Der Strompreis orientiert sich europaweit für alle Stromerzeugungsarten an den Stromgestehungskosten der Kraftwerksart mit den höchsten Grenzkosten („merit-order“) – und damit seit Wegfall der Gaslieferungen aus Russland an den Kosten der Gaskraftwerke. Die dadurch angestiegenen Mehrerlöse der von den Kriegsfolgen nicht betroffenen Erzeugungsarten – wie etwa aus Braunkohle, Kernenergie, Abfall, Mineralöl und erneuerbaren Energien – wurden durch das StromPBG umverteilt auf die Netzbetreiber, sodass die Netzentgelte ihrerseits deutlich reduziert werden konnten mit der Folge, dass sich die Belastungen der Verbraucher, die sich aus Stromgestehungskosten und Netzentgelten zusammensetzen, trotz der damaligen Ausnahmesituation in tragbaren Grenzen hielten.
A. Vereinfachter Sachverhalt
Gesetzeszweck ist nach § 1 Strompreisbremsegesetz (StromPBG) die Entlastung der von den massiv angestiegenen Stromkosten betroffenen Letztverbraucher. Die Entlastung soll „insbesondere durch eine Abschöpfung von erzielten Überschusserlösen der Betreiber von Stromerzeugungsanlagen finanziert werden“. Zu diesem Zweck regelt das Gesetz die Entlastung der Letztverbraucher insbes. durch einen Zuschuss an die Übertragungsnetzbetreiber zur anteiligen Finanzierung der Übertragungsnetzkosten (§§ 3 ff). Die Betreiber von Stromerzeugungsanlagen müssen dazu an den Netzbetreiber, an dessen Netz ihre Anlage unmittelbar angeschlossen ist, 90 % der erwirtschafteten Überschusserlöse (Abschöpfungsbetrag) zahlen (§§ 14, 16 StromPBG). Stromerzeuger und Netzbetreiber werden in §§ 26 ff zu Selbsterklärungen und gesonderten Buchführung bezogen auf die vom StromPBG betroffenen Geldflüsse verpflichtet, sodass sich der Gesetzgeber zur Vollzugsregelung auf die Bestimmungen von Sanktionen durch Geldbußen und Strafen (§§ 43, 44 StromPBG) beschränken konnte.
Gegen das Gesetz haben mehrere Betreibergesellschaften von Windkraftanlagen rechtzeitig Verfassungsbeschwerde erhoben. Haben sie damit Erfolg?
B. Entscheidung
Die Verfassungsbeschwerde hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.
I. Zulässigkeit
Als unmittelbarer, aber außerordentlicher Rechtsbehelf gegen das Gesetz kommt eine binnen Jahresfrist zu erhebende Verfassungsbeschwerde in Betracht.
1. Zulässigkeitsvoraussetzungen
Die Zulässigkeitsvoraussetzungen beurteilen sich nach Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff BVerfGG. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen das StromPBG, weil der jeweilige Beschwerdeführer behaupten kann, durch das Gesetz selbst, gegenwärtig und – vor allem – unmittelbar, nämlich ohne Umsetzungsakt allein durch die Verhaltensvorgaben (§§ 14, 26 ff StromPBG) in seinem Grundrecht aus Art. 12 I GG betroffen zu sein. Der Rechtsweg ist erschöpft, weil es einen unmittelbaren Rechtsschutz gegen Gesetze nicht gibt (§ 90 II BVerfGG).
2. Subsidiarität
Eine Verfassungsbeschwerde ist subsidiär. Das gilt auch für Rechtssatzverfassungsbeschwerden, obwohl unmittelbar gegen ein Gesetz fachgerichtlicher Rechtsschutz in aller Regel nicht offensteht. Das bedeutet, dass auch indirekter Rechtsschutz ausgeschöpft werden muss, soweit dies möglich und dem Beschwerdeführer zumutbar ist. Diese Anforderungen hat das BVerfG in den letzten Jahren verschärft und führt dazu im vorliegenden Fall aus (Rn. 58):
„Zu den insoweit zumutbaren Rechtsbehelfen kann eine Feststellungs- oder Unterlassungsklage gehören, die eine fachgerichtliche Klärung entscheidungserheblicher Tatsachen- oder Rechtsfragen des Fachrechts ermöglicht. Das wird regelmäßig der Fall sein, wenn die angegriffenen Vorschriften Rechtsbegriffe enthalten, von deren Auslegung und Anwendung maßgeblich abhängt, inwieweit die angegriffenen Vorschriften eine tatsächliche und rechtliche Beschwer zur Folge haben. Die Inanspruchnahme fachgerichtlichen Rechtsschutzes ist also insbesondere dann geboten, wenn von der vorherigen Durchführung eines Gerichtsverfahrens die Klärung fachrechtlicher Fragen zu erwarten ist, auf die das Bundesverfassungsgericht bei der Entscheidung der verfassungsrechtlichen Fragen angewiesen ist, deren Beantwortung also nicht allein von der Auslegung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe abhängt (vgl. BVerfGE 159, 223 <273 f. Rn. 101> m.w.N.).“
Da der Beschwerdeführer die Verfassungsgemäßheit des Gesetzes insgesamt infrage stellt, kommt es auf einzelne fachgerichtliche Auslegungsfragen nicht an. Es geht allein um verfassungsrechtliche Fragen, sodass nur die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde bleibt.
II. Begründetheit
Ist eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz begründet, „so ist das Gesetz für nichtig zu erklären“ (§ 95 III 1 BVerfGG). Deshalb wird vielfach in der Begründetheitsprüfung eine objektive Überprüfung des Gesetzes anhand der Verfassung einschließlich der gerügten Grundrechte vorgenommen. Demgegenüber baut das BVerfG die Prüfung im vorliegenden Fall entsprechend dem gerügten Grundrecht grundrechtsbezogen, d. h. subjektiv auf (Rn. 63):
„Die Verfassungsbeschwerden sind, soweit zulässig, nicht begründet. Die zulässig gerügten Regelungen in § 14 Abs. 1, § 16 Abs. 1 und § 29 StromPBG greifen zwar in das Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art. 12 Abs. 1 GG ein (I). Der Eingriff ist aber sowohl formell (II) als auch materiell verfassungsgemäß (III).“
1. Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 I 1 GG
Das BVerfG betont, dass die Wahl und die Ausübung des Berufs ein einheitliches Grundrecht darstellen unter anderem mit dem Inhalt, dass der Grundrechtsträger beruflich erbrachte Leistungen selbst verwerten kann:
Rn. 66 „Art. 12 Abs. 1 GG gewährt allen Deutschen als einheitliches Grundrecht das Recht, den Beruf als Grundlage der persönlichen und wirtschaftlichen Lebensführung frei zu wählen und auszuüben (vgl. BVerfGE 101, 331 <346 f.>). Die Berufsfreiheit steht entsprechend Art. 19 Abs. 3 GG auch inländischen juristischen Personen des Privatrechts zu (vgl. BVerfGE 97, 228 <253> …). Dazu gehört die Freiheit, grundsätzlich Erlöse im Wege freier Preisbildung zu erwirtschaften (vgl. BVerfGE 101, 331 <347>; 106, 275 <298>; 114, 196 <244 >; 117, 163 <181>; 134, 204 <222 f. Rn. 66 f.>) und die beruflich erbrachte Leistung zu verwerten (vgl. BVerfGE 97, 228 <253>).
Rn. 67 Die Berufsfreiheit umfasst auch ein Abwehrrecht gegen Mitwirkungspflichten bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben wie Ermittlungs-, Auskunfts-, Berichts- und Dokumentationspflichten, die unmittelbar an eine berufliche Tätigkeit anknüpfen und mit spürbaren administrativen Lasten verbunden sind (vgl. zur Indienstnahme Privater für öffentliche Aufgaben BVerfGE 22, 380 <383 f.>; 30, 292 <312 ff.>; 68, 155 <170 ff.>; 114, 196 <244>; 161, 1 <34 ff. Rn. 71 ff.>).
Rn. 69 Mit den … zahlreichen Pflichten zur Selbstveranlagung werden den betroffenen Betreibern von Stromerzeugungsanlagen erhebliche, ihre Berufsausübungsfreiheit über die Pflicht zur Zahlung von Überschusserlösen hinaus weiter einschränkende administrative Verfahrenslasten auferlegt (vgl. BVerfGE 161, 1 <36 Rn. 75> - Übernachtungsteuer).“
2. Eingriffsrechtfertigung nach Art. 12 I 2 GG
Die Berufsfreiheit kann durch oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden, wenn das Gesetz im Übrigen verfassungsgemäß und verhältnismäßig ist. Dabei werden an die Verhältnismäßigkeit umso höhere Anforderungen gestellt, je mehr durch die gesetzliche Regelung die Berufswahl betroffen ist.
a) Das Gesetz ist formell verfassungsgemäß. Die Zuständigkeit des Bundes leitet sich aus Art. 74 I Nr. 11, 72 II GG ab.
(1) Für die Feststellung der Gesetzgebungskompetenz kommt es nicht auf die vorrangigen Aussagen des GG zu den Bundeskompetenzen im Steuerrecht (Art. 105 I GG) an.
Rn. 78 „Kennzeichnend für eine Steuer ist, dass sie ohne individuelle Gegenleistung und unabhängig von einem bestimmten Zweck zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs eines öffentlichen Gemeinwesens erhoben wird.
Rn. 71 Mit der Abschöpfung der Überschusserlöse erzielt der Bund keine Einnahmen. Regelungsgegenstand ist vielmehr eine Umverteilung von Erlösen aus dem Verkauf von Strom zwischen einem Teil der Stromerzeuger und den Stromverbrauchern.“
(2) Als Umverteilung von Erlösen aus dem Stromverkauf unter den Teilnehmern am Strommarkt unterfällt die angegriffene Maßnahme der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Recht der Energiewirtschaft als Teilbereich des Rechts der Wirtschaft nach Art. 74 I Nr. 11 GG. Der Kompetenztitel allein reicht allerdings nicht aus, es bedarf vielmehr zusätzlich des Vorliegens eines bundeseinheitlichen Regelungsbedürfnisses (vgl. Art. 72 II GG). Da der angestrebte Verteilungsmechanismus nur funktionsfähig ist, wenn er bundesweit durchgeführt wird, liegen die Voraussetzungen für die Wahrnehmung der konkurrierenden Gesetzgebung zum Recht der Wirtschaft vor. (Das BVerfG hat Art. 72 II GG nicht geprüft).
b) Eingriffe in die Berufsfreiheit sind materiell verfassungsgemäß, wenn sie auf ein Gesetz rückführbar sind, das die wesentlichen Fragen regelt und verhältnismäßig ist. Dabei nehmen die genannten Anforderungen zu, je mehr in die Berufswahl übergegriffen wird.
Da das StromPBG durch die Abschöpfung von Überschusserlösen und die Auferlegung administrativer Lasten die Berufsausübung einschränkt, ist entscheidend, ob die angegriffenen Regelungen einem legitimen Ziel dienen (1) und zur Erreichung dieses Ziels geeignet (2), erforderlich (3) und angemessen sind (4). Dazu führt das BVerfG aus:
Rn. 85 „(1) Mit dem Grundrechtseingriff werden verfassungsrechtlich legitime Ziele verfolgt. Nach dem Willen des Gesetzgebers (näher dazu … BVerfGE 167, 163 <212 f. Rn. 115> - Contergan II) dient die Umverteilung eines Teils der von den Stromerzeugern durch die Veräußerung von Strom erwirtschafteten Erlöse auf die Stromverbraucher … einem Ausgleich der Interessen dieser Marktteilnehmer.
Rn. 90 Aufseiten der Verbraucher löste der Ukraine-Krieg, der in seiner Dimension als „Zeitenwende” verstanden wurde (Regierungserklärung von Bundeskanzler Scholz am 27. Februar 2022), mit den massiv gestiegenen Erdgas- und Strompreisen einen unerwarteten Kostenschock für Unternehmen und private Haushalte aus; die Situation wurde wegen der Unsicherheiten über die Möglichkeit, eine bezahlbare Energieversorgung der Unternehmen und privaten Haushalte aufrechterhalten zu können, als außergewöhnliche Notsituation eingestuft (vgl.BTDrucks20/9666, S. 13 f.).
Rn. 91 Die Abschöpfung der Überschusserlöse zielt auf eine Bewältigung dieser „außergewöhnlichen Störung der Wirtschaftslage” ab
Rn. 93 (2) Die angegriffene Maßnahme ist auch im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet. Hierfür genügt bereits die Möglichkeit, dass die gesetzliche Regelung die Erreichung des Gesetzeszwecks fördert (vgl. BVerfGE 156, 63 <116 Rn. 192 …; stRspr). Eine Regelung ist erst dann nicht mehr geeignet, wenn sie die Erreichung des Gesetzeszwecks in keiner Weise fördern kann oder sich sogar gegenläufig auswirkt (BVerfGE 158, 282 <336 Rn. 131> m.w.N.…).
Rn. 95 (3) Grundrechtseingriffe dürfen nicht weitergehen, als es der Gesetzeszweck erfordert. Daran fehlt es, wenn ein gleich wirksames Mittel zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels zur Verfügung steht, das Grundrechtsträger weniger und Dritte und die Allgemeinheit nicht stärker belastet (vgl. BVerfGE 148, 40 <57 Rn. 47>; … 162, 378 <428 Rn. 117>; stRspr; ….). Die sachliche Gleichwertigkeit der alternativen Maßnahmen zur Zweckerreichung muss dafür in jeder Hinsicht eindeutig feststehen. Dem Gesetzgeber steht grundsätzlich auch für die Beurteilung der Erforderlichkeit ein Einschätzungsspielraum zu. Dieser bezieht sich unter anderem darauf, die Wirkung der von ihm gewählten Maßnahmen auch im Vergleich zu anderen, weniger belastenden Maßnahmen zu prognostizieren.
Rn. 97 Das für die betroffenen Stromerzeuger mildere Mittel der Verwendung von Haushaltsmitteln anstelle einer Erlösabschöpfung steht der verfassungsrechtlichen Erforderlichkeit … schon deshalb nicht entgegen, weil dadurch nur die Kostenlast auf die Allgemeinheit verschoben würde (vgl. BVerfGE 109, 64 <86>; 161, 299 <378>).
Rn. 104 (4) Die verfassungsrechtliche Angemessenheit und damit die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne erfordern, dass der mit der Maßnahme verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen (vgl. BVerfGE 155, 119 <178 Rn. 128> … stRspr). Angemessen und damit verhältnismäßig im engeren Sinne ist eine gesetzliche Regelung dann, wenn bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt wird (vgl. BVerfGE …167, 163 <224 Rn. 146>; stRspr).
Rn. 105 Verfolgt der Gesetzgeber mit einer Umverteilung unter Privaten Gemeinwohlaufgaben, die außerhalb der betroffenen Privatrechtsverhältnisse liegen, kann die Maßnahme den zahlungspflichtigen Privaten jedenfalls dann nicht zugemutet werden, wenn sie in keinem spezifischen Näheverhältnis zu solchen Aufgaben stehen (vgl. BVerfGE 77, 308 <337>;…).
Rn. 107…..Die beiden Seiten des Interessenausgleichs entspringen gleichermaßen dem spezifischen Preisbildungsmechanismus des Energiemarktes, der seinerseits unter den außergewöhnlichen Krisenbedingungen den sonst mit einer marktlichen Preisbildung verbundenen angemessenen Interessenausgleich zwischen den Marktteilnehmern nicht leisten konnte. Damit ist die Erlösabschöpfung aber notwendiger Bestandteil eines unter privaten Teilnehmern des Strommarktes erfolgenden Interessenausgleichs, der durch die Verwendung von Haushaltsmitteln nicht erreicht werden könnte.
Rn. 118 Allerdings ist eine Umverteilung zwischen Unternehmen und Verbrauchern in einem Markt mit freier wettbewerblicher Preisbildung … mit Blick auf die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Unternehmensfreiheit rechtfertigungsbedürftig. Allein der Umstand, dass bei einer wettbewerblichen Preisbildung in Knappheitssituationen besonders hohe Gewinne oder Erlöse anfallen, kann deren Abschöpfung zugunsten der Verbraucher nicht rechtfertigen. Die hier vorgenommene Umverteilung ist jedenfalls angesichts der Spezifika der hier vorliegenden Ausnahmesituation angemessen. Strom ist ein zur Deckung existenzieller Bedarfe unverzichtbares Gebrauchsgut. Die hohen Preise haben bei Stromverbrauchern in erheblichem Umfang unvermeidbare außergewöhnliche Belastungen ausgelöst … und die Erlöse der in Anspruch genommenen Stromerzeuger haben die typischen Investitionserwartungen weit überstiegen.“
Die durch das StromPBG geregelten Pflichten zur Abschöpfung und Umverteilung von Überschusserlösen bei der Stromherstellung und die Auferlegung der damit einhergehenden administrativen Lasten stellen sich als verhältnismäßige Regelung der Berufsausübung dar und sind nach Art. 12 I 2 GG verfassungsgemäß.
Ergebnis
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
(BVerfG Urteil vom 28.11.2024 - 1 BvR 460/23, 1 BvR 611/23)
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