BGH zum Widerrufsrecht eines Verbrauchers

BGH zum Widerrufsrecht eines Verbrauchers

Kann ein Vertrag auch viele Jahre nach Abschluss eines Vertrages widerrufen werden?

Ein Verbraucher hat vor 7 beziehungsweise 10 Jahren Verträge abgeschlossen, ohne über sein Widerrufsrecht belehrt worden zu sein. Steht ihm dennoch ein Widerrufsrecht nach § 312g I BGB zu?

A. Sachverhalt

Der Kläger (K), ein in Deutschland wohnhafter Verbraucher hat mit der Beklagten (B), einem in der Schweiz ansässigen Unternehmen per Fernkommunikationsmittel vor 7 bzw. 10 Jahren „Kauf- und Dienstleistungsverträge“ über Ankauf, Bewirtschaftung und späteren Verkauf von Teakbäumen „Teakinvestment“ in Costa Rica geschlossen, welche B auf ihrer Internet-Homepage beworben hatte. K hat dafür an B 37.200 Euro beziehungsweise 44.000 Euro bezahlt und es wurde eine Laufzeit von 17 Jahren beziehungsweise 14 Jahren vereinbart.

In den AGB von B wurde der Gerichtsstand in der Schweiz festgelegt und die Geltung schweizerischen Rechts vereinbart. Eine Belehrung über etwaige Widerrufsrechte erfolgte nicht.

K hat nach 7 beziehungsweise 10 Jahren seine auf die Verträge gerichteten Willenserklärungen gegenüber B schriftlich widerrufen.

K verlangt von B Rückzahlung der geleisteten Beträge i.H.v. 37.200 Euro und 44.000 Euro.

B. Entscheidung

K verlangt nach Beendigung der Kauf- und Dienstleistungsverträge aufgrund Widerrufs von B Rückzahlung der geleisteten Beträge i.H.v. 37.200 Euro und 44.000 Euro.

I. Internationale Zuständigkeit

K könnte von B Rückzahlung der geleisteten Beträge i.H.v. 37.200 Euro und 44.000 Euro nach § 355 III 1 BGB verlangen.

1. Auslandsbezug

Aufgrund des Auslandsbezugs des Sitzes von B in der Schweiz ist zunächst die internationale Zuständigkeit, also die Zuständigkeit der Gerichte eines Staates, zu bestimmen.

2. Brüssel Ia-VO

Die Brüssel Ia-VO (Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 12.12.2012) gilt nur für Mitgliedstaaten der EU und kann nicht angewandt werden, da die Schweiz kein Mitgliedsstaat ist.

3. LugÜ

Die Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich jedoch aus Art. 15 I c), 16 I 2. Alt. LugÜ (Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30.10.2007. Das LugÜ ist in sachlicher, räumlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht anwendbar. Nach Art. 15 I c), 16 I 2. Alt. LugÜ ist die Zuständigkeit gegeben, sofern der beruflich oder gewerbliche tätige Vertragspartner (B) seine Tätigkeit auf den Staat eines Verbrauchers (K) ausrichtet und der Verbraucher die Gerichte am Ort seines Wohnsitzes, also in Deutschland, anruft.

Verbraucher im Sinne des Art. 15 Abs. 1 LugÜ II ist jede natürliche Person, die den konkreten Vertrag ohne Bezug zu einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit oder Zielsetzung und unabhängig von einer solchen allein zu dem Zweck schließt, ihren Eigenbedarf beim privaten Verbrauch zu decken….

B hat auch seine Tätigkeit auf Deutschland ausgerichtet. Dies ergibt sich nicht nur daraus,

dass die Beklagte im Internet unter der internationalen Domäne “.com” aufgetreten ist …, sondern auch … auf die dort erfolgte Angabe des Kaufpreises in Euro und den aufgedruckten Hinweis, dass die Beklagte für jeden verkauften Baum “10 Euro/ct” an UNICEF spenden werde….

4. Unwirksamkeit der Gerichtsstandsbestimmung

Die Bestimmung des Gerichtsstands in der Schweiz ist nach Art. 17 LugÜ unwirksam.

II. Anwendbares Recht

1. Rom I-VO

Ferner ist aufgrund des Auslandsbezuges das anwendbare Recht zu ermitteln. Die Anwendbarkeit des deutschen materiellen Rechts ergibt sich aus Art. 6 I b) Rom I-VO (Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 17.6.2008. Die Rom I-VO ist in sachlicher, räumlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht anwendbar. Nach Art. 6 I b) Rom I-VO richtet sich das anwendbare Recht nach dem Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern der beruflich oder gewerbliche tätige Vertragspartner (B) seine Tätigkeit auf den Staat eines Verbrauchers (K) ausrichtet.

2. Keine vorrangige Rechtswahl schweizerischen Rechts

Zwar kann grundsätzlich nach Art. 6 II 1 Rom I-VO das anwendbare Recht gewählt werden. Dies ist jedoch nicht möglich bei Abweichungen von zwingenden Bestimmungen des Rechts am gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers („Günstigkeitsprinzip“) und hier insbesondere von den §§ 312g, 355, 356, 361 BGB.

(In der Entscheidung des BGH ging es um Verträge aus den Jahren 2010 und 2013 und Widerrufserklärungen aus dem Jahr 2020, sodass von dem BGH die Widerrufsvorschriften in der damals geltenden Fassung angewandt wurden. Vorliegend werden aber ausschließlich die aktuellen Vorschriften verwandt.)

III. Anspruch auf Rückzahlung

K könnte von B Rückzahlung der geleisteten Beträge i.H.v. 37.200 Euro und 44.000 Euro nach § 355 III 1 BGB verlangen.
Nach § 355 III 1 BGB sind im Falle des Widerrufs die empfangenen Leistungen unverzüglich zurückzugewähren.

1. Widerrufserklärung

K hat gegenüber B seine auf die Vertragsschlüsse gerichteten Willenserklärungen widerrufen, § 355 I 1, 2 BGB.

2. Widerrufsrecht nach § 312g I BGB

Nach § 312g I BGB steht dem Verbraucher bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht gem. § 355 BGB zu.

a. Anwendbarkeit

Nach § 312 I BGB ist unter anderem § 312g BGB anzuwenden bei Verbraucherverträgen, bei denen sich der Verbraucher zu der Zahlung eines Preises verpflichtet. Verbraucherverträge sind nach § 310 III vor Ziff. 1 BGB Verträge zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher. K ist Verbraucher nach § 13 BGB und B Unternehmer nach § 14 BGB. K hat sich auch zur Zahlung eines Preises verpflichtet.

b. Fernabsatzverträge nach § 312c BGB

Dementsprechend hat K grundsätzlich ein Widerrufsrecht gem. § 355 BGB nach § 312g I BGB bei Vorliegen von Fernabsatzverträgen. Gem. § 312 c I sind Fernabsatzverträge Verträge, bei denen der Unternehmer und der Verbraucher für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwenden. Fernkommunikationsmittel sind nach § 312 c II BGB alle Kommunikationsmittel, die zur Anbahnung oder zum Abschluss eines Vertrags eingesetzt werden können, ohne dass die Vertragsparteien gleichzeitig körperlich anwesend sind. K und B haben die Verträge per Fernkommunikationsmittel geschlossen und es handelt sich somit um Fernabsatzverträge.

c. Kein Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312g II Nr. 8 BGB

Das Widerrufsrecht von K ist auch nicht nach § 312g II Nr. 8 BGB ausgeschlossen. Gem. dieser Vorschrift besteht kein Widerrufsrecht bei Verträgen zur Lieferung von Waren oder zur Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich Finanzdienstleistungen, deren Preis von Schwankungen auf dem Finanzmarkt abhängt, auf die der Unternehmer keinen Einfluss hat und die innerhalb der Widerrufsfrist auftreten können, insbesondere Dienstleistungen im Zusammenhang mit Aktien etc. Bei den Ausschlusstatbeständen des § 312g II BGB handelt es sich um einen enumerativen eng auszulegenden Ausnahmekatalog.

Hintergrund der Ausnahmebestimmung war (und ist), dass bei spekulativen Geschäften beide Vertragsparteien in gleicher Weise das Risiko tragen sollen, dass sich ihre Einschätzung als fehlerhaft erweist, wohingegen ein Widerrufsrecht dieses Risiko einseitig dem Unternehmer aufbürden würde. Demgegenüber sollte der Schutzzweck der Widerrufsvorschriften zurücktreten … Dementsprechend ist für die Anwendung … maßgeblich, dass der spekulative Charakter den Kern des Geschäfts ausmacht.

Vor diesem Hintergrund hat das Berufungsgericht zu Recht die Anwendung der Ausnahmevorschrift … mit der Begründung abgelehnt, dass es vorliegend um eine langfristige Investition gehe, der nur mittelbar spekulativer Charakter zukomme. Die Geschäfte würden gerade nicht in Erwartung kurzfristiger Preissteigerungen auf dem Holzmarkt getätigt. Ob die Anlage zum Erfolg oder Misserfolg werde, sei damit grundsätzlich nicht innerhalb der üblicherweise andauernden Widerrufsfrist von 14 Tagen erkennbar, weshalb es an einer unmittelbaren Abhängigkeit vom Finanzmarkt und dessen Schwankungen fehle.

d. Widerrufsfrist

Die Widerrufsfrist beträgt grundsätzlich nach § 355 II 1 BGB 14 Tage. Sie beginnt grundsätzlich mit Vertragsschluss nach § 355 II 2 BGB. Allerdings beginnt die Widerrufsfrist nach § 356 III 1 BGB nicht, bevor der Unternehmer den Verbraucher entsprechend über sein Widerrufsrecht unterrichtet hat. Dann erlischt das Widerrufsrecht nach § 355 III 2 BGB spätestens 12 Monate und 14 Tage nach dem Vertragsschluss. Dann wäre das Widerrufsrecht bei einer Ausübung von 7 beziehungsweise 10 Jahren nach Vertragsschluss ausgeschlossen.

e. Kein Beginn der Widerrufsfrist bei Verträgen über Finanzdienstleistungen

Allerdings gilt dies nach § 356 III 3 BGB nicht bei Verträgen über Finanzdienstleistungen, sodass bei diesen die Widerrufsfrist nicht beginnt ohne entsprechende Belehrung. Dementsprechend konnte K noch widerrufen, wenn es sich um Verträge über Finanzdienstleistungen handelt. Finanzdienstleistungen sind nach der Legaldefinition des § 312 V 1 BGB Vertragsverhältnisse über Bankdienstleistungen sowie Dienstleistungen im Zusammenhang mit einer Kreditgewährung, Versicherung, Altersversorgung von Einzelpersonen, Geldanlage oder Zahlung. Der Begriff ist

nicht einschränkend dahingehend auszulegen ist, dass eine Geldanlage nur vorliegt, wenn Anlageobjekt ausschließlich Finanzinstrumente sind …

Ob vor diesem Hintergrund der reine Verkauf von Sachgütern zum Zweck der Geldanlage eine Finanzdienstleistung … darstellt, erscheint zweifelhaft, bedarf vorliegend jedoch keiner Entscheidung, denn die hier durch die Kauf- und Dienstleistungsverträge begründeten Pflichten der Beklagten sowie die zu Grunde liegende Interessenlage der Parteien unterscheiden sich wesentlich von denjenigen eines reinen Verkaufs von Sachgütern und rechtfertigen die Qualifikation des Gesamtvertrags als Finanzdienstleistung.

Zum einen besteht … nach der Gesamtkonzeption des einheitlich angebotenen “Teakinvestments” die aus der Sicht des Verbrauchers wesentliche Leistung der Beklagten ersichtlich nicht in der für einen reinen Erwerb von Sachgütern charakteristischen Verschaffung des Eigentums an den Bäumen …, sondern in deren - als Dienstleistung von der Beklagten nach der sich über zehn Jahre hinweg erstreckenden Aufzucht geschuldeten - Verwertung am Ende der Vertragslaufzeit…. Der Schwerpunkt der von der Beklagten im Rahmen des “Teakinvestments” zu erbringenden Leistungen liegt … nicht auf der Eigentumsverschaffung, sondern auf den zur Realisierung einer Rendite erforderlichen Dienstleistungen der Beklagten. Zum anderen verfolgt die Beklagte als Anbieterin des “Teakinvestments” mit der von ihr angestrebten Bündelung von Anlegerkapital und der jahrelangen Vertragslaufzeit ein Konzept, das über den reinen - auch institutionalisierten - Verkauf von Sachgütern hinaus Parallelen beispielsweise zu einem Sachwertefonds aufweist …

Damit handelt es sich bei den Kauf- und Dienstleistungsverträgen über Teakbäume in Costa Rica um Verträge über Finanzdienstleistungen. Dementsprechend hat die Widerrufsfrist nicht begonnen, § 356 III 3 BGB. K hat die Verträge widerrufen.

Ergebnis:
K kann von B Rückzahlung der geleisteten Beträge i.H.v. 37.200 Euro und 44.000 Euro nach § 355 III 1 BGB verlangen.

C. Prüfungsrelevanz

Das Widerrufsrecht eines Verbrauchers ist häufig Gegenstand von Examensklausuren. Der vorliegende Fall bietet die Möglichkeit, sich damit zu beschäftigen, ob die Voraussetzungen eines Widerrufs gegeben sind insbesondere mit dem Ausschlusstatbestand des § 312g II Nr. 8 BGB und dem Beginn der Widerrufsfrist nach § 356 III BGB. Zudem könnte gegebenenfalls als Zusatzaufgabe noch eine Frage zu der internationalen Zuständigkeit oder zum anwendbaren Recht bei vorhandenem Auslandsbezug eingebaut werden.

(BGH Urt. v. 15.5.2024 – VIII ZR 226/22)

BlogPlus

Du möchtest weiterlesen?

Dieser Beitrag steht exklusiv Kunden von Jura Online zur Verfügung.

Paket auswählen