BGH zur Verwirklichung von Raubqualifikationen nach Vollendung der Tat

A. Sachverhalt

Die Angeklagten bestiegen ein von ihnen angefordertes Taxi, um absprachegemäß den Fahrer zu überfallen. Der Angeklagte S. nahm auf dem Beifahrersitz Platz, der Angeklagte R. begab sich auf die Rückbank. Unmittelbar darauf hielt jeder der Angeklagten dem Fahrer eine Gaspistole an den Kopf. Ob die Waffen geladen waren, konnte nicht festgestellt werden. Unter der Drohung, ihm ansonsten eine Kugel in den Kopf zu schießen, forderte der Angeklagte S. von ihm die Herausgabe von Portemonnaie und Handy. Der Geschädigte, der davon ausging, dass die Angeklagten sich auch ohne seine Mitwirkung die Geldbörse genommen hätten, übergab dem Angeklagten S. die Taxi-Geldbörse mit 250 Euro Inhalt, die dieser ebenso an sich nahm wie einen im Fahrzeug vorgefundenen Kleinrechner. Auf die Aufforderung des Angeklagten S. “gib ihm eine” versetzte der Angeklagte R. dem Geschädigten beim anschließenden Aussteigen noch einen Schlag mit der Waffe auf den Kopf, wodurch dieser eine Schädelprellung erlitt.

Haben sich R und S wegen gemeinschaftlichen Raubes oder gemeinschaftlicher räuberischer Erpressung strafbar gemacht?

B. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes (Beschl. v. 1.10.2013, Az. 3 StR 299/13)

I. Strafbarkeit gemäß §§ 250 II Nr. 1, 25 II StGB

Indem S die Geldbörse an sich nahm und R dem Geschädigten einen Schlag mit der Waffe versetzte, könnten sie sich gemäß §§ 250 II Nr. 1, 25 II StGB strafbar gemacht haben.

Indem S und R gemeinschaftlich dem Geschädigten ihre Gaswaffen an den Kopf hielten und ihm mit der Erschießung drohten, haben sie eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für das Leben des Geschädigten verübt. Fraglich ist, ob sie die Geldbörse – eine fremde bewegliche Sache – weggenommen haben. In Betracht kommt insoweit nämlich auch eine räuberische Erpressung (§§ 253, 255 StGB). Bekanntlich ist die Abgrenzung der beiden Tatbestände in Rechtsprechung und Literatur äußerst umstritten.

Nach herrschender Ansicht in der Literatur handelt es sich bei der Erpressung um ein Selbstschädigungsdelikt, welches – ebenso wie der Betrug – als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal eine Vermögensverfügung voraussetze. Danach liege eine (fremd schädigende) Wegnahme vor, wenn das Opfer bei Vollzug des Gewahrsamswechsels annimmt, dass die eigene Mitwirkung nicht notwendig sei. Eine (selbstschädigende) Vermögensverfügung liege demgegenüber vor, wenn das Opfer sich selbst eine „Schlüsselstellung“ bei dem Gewahrsamswechsel zuschreibt.

Der Geschädigte war sich bewusst, dass er den Gewahrsamswechsel nicht hätte verhindern können, sodass eine Wegnahme zu bejahen ist.

Der BGH geht hingegen in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass es sich bei § 249 StGB um eine lex specialis gegenüber § 255 StGB handele.  Die Abgrenzung von § 249 StGB und § 255 StGB erfolge danach nicht nach denselben Kriterien wie bei der Abgrenzung von Selbst- zu Fremdschädigungsdelikten. Im Rahmen des § 249 StGB gelte vielmehr ein eigenständiger Wegnahmebegriff: Eine Wegnahme liege vor, wenn der Täter nach dem äußeren Erscheinungsbild die Sache an sich nimmt.

Danach liege hier eine Wegnahme nicht vor, weil der Geschädigte die Geldbörse übergeben hat.

Folgt man der Ansicht der Rechtsprechung, die nicht auf schwer beweisbare innere Tatsachen abstellt, sondern auf das äußere Erscheinungsbild, scheidet eine Strafbarkeit gemäß §§ 250 II Nr. 1, 25 II StGB aus.

II. Strafbarkeit gemäß §§ 255, 253, 250 II Nr. 1, 25 II StGB

In Betracht kommt aber eine Strafbarkeit wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung. Den Grundtatbestand der §§ 253, 255 StGB haben die gemeinschaftlich handelnden S und R in objektiver und subjektiver Hinsicht erfüllt, wenn man der Rechtsprechung folgt, die – dem Wortlaut entsprechend – als Duldung im Sinne der §§ 253, 255 StGB auch die durch Gewalt erzwungene Duldung der Wegnahme der Geldbörse anerkennt.

Fraglich ist, ob sie auch die Qualifikation des § 250 II Nr. 1 StGB erfüllt haben.

Insoweit kann zunächst an die Drohung mit der Gaswaffe angeknüpft werden. Zwar hat der Große Senat für Strafsachen – dogmatisch nicht überzeugend (vgl. Fischer, StGB, 60 Aufl. 2013, § 250 Rn. 5a ff.) – im Jahre 2003 entschieden, dass eine geladene Schreckschusspistole, bei der der Explosionsdruck nach vorne austritt, eine Waffe im technischen Sinne i.S.v. § 250 II Nr. 1 StGB darstelle (BGH NStZ 2003, 606). Doch konnte hier nicht festgestellt werden, dass die Pistolen geladen waren, sodass insoweit die Voraussetzungen des § 250 II Nr. 1 StGB nicht vorliegen.

Womöglich erfüllt aber der Schlag des R mit der Waffe die Qualifikation des § 250 II Nr. 1 StGB. Grundsätzlich ist darin, das Verwenden eines anderen gefährlichen Werkzeugs zu erblicken. Das müsste allerdings „bei der Tat“ erfolgt sein. Problematisch ist hierbei, dass der Schlag erst nach Inbesitznahme der Geldbörse und damit nach Vollendung der räuberischen Erpressung erfolgte.

In der Rechtsprechung des BGH ist anerkannt, dass die Qualifikationen im Sinne von § 250 I und II StGB auch in der Phase zwischen Vollendung und Beendigung des Delikts erfüllt werden können. Einschränkend verlangt der BGH aber:

„Dabei muss aber das gefährliche Tatmittel zur weiteren Verwirklichung der Zueignungsabsicht - oder im Falle der §§ 253, 255, 250 II StGB der Bereicherungsabsicht - verwendet werden; der Einsatz des gefährlichen Werkzeugs muss mit Blick auf die erhöhte Strafandrohung des § 250 II StGB im Vergleich zu § 250 I Nr. 1 Buchst. a), b) StGB daher zumindest als Mittel zur Sicherung des Besitzes an dem erlangten Gut, mithin in Beutesicherungsabsicht erfolgt sein (BGHSt 52, 377; 53, 236 ff.). Ein Verwenden ‘bei der Tat’ nach Vollendung liegt ferner vor, wenn das gefährliche Werkzeug vor Beendigung der Tat mit dem Ziel einer weiteren Wegnahme eingesetzt wurde, diese aber nicht mehr zur Vollendung gelangte (BGH NJW 2010, 1385).“

Hier ist bereits fraglich, ob die Tat nicht bereits beendet (vgl. § 78a StGB) war und eine Qualifikation aus diesem Grund ausscheidet. Der BGH lässt diese Frage letztlich offen, da er die notwendige Beutesicherungsabsicht nicht zu erkennen vermag:

„Selbst wenn die Tat noch nicht vollendet war, fehlt es hier jedenfalls an einer Beutesicherungsabsicht. Eine solche ergibt sich weder aus den Feststellungen noch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe. Vielmehr hatten der Angeklagte und sein Mittäter die Beute an sich genommen. Anhaltspunkte dafür, dass das Opfer oder ein hinzugetretener Dritter ihnen diese wieder streitig machen wollten, sind den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.“

III. Strafbarkeit gemäß §§ 255, 253, 250 I Nr. 1 b), 25 II StGB

Es bleibt aber eine Strafbarkeit gemäß §§ 255, 253, 250 I Nr. 1 b), 25 II StGB. Die Angeklagten führten ungeladene Schreckschusspistolen bei sich, um den Widerstand des Geschädigten durch Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden.

IV. Strafbarkeit gemäß §§ 250 I Nr. 1 b), 25 II StGB

Schließlich kommt eine Strafbarkeit wegen schweren Raubes durch Wegnahme des Kleinrechners in Betracht. Hier liegt nach Ansicht des BGH, der auf das äußere Erscheinungsbild abstellt – eine Wegnahme vor. Insoweit liegt aber nur eine Tat im Sinne des § 52 StGB vor (natürliche Handlungseinheit).

C. Fazit

Eine lehrreiche Entscheidung, die zur Wiederholung der („examensklassischen“) Abgrenzung zwischen § 249 StGB und §§ 253, 255 StGB und den Voraussetzungen der Qualifikationen des § 250 I und II StGB einlädt, die immer wieder Gegenstand von Examensklausuren sind. Sie zeigt auch, dass eine Differenzierung zwischen den einzelnen Handlungen bzw. Gegenständen (hier: Geldbörse einerseits und Kleinrechner andererseits) notwendig ist, da die rechtliche Beurteilung durchaus unterschiedlich ausfallen kann. Ein Korrektor wird genaues und systematisches Arbeiten honorieren.

Neben den hier angesprochenen Fragen behandelt die Entscheidung auch noch weitere Probleme zu § 224 StGB, sodass eine Lektüre der Entscheidung auch vor diesem Hintergrund lohnenswert sein dürfte.

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