BGH zur Niedrigkeit eines Beweggrundes gem. § 211 StGB

BGH zur Niedrigkeit eines Beweggrundes gem. § 211 StGB

Jeder Beweggrund, der zur Tötung eines anderen Menschen führt, ist verwerflich und führt zur Verwirklichung des § 212 StGB. Erst wenn die Beweggründe des Täters in besonderer Weise verachtenswert sind, ist § 211 StGB erfüllt. Wie die Abgrenzung vorzunehmen ist, hat der BGH erneut ausgeführt.

A. Sachverhalt

A trennte sich im Juli 2022 von seiner Ehefrau M, nachdem diese sich einem neuen Partner, dem K, zugewandt hatte. Wütend und verletzt zugleich zog er aus dem gemeinsam bewohnten, von ihm mühevoll mit großem Zeitaufwand renovierten Eigenheim aus. In den darauffolgenden Monaten bis hin zum Tattag war A zunehmend darüber verärgert, dass M mit dem gemeinsamen Sohn und K nun in dem von ihm renovierten Haus lebte und zudem seit der Trennung das größere Auto, einen VW Caddy, für sich beanspruchte, wohingegen er sich mit dem kleinen Smart begnügen musste.

Am 2. April 2023 überkamen A erneut und gesteigert Wut und Ärger, sodass er sich entschloss, dieser Situation nun ein Ende zu setzen und das Haus in Brand zu setzen und zu zerstören. Er hatte „entschieden, dass für ihn das Ende der Welt gekommen war“. Ob er selbst oder Dritte dabei körperlich zu Schaden oder sogar zu Tode kommen würden, war ihm gleichgültig. Er schlug eine Fensterscheibe ein und schüttete Benzin in den Wohnraum. Nach seiner Vorstellung sollte das Reihenmittelhaus vollständig abbrennen. Die Anwesenheit seiner Ehefrau, des gemeinsamen Sohnes, des Geschädigten K und dessen Sohnes hielt er angesichts der in der Garage befindlichen Fahrzeuge jedenfalls für möglich. Auch die Gefahr, dass durch die Inbrandsetzung des Hauses die sich darin aufhaltenden Personen sterben könnten, war ihm bewusst. Damit hatte er sich ebenso wie mit seinem eigenen möglichen Tod abgefunden. Die Folgen der Tat waren ihm „vollkommen egal“. Als er sich anschickte, sein Feuerzeug zu betätigen, hielt ihn K davon ab.

Nach mehreren Minuten des Kampfes an dem zerbrochenen Fenster verlor A die Kraft, gab zunächst jedoch nicht auf. Erst als etwa zehn Minuten später ein mittlerweile eingetroffener Polizeibeamter eingriff, erkannte A, dass sein Vorhaben endgültig gescheitert war und ließ sich plötzlich zu Boden fallen. Der anschließende Suizidversuch konnte vereitelt werden.

B. Entscheidung

Das LG Ulm verurteilte A u.a. wegen versuchten Mordes an M aus niedrigen Beweggründen gem. §§ 211, 212, 22 StGB. Der BGH (Beschl. v. 17.04.2024 - 1 StR 92/24) hatte Zweifel an der Tragfähigkeit der Begründung und hob das Urteil auf.

In einer Klausur sähe die Prüfung wie folgt aus:

Strafbarkeit gem. §§ 211, 212, 22 StGB

A könnte sich wegen versuchten Mordes an M gem. §§ 211, 212, 22 StGB strafbar gemacht haben, indem er das Benzin im Inneren des Hauses vergoss und sein Feuerzeug hervorholte.

I. Vorprüfung

Der Mord ist ein Verbrechen gem. § 12 I StGB und damit gem. § 23 I StGB als Versuch strafbar. M ist nicht gestorben, sodass der Tatbestand nicht vollendet wurde.

II. Tatentschluss

A hielt es für möglich, dass sich M im Inneren des Hauses aufhielt und infolge der Brandlegung zu Tode kommen könnte. Diesem Erfolgseintritt stand er gleichgültig gegenüber. Sein Vorsatz in Gestalt des dolus eventualis richtete sich damit auf die kausale Herbeiführung des Todes durch die Brandlegungshandlung.

Darüber hinaus könnte der Tatentschluss auf das Verwenden gemeingefährlicher Mittel gerichtet gewesen sein. Die vom Täter verwendeten Mittel sind dann gemeingefährlich, wenn sie geeignet sind, eine unbekannte Vielzahl von Menschen in eine konkrete Lebensgefahr zu bringen und der Täter die Wirkung des Mittels nicht sicher beherrschen kann. Hier war der Tatentschluss lediglich auf die Bewohner des Hauses gerichtet. Es ist nicht ersichtlich, dass A sich ein Ausbreiten des Feuers auch auf andere Gebäude vorstellte. Insofern war der Tatentschluss lediglich auf eine Mehrfachtötung, nicht jedoch auf eine Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln gerichtet.

A könnte aber aus niedrigen Beweggründen heraus gehandelt haben. Nach Auffassung des BGH sind die niedrigen Beweggründe wie folgt zu ermitteln:

„Beweggründe im Sinne von § 211 II StGB sind niedrig, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat niedrig sind und – in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag – als verachtenswert erscheinen, erfordert eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren. Gefühlsregungen wie Zorn, Wut, Enttäuschung oder Verärgerung können niedrige Beweggründe sein, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen, also nicht menschlich verständlich, sondern Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters sind. Entbehrt indes das Motiv ungeachtet der Verwerflichkeit, die jeder vorsätzlichen und rechtswidrigen Tötung innewohnt, nicht jeglichen nachvollziehbaren Grundes, so ist es nicht als „niedrig“ zu qualifizieren. Auch die Tötung des Intimpartners, der sich vom Täter abwenden will oder abgewendet hat, muss nicht zwangsläufig als durch niedrige Beweggründe motiviert bewertet werden. Gerade der Umstand, dass eine Trennung vom Tatopfer ausgegangen ist, darf als gegen die Niedrigkeit des Beweggrundes sprechender Umstand beurteilt werden.“

Vorliegend hat A aus Ärger, Wut und Rache heraus gehandelt. Er konnte sich nicht damit abfinden, dass M in dem von ihm renovierten Haus wohnen blieb, einen neuen Partner hatte und finanziell bessergestellt war als er. Auch wenn dies eine Tötung selbstverständlich nicht rechtfertigt, so scheinen seine Motive doch nachvollziehbar zu sein. Zu bedenken ist, dass das BVerfG eine restriktive Auslegung der Mordmerkmale vorgegeben hat. Ein an sich bereits verwerflicher Totschlag gem. § 212 StGB wird erst dann zum Mord, wenn die Motive des Täters besonders verachtenswert sind. Bei der Ermittlung der niedrigen Beweggründe kann man sich an den in der ersten Gruppe genannten Spezialfällen wie z.B. der Mordlust orientieren. Diese Spezialfälle sind gekennzeichnet von hemmungsloser Eigensucht und besonders verwerflicher Gleichgültigkeit gegenüber den Belangen des Opfers.

Der BGH sah vorliegend keine ausreichende Begründung für die niedrigen Beweggründe. Er führte Folgendes aus:

„Diesen Anforderungen an eine vollständige Gesamtwürdigung wird das Landgericht nicht gerecht; es lässt für das Geschehen maßgebliche Umstände außer Acht.

Das Schwurgericht hat die zugrunde gelegten Motive der Wut, der Bestrafung sowie der Rache wegen der Trennung und – vor allem – der Vermögensaufteilung weder hinreichend beweiswürdigend unterlegt noch widerspruchsfrei dargelegt. Die Gesamtwürdigung greift zu kurz, denn aus ihr wird nicht ersichtlich, weshalb die angenommenen Motive des Ärgers und der Wut ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen. Dies versteht sich angesichts der festgestellten Umstände nicht von selbst. Denn das Schwurgericht geht auch davon aus, der Angeklagte sei mit der Situation überfordert gewesen, was durch die Feststellung, der Tatzeitpunkt habe für ihn das „Ende der Welt“ bedeutet, belegt ist. Dazu fügen sich der anschließende Suizidversuch und das Nachtatverhalten des Angeklagten, welches das Schwurgericht – zutreffend – in seine Würdigung einbezieht. Vor diesem Hintergrund hätte sich das Schwurgericht nicht mit der Erwägung begnügen dürfen, der Angeklagte habe „ohne Rücksicht auf Dritte und sich selbst gehandelt“ und seinen Ärger über das Leben unbeteiligter Dritter gestellt. Es hätte vielmehr erörtern und mit Tatsachen unterlegen müssen, aus welcher Motivation heraus dies geschah. Nur wenn das zugrunde liegende Motiv seinerseits als niedrig zu bewerten ist, liegen niedrige Beweggründe vor. Insoweit hat, obwohl sich nach den Feststellungen eine entsprechende Erörterung aufdrängte, das Schwurgericht nicht hinreichend erkennbar erwogen, ob für den Angeklagten weitere Tatmotive, die für sich genommen nicht auf sittlich niedrigster Stufe stehen, handlungsleitend waren.“

Da der BGH keine eigenen Feststellungen treffen darf, hat er das Urteil insoweit aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurückverwiesen.

Der Tatentschluss war damit nicht auf die Verwirklichung des § 211 StGB gerichtet.

In einem solchen Klausurfall bliebe nun eine Strafbarkeit wegen versuchtem Totschlag übrig. Ein strafbefreiender Rücktritt gem. § 24 I StGB kommt für ihn nicht in Betracht, da er aufgrund äußerer Umstände, nämlich dem Eingreifen des K und der dann eintreffenden Polizei daran gehindert wurde, die Tat zu vollenden.

Daneben wären in einer Klausur noch die Brandstiftungsdelikte gem. §§ 306 ff. StGB zu prüfen.

C. Prüfungsrelevanz

Ein aufmerksames Lesen dieser BGH-Entscheidung empfiehlt sich, um sich die hohen Anforderungen an die Bejahung der niedrigen Beweggründe vor Augen zu führen. Ähnlich wie das Landgericht im vorliegenden Fall machen es sich auch Examenskandidat:innen häufig zu einfach, indem sie unausgesprochen davon ausgehen, dass kein Beweggrund eine Tötung „rechtfertigt“. Diese Überlegung ist zutreffend, aber nicht zielführend. Schon § 212 StGB ermöglicht die Verhängung einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren. Damit eine lebenslange Freiheitsstrafe gerechtfertigt ist, müssen weitere die besondere Schuld des Täters abbildende Umstände hinzukommen.

(Beschl. v. 17.04.2024 - 1 StR 92/24)

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