
Wie bei § 250 II Nr. 1 StGB so verwirklicht der Täter auch bei § 177 VIII Nr. 1 StGB eine Qualifikation, wenn er bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet. Der BGH musste sich nun mit der Frage auseinandersetzen, ob K.O.-Tropfen, die mittels einer Pipette in ein Getränk getropft wurden, ein gefährliches Werkzeug sind.
A. Sachverhalt
Der Angeklagte A und die Lebensgefährtin des Opfers, die im Verfahren als Nebenklägerin auftrat, kannten sich aus der Swinger-Szene. Am Tatabend besuchten die beiden Frauen den Angeklagten, um bei ihm zu übernachten. Der Austausch sexueller Handlungen war nicht vorgesehen. Gleichwohl verabreichte A beiden heimlich GBL (= K.O.-Tropfen), welches er mittels einer Pipette in die Getränke tropfte. Er wollte beide Frauen, insbesondere die schüchterne Nebenklägerin sexuell enthemmen, um dann an ihnen sexuelle Handlungen vornehmen zu können, zu denen es später wie erhofft auch kam. Er erkannte und nahm billigend in Kauf, dass die bereits alkoholisierten Frauen in einen Bewusstseinszustand bis zur Bewusstlosigkeit versetzt werden könnten. Ihm war ferner bekannt, dass die Verabreichung der Tropfen erhebliche gesundheitliche Risiken bis zur Todesgefahr in sich bargen.
B. Lösung
Das LG Dresden hatte A u.a. wegen § 177 I und II Nr. 1 und 5 StGB und § 177 VIII Nr. 1 StGB verurteilt. Der BGH (Beschl. v. 08.10.2024 – 5 StR 382/24) hat die Verurteilung aus § 177 VIII Nr. 1 StGB nicht bestätigt. Weder die GBL-Tropfen noch die Pipette können seiner Auffassung nach als gefährliche Werkzeuge angesehen werden.
Der BGH führt zunächst aus, dass die Tropfen für sich genommen kein Werkzeug darstellen. Er begründet dies zunächst mit dem Wortlaut:
„Bei einem Werkzeug handelt es sich nach allgemeinem Sprachgebrauch um einen für bestimmte Zwecke geformten Gegenstand, mit dessen Hilfe etwas bearbeitet wird … Unter einem Gegenstand versteht man gemeinhin nur feste Körper. Da Flüssigkeiten, wie hier die GBL-Tropfen, aber auch Gase keine feste Form haben, sind sie keine Gegenstände und ihnen kann damit auch keine Werkzeugqualität zukommen. GBL-Tropfen können mithin ohne eine Verletzung der sich aus Art. 103 Abs. 2 GG ergebenden Wortlautgrenze nicht als Werkzeug im Sinne der strafrechtlichen Vorschriften bewertet werden.“
Danach zieht er systematische Erwägungen heran, indem er einen Vergleich mit dem Wortlautgleichen § 250 II Nr. 1 StGB zieht. Er führt Folgendes aus:
„Dies wird von systematischen Erwägungen gestützt. Das Merkmal des gefährlichen Werkzeugs wird auch in anderen insoweit wortlautgleichen Qualifikationstatbeständen genutzt; für denjenigen des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass ein Mittel, das erst nach einem Stoffwechselprozess im Körper sedierend oder narkotisierend wirkt, kein (gefährliches) Werkzeug ist … Es sind keine Gründe ersichtlich, weshalb für § 177 Abs. 8 Nr. 1 Alt. 2 StGB etwas anderes gelten sollte.“
Auch die Pipette, mittels derer die Tropfen verabreicht wurden, stellt nach Auffassung des BGH kein gefährliches Werkzeug dar. An dieser Stelle zieht er einen umfangreichen Vergleich mit dem in § 224 I Nr. 2 StGB gleichermaßen verwendeten Begriff des gefährlichen Werkzeugs. Da § 177 VIII Nr. 1 StGB auch nach dem Willen des Gesetzgebers an § 224 I Nr. 2 StGB angelehnt sei, müssten beide Begriffe gleichermaßen definiert werden. Er führt dazu Folgendes aus:
„Eine Körperverletzung wird „mittels“ einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs begangen, wenn sie unmittelbar durch ein von außen auf den Körper des Tatopfers einwirkendes potenziell gefährliches Tatmittel verursacht … Ein Gegenstand ist danach gefährlich, wenn er nach Art seiner konkreten Anwendung im Einzelfall geeignet ist, unmittelbar eine erhebliche Verletzung herbeizuführen. Dies kann beim Einsatz von Flüssigkeiten, Gasen oder auch Strahlen der Fall sein, wenn sie durch einen Gegenstand auf den Körper gerichtet und mit diesem in Verbindung gebracht werden. Voraussetzung ist indes, dass durch den Gegenstand unmittelbar von außen auf den Körper eingewirkt wird.
Daran fehlt es hier. Denn der Angeklagte verwendete die Pipette lediglich als Dosierungshilfe und brachte mit ihr die Tropfen weder unmittelbar dem Körper der Nebenklägerin bei, noch hatte dieses – für sich genommen in der konkreten Verwendungsart ungefährliche – Instrument … selbst Kontakt zum Körper der Nebenklägerin. Die Pipette war hier lediglich ein Mittel, um die GBL-Tropfen mit dem Körper der Nebenklägerin mittelbar in Verbindung zu bringen, die ihre gesundheitsschädliche Wirkung – nach Konsum des Getränks über einen Stoffwechselprozess – erst noch entfalten mussten. Sie war daher nicht geeignet, unmittelbar und von außen einwirkend eine Körperverletzung zu verursachen… Die Pipette war danach kein gefährliches Werkzeug, sondern lediglich Mittel der Beibringung eines gesundheitsgefährdenden Stoffes; Handlungen unter Verwendung solcher Art Tatmittel unterfallen aber § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB.“
Etwas anderes gilt, wenn eine Flüssigkeit direkt in Kontakt mit dem Opfer gebracht wird und von außen auf den Körper einwirkt, so zum Beispiel eine ätzende Säure und Pfefferspray. (Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, 30. Aufl. 2019, StGB § 224 Rn. 6). Hier ist nach h.M. zumeist auch § 224 I Nr. 1 StGB verwirklicht. In welchem Verhältnis sich Nr. 1 und 2 zueinander befinden, hat der BGH auch vorliegend noch einmal erläutert:
„Es handelt sich bei der Variante „Begehung mittels eines gefährlichen Werkzeugs“ in § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB auch nicht um den „Oberbegriff“ zur Variante der Begehung durch „Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen“ in § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB mit der Folge, dass ein gesundheitsschädlicher Stoff stets auch ein gefährliches Werkzeug wäre; § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist nicht lex specialis zu § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB ….
Spezialität als besondere Form der Gesetzeskonkurrenz liegt vor, wenn ein Strafgesetz alle Merkmale einer anderen Strafvorschrift aufweist und sich nur dadurch von dieser unterscheidet, dass es wenigstens noch ein weiteres Merkmal enthält, das den infrage kommenden Sachverhalt unter einem genaueren Gesichtspunkt erfasst, also spezieller ist…Dies ist im Verhältnis von § 224 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB schon mit Blick auf den aufgezeigten Wortlaut nicht der Fall. Aber auch ungeachtet des Umstands, dass Gift oder ein anderer gesundheitsgefährdender Stoff für sich genommen keine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug darstellen, gibt es auch kein weiteres, den Sachverhalt genauer erfassendes Merkmal in § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB, das in Nr. 2 nicht enthalten ist; vielmehr stehen sich einerseits die „Beibringung“ in § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB und andererseits die Begehung der Körperverletzung „mittels“ der Waffe oder dem gefährlichen Werkzeug in § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gegenüber, ohne dass das eine im anderen enthalten wäre.“
Nach diesem weiten Ausflug in die Gefilde des § 224 StGB kommt der BGH alsdann zu § 177 VIII Nr. 1 StGB zurück und kommt zu folgendem Ergebnis:
„Die von der Strafkammer angestellten teleologischen Erwägungen, nach der angesichts vergleichbarer Gefährlichkeit die Gleichbehandlung der Verwendung von sedierend wirkenden Substanzen und beispielsweise „Holzknüppeln“ geboten sei, negieren die aufgezeigten Ergebnisse der grammatikalischen, historischen und systematischen Auslegung; allein auf Gerechtigkeitserwägungen gestützt kann insbesondere nicht die Wortlautgrenze und damit letztlich der Bestimmtheitsgrundsatz nach Art. 103 Abs. 2 GG außer Acht gelassen werden.“
C. Prüfungsrelevanz
Anhand dieser Entscheidung kannst Du perfekt die Auslegungsmethoden wiederholen. Auslegung startet immer mit dem Wortlaut, da es im Strafrecht weder Gewohnheitsrecht noch eine Analogie zulasten des Täters gibt. Danach befasst Du Dich in einer Klausur mit der systematischen Auslegung und vor allem mit der teleologischen Auslegung, die vorliegend vom BGH nicht bemüht wurde. Für die historische Auslegung bleibt zumeist nur im Rahmen einer Hausarbeit Raum, da Dir in der Klausur die Bundestagsdrucksachen als Quelle nicht zur Verfügung stehen.
(BGH Beschl. v. 08.10.2024 – 5 StR 382/24)
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