Das Straßenrecht ist für Bundesfernstraßen im FernstrG, für Straßen der Länder, Kreise und Gemeinden im LStrG geregelt. Die Regelungen sind weitgehend vergleichbar – so auch bei den Begriffen des genehmigungsfreien Gemeingebrauchs und der genehmigungspflichtigen Sondernutzung.
So lautet das FernstrG auszugsweise in § 7:
„(1) Der Gebrauch der Bundesfernstraßen ist jedermann im Rahmen der Widmung und der verkehrsbehördlichen Vorschriften zum Verkehr gestattet (Gemeingebrauch). Hierbei hat der fließende Verkehr den Vorrang vor dem ruhenden Verkehr. Kein Gemeingebrauch liegt vor, wenn jemand die Straße nicht vorwiegend zum Verkehr, sondern zu anderen Zwecken benutzt….“
Und in § 8 heißt es zur Sondernutzung:
„(1) Die Benutzung der Bundesfernstraßen über den Gemeingebrauch hinaus ist Sondernutzung. Sie bedarf der Erlaubnis….“
A. Vereinfachter Sachverhalt
Die A will E-Scooter/Fahrräder/Pkw im Free-Floating-System (Sharing-Verfahren) in der Stadt S anbieten. Dabei streitet sie sich mit der zuständigen Behörde über die Frage, ob die Inanspruchnahme von Straßenflächen (Gehweg/Fahrweg) zur Bereitstellung der Fahrzeuge außerhalb der Anmietung – wie A meint – genehmigungsfrei ist. Die Stadt sieht darin eine Sondernutzung.
Wie ist die Frage zu entscheiden?
Mit welcher Klage kann A zulässigerweise eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung herbeiführen?
B. Die Antworten
I. Gemeingebrauch oder Sondernutzung?
Werden Fahrzeuge im Straßenraum vom Anbieter abgestellt, damit sie gemietet werden können, könnte dies als Inanspruchnahme der Straßen zu gewerblichen Zwecken genehmigungspflichtige Sondernutzung sein. Hat der Mieter nach Gebrauch das Fahrzeug im Verkehrsraum belassen mit dem – für den Anbieter relevanten – Zweck, dass das Fahrzeug erneut gemietet wird, könnte dies aber auch für eine vorwiegende Inanspruchnahme der Straße zu Zwecken des Verkehrs und damit Gemeingebrauch sprechen. Dies gilt auf jeden Fall für den Mieter, aber gilt dies auch für eine gewerbliche Anbieterin wie die A?
1. Carsharing
Das OVG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 26.10.2022 – OVG 1 S 56/22) sieht in der Inanspruchnahme der Straße (Abstellen bis zur nächsten Anmietung) genehmigungsfreien Gemeingebrauch und begründet dies mit dem darauf gerichteten Geschäftsmodell der Unternehmen:
Rn 8 „ … A tut .. bei objektiver Betrachtung der Gesamtumstände nichts anderes, als die zum Verkehr zugelassenen und betriebsbereiten Fahrzeuge auf öffentlichen Straßen ab- bzw. bereitzustellen zu dem einzigen Zweck, sie möglichst bald und möglichst häufig durch ihre Kunden vom ruhenden in den fließenden Verkehr überführen zu lassen. Allein darauf beruht ihr Geschäftsmodell. Dass sie ihre Fahrzeuge gewerblich nutzen, haben sie mit den Vermietern stationsgebundener Mietfahrzeuge gemein, darüber hinaus auch mit sämtlichen Haltern gewerblich genutzter Fahrzeuge aller Art. Es steht der Annahme des Gemeingebrauchs der Straße nicht entgegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Juni 1982, a. a. O. Rn. 13; König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl., § 12 StVO Rn. 42a; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20. November 2020 – 11 B 1459.20).
Rn 9 Anders als „Straßenhändler“, die den öffentlichen Straßenraum zum Anbieten verkehrsfremder Waren oder Leistungen benutzen, stellen die A ihre Fahrzeuge gerade für die Nutzung zu Verkehrszwecken bereit. Es besteht im Unterschied zum üblichen Straßenhandel Identität zwischen Geschäftszweck und Widmungszweck.
Rn 10 Die A treten über die bloße Bereitstellung der Fahrzeuge hinaus nicht durch ihre Mitarbeiter im öffentlichen Raum in Erscheinung, während etwa die Vermieter stationsgebundener Fahrzeugvermietungen bzw. ihre Mitarbeiter den öffentlichen Straßenraum oftmals zur persönlichen Übergabe oder Rücknahme der Fahrzeuge nutzen.“
2. Mietfahrräder
Bezogen auf Abstellplätze für Mietfahrräder sind die Auffassungen der Oberverwaltungsgerichte uneinheitlich.
a) Das OVG Hamburg (Beschluss vom 19.06.2009 – 2 Bs 82/09) sieht im Aufstellen von Mietfahrrädern auf öffentlichen Wegeflächen genehmigungsfreien Gemeingebrauch. Es gehe um ein „Parken“ iSd § 12 StVO. Insoweit beeinflusse die StVO das Landesstraßenrecht:
Rn 7 „… Dementsprechend ist auch das Abstellen von Zweirädern Parken im Rechtssinne und gelten die in § 12 StVO getroffenen Regelungen auch für Fahrräder, soweit sich aus dem Wortlaut der Regelungen oder ihrem Sinn und Zweck nichts anderes ergibt …. Danach lässt das Straßenverkehrsrecht das Abstellen von Fahrrädern im Bereich der hier allein in Rede stehenden Gehwege - vorbehaltlich der Grundregel des § 1 II StVO - ohne Einschränkungen zu. Auch ohne ausdrückliche Gestattung folgt dies daraus, dass das sich aus § 12 IV 1 StVO grundsätzlich ergebende Verbot des Parkens auf Gehwegen für Fahrräder nicht gilt … und deshalb der die gesamten Vorschriften über die Teilnahme am Straßenverkehr beherrschende Grundsatz der freien - nur durch ausdrückliche Verbote beschränkten - Entfaltung des Verkehrsteilnehmers zum Tragen kommt….
Rn 8 Das Aufstellen der Fahrräder der A dürfte … auch nicht deshalb aus der Widmung zum Verkehr und damit aus dem einschlägigen Gemeingebrauch herausfallen, weil es sich um Mietfahrräder handelt. Insoweit hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 3.6.1982, NJW 1982, 2332) hingewiesen, derzufolge das Aufstellen von zugelassenen und betriebsbereiten Kraftfahrzeugen auf der Straße durch eine Kraftfahrzeugvermietungsfirma, um sie an Kunden zur Wiederinbetriebnahme zu vermieten, als zulässiges Parken i.S.v. § 12 StVO und damit als Ausübung des Gemeingebrauchs anzusehen ist. Die in jener Entscheidung angeführte Begründung lässt sich ohne Weiteres auf den Streitfall übertragen. Danach dürfte auch die A nichts anderes tun, als betriebsbereite Fahrräder bei objektiv gegebener und gewollter Möglichkeit jederzeitiger Inbetriebnahme im Bereich der Gehwege aufzustellen und damit - wie dargelegt - von einem nach dem Straßenverkehrsrecht zulässigen Verkehrsvorgang Gebrauch zu machen. Ebenso dürfte das gewerbliche Instrument der Vermietung und das deshalb veranlasste Bereitstellen der Fahrräder auf den Gehwegen auch hier lediglich dazu dienen, die von vornherein bezweckte Wiederinbetriebnahme der Fahrräder als Verkehrsmittel zu erreichen. Ob die Straße aus privaten oder geschäftlichen Gründen benutzt wird, ist für die straßenverkehrsrechtliche Zulässigkeit und damit für den Gemeingebrauch … so lange ohne Bedeutung, wie eine Nutzung zum Zwecke des Verkehrs gegeben ist.
Rn 9 …. Das Anbieten der Fahrzeuge und die …. Abwicklung der Anmietung auf der Straße gehen der Wiederinbetriebnahme zwar voraus. Sie sind aber in der konkreten Ausgestaltung marginal und vor allem ihrerseits auf die Teilnahme am Straßenverkehr gerichtet und machen die Fahrräder somit nicht zu einer verkehrsfremden Sache. Darin unterscheidet sich der Sachverhalt von dem gewerblichen Anbieten sonstiger Leistungen und Waren auf öffentlichen Straßen, das als Sondernutzung eingeordnet werden kann….”
b) Demgegenüber sieht das OVG Münster (Beschluss vom 20.11.2020 – 11 B 1459/20) in dem Geschäftsmodell eine genehmigungspflichtige Sondernutzung, weil das Abstellen von Mietfahrrädern nicht vorwiegend dem Zweck der späteren Wiederinbetriebnahme der Fahrräder diene. Im Vordergrund stehe vielmehr der mit dem abgestellten Mietfahrrad verfolgte Zweck, den Abschluss eines Mietvertrags zu bewirken. Insoweit bestehe eine Ähnlichkeit zum Abstellen von Verkaufswagen zum Zwecke des Handels oder einer Kutsche zur Anbietung von Kutschfahrten.
Rn 35 „… Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Nutzung des öffentlichen Straßenraums durch abgestellte Mietfahrräder in der von der A vorgenommenen Weise Sondernutzung. Dies ergibt sich daraus, dass nach der spezifischen Funktionsweise des von ihr betriebenen Vermietgeschäfts das Abstellen der Fahrräder zwar auch zum Zwecke der späteren Wiederinbetriebnahme erfolgt; im Vordergrund steht indessen der mit dem abgestellten Fahrrad verfolgte gewerbliche Zweck, den Abschluss eines Mietvertrags zu bewirken.
Rn 38 Das Geschäftsmodell der A basiert auf der Möglichkeit zur Nutzung des öffentlichen Straßenraums durch ihre dort nach endgültiger Rückgabe zur erneuten Vermietung abgestellten oder vielmehr: zum Abschluss von Mietverträgen bereit gehaltenen Fahrräder. ….. Entscheidend ist, dass das … abgestellte Fahrrad unentbehrlich ist für den Abschluss des ihn betreffenden Mietvertrags. Dieser kann überhaupt nur zustande kommen, wenn die entsprechende „Hardware“ - das Mietfahrrad mit Radnummer und bedienbarem Display - und die notwendige „Software“ - der … übermittelte Öffnungscode - unmittelbar zur Hand sind. Insofern erfolgt das Abstellen … zwar auch zum Zwecke der späteren Wiederinbetriebnahme; dieser aber ordnet sich bei der erforderlichen objektiven Betrachtung dem - verkehrsfremden - Zweck unter, zuvor mit Hilfe eben dieses Fahrrads eine Vereinbarung über dessen Anmietung zu treffen, die ihrerseits überhaupt erst wieder dessen Inbetriebnahme ermöglicht. Bis zu diesem Zeitpunkt stellen sich die Mietfahrräder der A als eine verkehrsfremde Sache dar.“
Damit sieht das OVG Münster das Anbieten der Fahrzeuge und die Abwicklung der Anmietung gerade nicht als „marginal“ an, zumal der Zeitraum bis zur nächsten Vermietung idR nicht unerheblich ist – ein Zeitraum, der gewerblich geprägt ist, weil dies der Anbahnung neuer Geschäfte dient.
3. Mietroller
Das OVG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 23.05.2024 – OVG 1 S 25/24) hatte die Zuordnung in einem Eilverfahren zu entscheiden. Es konnte deshalb wegen der dabei nur erforderlichen „summarischen Prüfung der Hauptsache“ die Frage letztlich offenlassen. Es ist bei seinem Beschluss davon ausgegangen, dass die Inanspruchnahme der Verkehrsflächen durch E-Scooter im Freefloating-Modell mit „großer Wahrscheinlichkeit“ als Sondernutzung einzuordnen ist:
Rn 15 „Gemäß … BbgStrG ist nur der Gebrauch der Straßen „innerhalb der verkehrsüblichen Grenzen“ als Gemeingebrauch zulässig. Fraglich ist, ob sich die Nutzung der Straße in der von der A praktizierten Form noch innerhalb dieser Grenzen bewegt. So stellt A …die zur Anmietung bereitgestellten E-Roller nicht einzeln, sondern regelmäßig in größeren Einheiten … auf dem Gehweg auf. Dadurch wird der öffentliche Straßenraum für Fußgänger in mitunter erheblicher Weise begrenzt und eingeschränkt. Darüber hinaus kommt es … in nicht unerheblichem Umfang durch auf Fuß- und Radwegen nicht ordnungsgemäß abgestellte, umgeworfene oder umgefallene E-Roller zu Behinderungen. … Hinzukommt, dass bei dem Angebot von E-Rollern im Freefloating-Modell oftmals planmäßig mehr Fahrzeuge im Verkehrsraum verteilt werden, als voraussichtlich genutzt werden …
Rn 18 Die von ihr für die Anmietung durch einzelne Nutzer im Freefloating-Modell zur Verfügung gestellten E-Roller mögen zwar bei ihrer Aufstellung durch die A betriebsbereit sein. Allerdings kommt es - anders als bei Car-Sharing-Fahrzeugen - regelmäßig vor und ist Teil des Vertriebsmodells auch der A, dass die E-Roller auch dann an jedem beliebigen (vertraglich zugelassenen) Ort zurückgelassen werden können, wenn sie defekt sind oder der Akku leer ist. Möglich ist auch, dass ein Fahrzeug längere Zeit nicht gemietet wird und sich der Akku daher bereits während der Standzeit entladen hat. In all diesen - systemimmanent vorkommenden - Fällen ist die jederzeitige Inbetriebnahme des Fahrzeugs und eine bestimmungsgemäße Teilnahme am Verkehr nicht möglich. ….“
Ergebnisse
Das gegenwärtige Meinungsbild ist uneinheitlich. Noch stehen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts aus. Für Prüfungsarbeiten bedeutet das, dass man beide Sichtweisen vertreten kann. Entscheidend ist die Begründung: Inanspruchnahme der Straße vorwiegend zum Verkehr (dann Gemeingebrauch) oder doch zu gewerblichen Zwecken (dann Sondernutzung).
II. Zulässige Klage nach VwGO
Besteht Streit über ein Genehmigungserfordernis, bietet sich die allgemeine Feststellungsklage nach § 43 I VwGO mit dem Antrag an, das Verwaltungsgericht möge aussprechen, dass die angestrebte Tätigkeit nicht als Sondernutzung genehmigungspflichtig ist. Der Streit über eine Genehmigungspflicht im Einzelfall bezogen auf ein klagendes Unternehmen bildet ein konkretes „Rechtsverhältnis“, das erforderliche „Feststellungsinteresse“ ist wirtschaftlicher und zugleich rechtlicher Natur, zumal die angestrebte gewerbliche Tätigkeit möglicherweise verboten werden kann. Andere Klagen scheiden aus, insbes. kommt eine Verpflichtungsklage auf Verurteilung der Verwaltung zur Erteilung der Genehmigung nicht in Betracht, wenn der Kläger von der Genehmigungsfreiheit ausgeht. § 43 II 1 VwGO steht somit der Zulässigkeit nicht entgegen.
(OVG Berlin-Brandenburg 23.05.2024 – OVG 1 S 25/24)
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