OVG Hamburg: Rechtmäßigkeit der Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung

K unterhielt eine Beziehung zu Frau S. Nach dem Ende der Beziehung nahm K wiederholt und gegen den Willen seiner früheren Freundin Kontakt zu dieser auf, und zwar in erster Linie durch Telefonanrufe, E-Mails und SMS. Frau S. erwirkte gegen K eine einstweilige Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz, in der ihm jede Kontaktaufnahme zu Frau S. untersagt wurde. Dennoch nahm K erneut Kontakt zu Frau S. auf. Daraufhin wurde gegen K ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz eingeleitet. Die zuständige Kriminalpolizei ordnete aus Anlass dieses Ermittlungsverfahrens unter ausdrückliche Bezugnahme auf § 81b 2. Fall StPO eine erkennungsdienstliche Behandlung des K an, weil er durch wiederholtes strafrechtliches Handeln kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten sei und das erkennungsdienstliche Material bei künftigen Straftaten als Beweismittel benötigt werde. K legte dagegen form- und fristgerecht Widerspruch ein mit der Begründung, er sei nicht vorbestraft und die Maßnahme sei in Anbetracht der gegen ihn erhobenen Vorwürfe unverhältnismäßig.

K wurde im weiteren Verlauf rechtskräftig wegen anderer Verstöße zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt. Die Staatsanwaltschaft stellte daraufhin das Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz nach § 154 I StPO ein.

Danach wurde der Widerspruch des K gegen die Anordnung nach § 81b StPO zurückgewiesen. Dagegen erhebt K Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht mit dem Antrag, die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung in Gestalt des Widerspruchsbescheids aufzuheben.

Das OVG Hamburg (Urt. v. 11.4.2013, Az. 4 Bf 141/11) versagt der Klage des K den Erfolg.

A. Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges

Zunächst war zu erörtern, ob für die Klage der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist (§ 40 I VwGO). Denn immerhin legt jedenfalls die systematische Stellung des § 81b StPO nahe, dass es sich um eine strafprozessuale Maßnahme handelt, über deren Rechtmäßigkeit auf Antrag nach § 23 EGGVG die ordentlichen Gerichte zu entscheiden haben. Anerkanntermaßen handelt es sich aber bei der Anordnung nach § 81b 2. Fall StPO (nicht hingegen bei derjenigen nach § 81b 1. Fall StPO!) um eine Regelung des materiellen Polizeirechts. Die Anordnung dient nämlich nicht der Verfolgung einer konkreten Straftat, sondern der Strafverfolgungsvorsorge. Das BVerwG hat dazu im Jahre 2011 ausgeführt:

“Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dienen die Anfertigung, Aufbewahrung und systematische Zusammenstellung solcher erkennungsdienstlichen Unterlagen in kriminalpolizeilichen Sammlungen nach ihrer gesetzlichen Zweckbestimmung - ohne unmittelbaren Bezug zu einem konkreten Strafverfahren - der vorsorgenden Bereitstellung von sächlichen Hilfsmitteln für die sachgerechte Wahrnehmung der Aufgaben, die der Kriminalpolizei hinsichtlich der Erforschung und Aufklärung von Straftaten durch § 163 StPO zugewiesen sind. … Während § 81b 1. Fall StPO mit der ausdrücklichen Benennung der tatbestandlichen Voraussetzung “für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens” der Strafverfolgung dient, soll die Ermächtigung in § 81b 2. Fall StPO der zukünftigen Durchführung der Strafverfolgung in Bezug auf mögliche spätere oder später bekannt werdende Straftaten zugute kommen. Es handelt sich bei § 81b 2. Fall StPO nicht um eine Regelung im Bereich der Strafverfolgung, sondern um die Ermächtigung zu Maßnahmen der Strafverfolgungsvorsorge, die außerhalb konkreter Strafverfahren erfolgen und auf die deshalb die §§ 23 ff. EGGVG nicht anwendbar sind.” (BVerwG NVwZ-RR 2011, 710)

B. Zulässigkeit der Klage
Die Zulässigkeit der Anfechtungsklage war demgegenüber nicht weiter zu problematisieren.

C. Begründetheit der Klage

Im Rahmen der Begründetheit prüft das OVG, ob die angegriffenen Bescheide rechtmäßig sind und den Kläger in seinen Rechten verletzen (§ 113 I 1 VwGO).

I. § 81b Alt. 2 StPO
Zunächst nimmt das OVG (naheliegenderweise) § 81b 2. Fall StPO als denkbare Rechtsgrundlage der behördlichen Anordnung in den Blick:

“Tatbestandsvoraussetzung der Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung ist, dass der Betroffene im Zeitpunkt der Anordnung Beschuldigter ist. Denn die als Verwaltungsakt ergehende Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung stellt die Grundlage für die erkennungsdienstliche Behandlung dar. Durch sie werden die gesetzliche Pflicht des Betroffenen zur Duldung von erkennungsdienstlichen Maßnahmen präzisiert und die im Einzelfall konkret beabsichtigten Maßnahmen bestimmt. Grundlage für diesen Verwaltungsakt ist die in § 81b 2. Fall StPO normierte Duldungspflicht des Betroffenen als Beschuldigter eines gegen ihn gerichteten Strafverfahrens. Voraussetzung der Anordnung ist daher, dass ein Straf- oder Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen schwebt. Nur während der Anhängigkeit eines solchen Verfahrens kann die Anordnung ergehen.”

1. K als Beschuldigter?
Dies vorausgeschickt, erörtert das Gericht, wer Beschuldigter im Sinne des § 81b StPO ist:

“Der Begriff des Beschuldigten ist in der StPO nicht ausdrücklich definiert. Nach herrschender Ansicht ist Beschuldigter im Sinne von § 81b StPO der Verdächtige, gegen den aufgrund zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte ein Strafverfahren betrieben wird. Dabei beginnt die Beschuldigteneigenschaft mit jeder Maßnahme, die erkennbar darauf gerichtet ist, gegen jemanden als Beschuldigten vorzugehen. Ein Verdächtiger erlangt danach die Stellung eines Beschuldigten, wenn die zuständige Strafverfolgungsbehörde Maßnahmen gegen ihn ergreift, die erkennbar darauf abzielen, gegen ihn wegen einer Straftat vorzugehen. Die Beschuldigteneigenschaft endet mit der Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 170 II StPO, mit der Einstellung des Ermittlungsverfahrens oder des gerichtlichen Verfahrens nach den §§ 153 ff. StPO und mit der rechtskräftigen Erledigung des Verfahrens durch Urteil, Strafbefehl, Einstellungsbeschluss nach den §§ 206a, 206b StPO oder Nichteröffnungsbeschluss nach § 204 StPO. Die Beendigung der Beschuldigteneigenschaft erfordert dabei eine Prozesshandlung des jeweils zuständigen Prozessorgans.”

Danach sei K im Zeitpunkt des Ausgangsbescheides “Beschuldigter” i.S.v. § 81b 2. Fall StPO gewesen, diese Eigenschaft habe er aber vor Erlass des Widerspruchsbescheides infolge der Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft nach § 154 I StPO verloren. Daran ändere auch nichts, dass K in einem anderen Strafverfahren rechtskräftig verurteilt wurde:

“Denn durch eine rechtskräftige Verurteilung wird der Beschuldigte, der gemäß § 157 1. HS StPO durch Erhebung der öffentlichen Klage zum Angeschuldigten und gemäß § 157 2. HS StPO mit der Eröffnung des Hauptverfahrens zum Angeklagten wird, zum Verurteilten. Dass ein rechtskräftig Verurteilter nicht mehr Beschuldigter im Sinne von § 81b StPO ist, hat zwar die Konsequenz, dass nach den Regeln der StPO keine Rechtsgrundlage für die Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen gegen diesen Personenkreis zur Verfügung steht. Eine Maßnahme nach § 81b 2. Fall StPO ist danach zwar während des Ermittlungsverfahrens zulässig, aber nicht mehr, wenn der Verdacht sich durch die Verurteilung zur Erkenntnis verstärkt hat und die Notwendigkeit vorbeugender Maßnahmen für den Wiederholungsfall umso eher anzunehmen ist. Einer Ausweitung des Beschuldigtenbegriffs auf den rechtskräftig Verurteilten, wie sie zum Teil in der Literatur vertreten wird, steht jedoch die Gesetzessystematik der StPO entgegen. Denn das Tatbestandsmerkmal des Beschuldigten setzt für den ersten Fall des § 81b StPO begrifflich ein laufendes und kein abgeschlossenes Strafverfahren voraus, da die danach zulässigen erkennungsdienstlichen Maßnahmen für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens angeordnet werden können. Der Begriff des Beschuldigten in § 81b StPO kann jedoch nicht unterschiedlich ausgelegt werden, weil § 81b StPO in seinen beiden Alternativen zwar nach dem Zweck der Maßnahme, nicht aber nach dem Kreis der Betroffenen differenziert.”

2. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit
Wie ist nun also zu entscheiden, wenn der Adressat der Anordnung im Zeitpunkt des Erlasses des Ausgangsbescheides als “Beschuldigter” zu qualifizieren ist, diese Eigenschaft aber noch vor Erlass des Widerspruchsbescheides verliert?
Nach h.M. kommt es im Rahmen einer Anfechtungsklage für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts grds. auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung an, es sei denn, dass sich aus dem einschlägigen materiellen Recht etwas anderes ergibt. So hat das BVerwG im Jahre 2000 ausgeführt:

“Das BerGer. geht zutreffend von dem Grundsatz aus, dass es für die Begründetheit einer Anfechtungsklage auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ankommt. Den mit dieser Klage verfolgten Anspruch auf Aufhebung einer belastenden Entscheidung mit Wirkung ex tunc hat der Bürger im Allgemeinen nur, wenn die angegriffene Entscheidung in dem genannten Zeitpunkt rechtswidrig war. Allerdings steht dieser Grundsatz unter dem Vorbehalt, dass das materielle Recht einen anderen Zeitpunkt als maßgeblich bestimmen kann.” (BVerwG NVwZ 2001, 322)

Ausgehend von dieser Rechtsprechung stellt sich die Frage, ob sich aus § 81b 2. Fall StPO ein anderer maßgeblicher Zeitpunkt ergibt.

Das OVG Bautzen hat in einer ähnlichen Konstellation angenommen, dass es nur auf den Zeitpunkt der Ausgangsentscheidung ankomme:

“Die in § 81b 2. Fall StPO angesprochene Beschuldigteneigenschaft kennzeichnet somit in zeitlicher wie auch in sachlicher Hinsicht die Schwelle, aufgrund derer es nach der in der Regelungssystematik der §§ 81b und c, 111, 163b StPO zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Entscheidung gerechtfertigt sein kann, erkennungsdienstliche Maßnahmen durchzuführen, um zukünftige polizeiliche Ermittlungen wegen noch nicht begangener Straftaten zu fördern. Ist diese Schwelle erreicht, dann ist es bei Vorliegen der weiteren in § 81b 2. Fall StPO genannten Voraussetzungen somit gerechtfertigt, erkennungsdienstliche Maßnahmen durchzuführen und notwendige erkennungsdienstliche Unterlagen vorsorgend und damit außerhalb desjenigen strafrechtlichen Verfahrens, das Anlass für die erkennungsdienstliche Maßnahme ist, bereitzustellen. Daraus folgt des Weiteren, dass zwischen der Beschuldigteneigenschaft und dem genannten Zweck der Durchführung von erkennungsdienstlichen Maßnahmen kein unmittelbarer Zweckzusammenhang besteht. Ist aber ein solcher Zweckzusammenhang nicht gegeben, dann kann der Wegfall der Beschuldigteneigenschaft auch nicht zur Folge haben, dass der zunächst gerechtfertigte Zweck damit unrechtmäßig würde. Dafür spricht auch, dass ein späterer Wegfall der Beschuldigteneigenschaft nichts daran ändert, dass der Anlass, aufgrund dessen es nach der genannten gesetzgeberischen Entscheidung gerechtfertigt sein kann, erkennungsdienstliche Unterlagen vorsorgend bereitzustellen, gegeben war. … Diese Voraussetzung liegt auch dann vor, wenn diese Beschuldigteneigenschaft im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung wieder entfallen ist, weil der Betr. nach wie vor diese Schwelle des Verwickeltseins in ein konkretes Strafverfahren erreicht hatte und damit der Anlass für eine erkennungsdienstliche Anordnung nach § 81b 2. Fall StPO gegeben war.” (OVG Bautzen NVwZ-RR 2001, 238)

Demgegenüber geht das OVG Hamburg davon aus, dass der Betroffene im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, also im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides Beschuldigter sein muss:

“Der Wortlaut des § 81b 2. Fall StPO spricht bereits dafür, dass die Beschuldigteneigenschaft noch bei der Entscheidung über den Widerspruch vorliegen muss. Denn er verknüpft den Anlass der Maßnahme – die Beschuldigteneigenschaft – mit der Anordnung; die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Maßnahme ist (nur) gegenüber einem Beschuldigten zulässig. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Anordnung kann jedoch wegen des durch den Wortlaut der Regelung nicht infrage gestellten Grundsatzes, dass Ausgangsbescheid und der Widerspruchsbescheid eine verfahrensmäßige Einheit bilden, nur der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids sein. Die Anordnung der erkennungsdienstlichen Maßnahmen erhält erst durch den Widerspruchsbescheid seine entscheidungserhebliche, gerichtlich überprüfbare Gestalt. … Sinn und Zweck der Vorschrift lassen nicht erkennen, dass es für die Rechtmäßigkeit einer Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen nach § 81b 2. Fall StPO ausreicht, dass der Betroffene (nur) im Zeitpunkt des Ausgangsbescheides Beschuldigter gewesen ist. Dass ein Wegfall der Beschuldigteneigenschaft die Rechtmäßigkeit der Anordnung vor der Durchführung der Maßnahmen nicht entgegensteht, weil zwischen dem gesetzlichen Zweck und dem Anlass kein unmittelbarer Zusammenhang besteht, sagt nichts darüber aus, bis zu welchem Zeitpunkt der Anlass noch bestanden haben muss. Würde die Beschuldigteneigenschaft nur die „Schwelle“ darstellen, deren Überschreitung die Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen rechtfertigt, und könnte die Beschuldigteneigenschaft nach Überschreiten dieser „Schwelle“ wegen des Ausnahmecharakters der Vorschrift, die im Gegensatz zu Maßnahmen nach §§ 111 I 2, 163 I 3 StPO erkennungsdienstliche Maßnahmen für Zwecke zulässt, die außerhalb eines konkreten Strafverfahrens lägen, jederzeit – also auch schon vor Erlass des Widerspruchsbescheids - wegfallen, bekäme die Regelung einen Charakter, der es für eine Anordnung erkennungsdienstlicher Unterlagen ausreichen ließe, dass der Betroffene irgendwann einmal Beschuldigter gewesen ist. Diesem Ergebnis steht jedoch – wie bereits ausgeführt - entgegen, dass die Anordnung tatbestandlich an die Beschuldigteneigenschaft anknüpft.”

Danach scheidet nach Ansicht des OVG § 81b 2. Fall StPO als Rechtsgrundlage aus.

II. § 7 I Nr. 2 HmbPolDVG
Daher widmet sich das Gericht einer Rechtsgrundlage aus dem Hamburgischen Polizeirecht, nämlich § 7 I Nr. 2 HmbPolDVG.

1. “Austausch” der Rechtsgrundlage?

Zunächst stellt sich dabei die Frage, ob das Gericht befugt ist, die Rechtsgrundlage “auszutauschen”, denn immerhin hat die Behörde die Anordnung ausdrücklich auf § 81b 2. Fall StPO gestützt. Dazu das OVG im Einklang mit der h.M.:

“Nach § 113 I 1 VwGO überprüft das Gericht, ob der angefochtene Verwaltungsakt rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Das Gericht hebt nach dieser Vorschrift einen Verwaltungsakt auf, soweit er rechtswidrig ist und den Betroffenen in seinen Rechten verletzt. In § 113 I 1 VwGO kommt die Verpflichtung des Gerichts zum Ausdruck zu prüfen, ob der angefochtene Verwaltungsakt mit dem objektiven Recht in Einklang steht und, falls nicht, ob er den Kläger in seinen Rechten verletzt. Bei dieser Prüfung hat das Gericht daher alle einschlägigen Rechtsvorschriften und - nach Maßgabe der Sachaufklärungspflicht gemäß § 86 I VwGO - alle rechtserheblichen Tatsachen zu berücksichtigen, gleichgültig, ob die Normen und Tatsachen von der erlassenden Behörde zur Begründung des Verwaltungsaktes angeführt worden sind oder nicht. Hierin liegt keine Umdeutung des Verwaltungsakts in eine andere Maßnahme. Umdeutung besteht in einem verändernden Eingriff in den Verfügungssatz des Verwaltungsaktes, der hier jedoch unverändert bleibt. Andere als im angefochtenen Bescheid genannte Normen und Tatsachen sind nur dann nicht heranzuziehen, wenn dadurch die Grenzen überschritten würden, die der Zulässigkeit des sogenannten Nachschiebens von Gründen gezogen sind, d.h., wenn die anderweitige rechtliche Begründung oder das Zugrundelegen anderer Tatsachen zu einer Wesensveränderung des angefochtenen Bescheides führen würde.
Eine Wesensveränderung des angefochtenen Bescheides kommt hier indes nicht in Betracht; die angeordnete Maßnahme bleibt auch auf der Grundlage von § 7 I Nr. 2 HmbPolDVG die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung zur Strafverfolgungsvorsorge. Die erkennungsdienstliche Behandlung - Abnahme von Fingerabdrücken, die Aufnahme von Lichtbildern, die Feststellung äußerlich wahrnehmbarer Merkmale sowie die Messung der Körpergröße und des Gewichts - verändert sich auf der Grundlage von § 7 I Nr. 2, III HmbPolDVG nicht. Die Normen weisen bis auf den Personenkreis inhaltlich im Wesentlichen dieselben Tatbestandsvoraussetzungen auf. Der Anwendung der Vorschrift steht auch nicht entgegen, dass es sich sowohl bei § 81b 2. Fall StPO als auch bei § 7 I Nr. 2 HmbPolDVG um ermessenseröffnende Normen handelt, weil die Normen demselben Zweck, nämlich der Strafverfolgungsvorsorge, dienen und die Ermessenserwägungen der Beklagten auch die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung nach dieser Vorschrift tragen.”

2. Verfassungsmäßigkeit des § 7 I Nr. 2 HmbPolDVG

Sodann widmet sich das Gericht der Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 7 I Nr. 2 HmbPolDVG und dabei insbesondere den Aspekten Gesetzungsgebungskompetenz, Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit.

a) Gesetzgebungskompetenz

Im Hinblick auf die Gesetzgebungskompetenz des Hamburger Gesetzgebers (Art. 70, 72 GG) stellt sich die Frage, inwiefern der Bund durch § 81b 2. Fall StPO von seiner Gesetzgebungskompetenz im Rahmen der Strafverfolgungsvorsorge, die unter Art. 74 I Nr. 1 GG fällt, abschließend Gebrauch gemacht hat. Das OVG stellt dazu fest, dass § 7 I Nr. 2 HmbPolDVG verfassungskonform einschränkend auszulegen sei:

“Soweit § 81b 2. Fall StPO zu Anordnungen von erkennungsdienstlichen Maßnahmen gegen einen Beschuldigten zum Zwecke der Strafverfolgungsvorsorge ermächtigt, ist die Vorschrift abschließend. Dies ergibt sich bereits aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut; eine Gesetzgebungskompetenz des Landes besteht in Bezug auf diesen Personenkreis nicht mehr. …

Soweit § 7 I Nr. 2 HmbPolDVG den Adressatenkreis auf Nichtbeschuldigte erweitert, ist dies durch die Gesetzgebungskompetenz des hamburgischen Gesetzgebers gedeckt. Weder aus dem Wortlaut oder der Systematik des § 81b 2. Fall StPO noch aus der Gesetzgebungsgeschichte und den Gesetzesmaterialien lässt sich entnehmen, dass der Bundesgesetzgeber hinsichtlich des Adressatenkreises eine abschließende Regelung getroffen hat. Der hinter der Norm stehende Regelungszweck spricht dafür, dass eine abschließende Regelung nicht beabsichtigt war [wird weiter ausgeführt].”

b) Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit

Zu den Fragen der hinreichenden Bestimmtheit der Norm und ihrer Verhältnismäßigkeit führt das Gericht aus:

“Indem § 7 I Nr. 2 HmbPolDVG bestimmt, dass erkennungsdienstliche Maßnahmen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten durchgeführt werden dürfen, knüpft die Vorschrift ihrem Wortlaut nach unmittelbar an die Begriffsbestimmung in § 1 I 2 Nr. 1 HmbPolDVG an. Danach umfasst die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten sowohl die Verhütung von Straftaten als auch die Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straftaten. Der Zweck der Maßnahme ist somit ausreichend erkennbar, denn es ist klargestellt, dass eine Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen nur dann möglich sein soll, wenn durch die Datenerhebung die mögliche Begehung von Straftaten verhütet oder wenn die Verfolgung künftiger Straftaten erleichtert werden kann. Auch der Anlass ist deutlich genug definiert, indem in der Norm darauf abgestellt wird, dass diese Maßnahmen durchgeführt werden dürfen, wenn der Betroffene einer Straftat verdächtig ist und eine Gefahr der Begehung weiterer Straftaten besteht. Damit hat der Gesetzgeber eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass eine solche Anordnung gegen einen Betroffenen nicht ohne einen besonderen Anknüpfungspunkt vorgenommen werden darf, sodass ausgeschlossen ist, dass eine erkennungsdienstliche Behandlung durchgeführt werden kann, wenn nicht ein unmittelbarer Zusammenhang mit einer möglichen Straftat gegeben ist. Schließlich sind auch die Grenzen hinreichend festgelegt, weil § 7 III HmbPolDVG die möglichen erkennungsdienstlichen Maßnahmen konkret bezeichnet. Der Gesetzgeber selbst hat mithin der Verwaltung Handlungsmaßstäbe vorgegeben, die auch gerichtlich überprüfbar sind. Der Bürger weiß, warum und unter welchen Umständen welche Maßnahmen auf ihn zukommen können. …

Die Vorschrift ist auch verhältnismäßig. § 7 I Nr. 2 HmbPolDVG dient in dem hier zu überprüfenden Umfang mit der Strafverfolgungsvorsorge einem legitimen Gesetzeszweck. Die danach mögliche Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen ist hierzu grundsätzlich auch geeignet, erforderlich und zumutbar, soweit im jeweiligen Einzelfall der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wird.”

3. Voraussetzungen des § 7 I Nr. 2 HmbPolDVG und Ermessen

Schließlich geht das Gericht der Frage nach, ob die Voraussetzungen von § 7 I Nr. 2 HmbPolDVG vorlagen und die Behörde ihr Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt hat:

“Die Voraussetzungen des § 7 I Nr. 2 HmbPolDVG liegen vor. Der Kläger war zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides im Sinne der Vorschrift verdächtig, eine mit Strafe bedrohte Tat begangen zu haben. Wegen der Art oder Ausführung der Tat sowie seiner Persönlichkeit bestand auch die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten. Die angeordneten Maßnahmen sind auch bestimmt genug [wird weiter ausgeführt]…

Die Beklagte hat das ihr zustehende Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt. Die Anordnung ist insbesondere verhältnismäßig. Sie ist geeignet, erforderlich und dem Kläger auch zumutbar. Auch anderweitige Ermessensfehler sind nicht ersichtlich [wird weiter ausgeführt].”

Eine sehr umfangreiche und gehaltvolle Entscheidung, die in erster Linie für Referendare interessant sein dürfte. Sie bietet eine Vielzahl an Problemen, die für die Prüfungsämter reizvoll sein könnten:
Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges, maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit, Austauschen der Rechtsgrundlage, Verfassungsmäßigkeit einer Ermächtigungsgrundlage, saubere Subsumtion einer unbekannten Rechtsgrundlage.