarkeit gemäß § 304 StGB

Auch eine Strafbarkeit wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung komme nicht in Betracht,

„weil eine Geschwindigkeitsmessanlage kein Gegenstand ist, der zum öffentlichen Nutzen aufgestellt ist. Hierunter fallen nur solche Gegenstände, bei denen anzunehmen ist, dass jedermann aus ihrem Vorhandensein oder ihrem Gebrauch einen unmittelbaren Nutzen ziehen kann (Stree/Hecker in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 304 Rn. 5). Die erforderliche Unmittelbarkeit ist bei Geschwindigkeitsmessanlagen nicht gegeben, weil sie sich für die Allgemeinheit wegen ihrer verkehrsdisziplinierenden Wirkung allenfalls mittelbar als vorteilhaft auswirken (Stree/Hecker, a. a. O.).“

IV. Strafbarkeit gemäß § 303 StGB

A hat aber den Tatbestand der (einfachen) Sachbeschädigung erfüllt.

V. Strafbarkeit gemäß §§ 274 I Nr. 1 Var. 2, II, 22, 23 StGB

Schließlich bliebe noch eine Strafbarkeit wegen versuchter Urkundenunterdrückung, da A die von ihm gefertigten Lichtbilder – technische Aufzeichnungen – unbrauchbar machen wollte, was ihm letztlich aber nicht gelungen ist. Doch scheitere auch hier eine Strafbarkeit aus rechtlichen Gründen:

„Die Vereitelung des staatlichen Bußgeldanspruchs ist kein Nachteil i. S. d. dieser Vorschrift (BGH, Beschluss vom 15.07.2010, 4 StR 164/10, juris, Rn. 7; BayObLG NJW 1989, S. 656; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.07.1989, 5 Ss 251/89, juris; Zieschang in Leipziger Kommentar StGB, 12. Aufl., § 274 Rn. 71).“

C. Fazit

In letzter Zeit mehren sich Entscheidungen, die sich der Frage widmen, ob und inwiefern Manipulationen (i.w.S.) an Geschwindigkeitsmessanlagen strafbar sind. Auch wir haben über eine entsprechende Entscheidung des BGH (zu § 316b StGB) erst kürzlich berichtet. Es zeigt sich, dass sich bislang – insbesondere im Hinblick auf § 316b StGB – noch keine klare Linie herausgebildet hat; hier ist Vieles im Fluss. Genau das aber macht derartige Fallkonstellationen für Prüfer so reizvoll!