BGH zur Gefährdungshaftung bei Fahrzeugbrand aus unklarer Ursache

BGH zur Gefährdungshaftung bei Fahrzeugbrand aus unklarer Ursache

Ist eine Haftung nach § 7 I StVG gegeben, wenn ein Fahrzeug in Brand gerät und ein anderes Fahrzeug beschädigt, obwohl die Ursache des Brandes nicht geklärt ist?

Ein geparktes Kraftfahrzeug gerät in Brand und dadurch wird ein anderes geparktes Auto geschädigt. Die genaue Ursache des Brandes lässt sich aber nicht klären. Ist dann die Sachbeschädigung dennoch „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ erfolgt?

A. Sachverhalt

Der Kläger (K) ist Halter und Eigentümer eines an der Straße mit leichtem Gefälle geparkten Pkw. Oberhalb davon war ein bei der beklagten Haftpflichtversicherung (B) versicherter Pkw geparkt. Dieser ist nachts in Brand geraten und anschließend auch der Pkw des K, welcher dabei zerstört wurde. Weshalb der bei B haftpflichtversicherte Pkw Feuer gefangen hat, konnte nicht geklärt werden.

K verlangt von B die Zahlung von Schadensersatz i.H.v. 6.786,88 Euro.

B. Entscheidung

K macht insofern einen Schadensersatzanspruch geltend.

Deliktische Ansprüche

(Vertragliche, vertragsähnliche oder dingliche Ansprüche kommen nicht in Betracht). Es könnte ein deliktischer Anspruch bestehen.

I. § 115 I 1 Nr. 1 VVG, § 1 S. 1 PflVG, § 7 I StVG

K könnte gegen B einen Schadensersatzanspruch haben i.H.v. 6.786,88 Euro nach § 115 I 1 Nr. 1 VVG, § 1 S. 1 PflVG, § 7 I StVG.

1. Direktanspruch gegen B nach § 115 I 1 Nr. 1 VVG, § 1 S. 1 PflVG

Der Geschädigte hat einen Direktanspruch gegen B als Haftpflichtversicherer des Schädigers nach § 115 I 1 Nr. 1 VVG, § 1 S. 1 PflVG, sofern er einen solchen Schadensersatzanspruch gegen den Halter (Schädiger) nach § 7 I StVG hat.

2. § 7 I StVG

Ein Schadensersatzanspruch nach § 7 I StVG setzt voraus: Rechtsgutsverletzung, Halter, Betrieb eines Kfz, haftungsbegründende Kausalität (zwischen Rechtsgutsverletzung und Betrieb eines Kfz), kein Ausschluss nach § 7 II StVG, Schaden, haftungsausfüllende Kausalität (zwischen Rechtsgutsverletzung und Schaden).

a) Rechtsgutsverletzung

Eine Rechtsgutsverletzung als Sachbeschädigung ist in Form der Eigentumsverletzung am Kfz des Geschädigten durch den Brand erfolgt.

b) Halter

Der Schädiger (und Versicherungsnehmer von B) ist Halter des gegnerischen Kfz.

c) Betrieb eines Kfz

Die Sachbeschädigung muss bei dem Betrieb des Kfz eingetreten sein. Diese Tatbestandsvoraussetzung ist

entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen. Denn die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann “bei dem Betrieb” eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, das heißt, wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist. Erforderlich ist aber stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, d.h. die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist.

Dementsprechend kann die Betriebsgefahr nur dann zugerechnet werden, wenn

die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht.

Dabei reicht bei dem Brand eines Pkw

allein der Umstand, dass Kraftfahrzeuge wegen der mitgeführten Betriebsstoffe oder der verwendeten Materialien leicht brennen, nicht aus, um eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG zu begründen. Hinzukommen muss vielmehr, dass der Brand als solcher in irgendeinem ursächlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kfz steht.

Bei dem Betrieb eines Kfz bedeutet jedoch nicht, dass der Schaden durch den Betrieb des Kfz selbst oder dessen Nachwirkungen entstanden ist. Vielmehr kann dies

-etwa durch einen Kurzschluss der Batterie- unabhängig vom Fahrbetrieb selbst vor, während oder nach einer Fahrt eintritt.

Sonst wäre eine Haftung in den Fällen nicht gegeben,

in denen unabhängig von einem Betriebsvorgang allein ein technischer Defekt einer Betriebseinrichtung für den Schaden eines Dritten ursächlich geworden ist. Bei der gebotenen wertenden Betrachtung ist das Schadensgeschehen jedoch auch in diesen Fällen - im Gegensatz etwa zu einem vorsätzlichen Inbrandsetzen eines ordnungsgemäß zum Parken abgestellten Kraftfahrzeugs - durch das Kraftfahrzeug selbst und die von ihm ausgehenden Gefahren entscheidend (mit)geprägt worden. Hierzu reicht es aus, dass der Brand oder dessen Übergreifen in einem ursächlichen Zusammenhang mit einer Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht.

Insofern gehört auch das Parken eines Pkw am Straßenrand zum Betrieb eines Kfz.

Der Betrieb eines Fahrzeugs dauert fort, solange der Fahrer das Fahrzeug im Verkehr belässt und die dadurch geschaffene Gefahrenlage fortbesteht …. Die Anwesenheit eines im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle allein rechtfertigt aber noch nicht die Annahme, ein Schaden sei bei dem Betrieb dieses Fahrzeugs entstanden. Erforderlich ist vielmehr, dass die Fahrweise oder der Betrieb dieses Fahrzeugs zu dem Entstehen des Schadens beigetragen hat.

Die Ursache des Austritts von brennendem Benzin aus dem bei B haftpflichtversicherten Pkw konnte nicht identifiziert werden und war somit ungeklärt. Insofern ist nicht positiv festgestellt, dass der Brand auf einen Betriebsvorgang dieses Pkws zurückzuführen ist.

d) Haftungsbegründende Kausalität

Die haftungsbegründende Kausalität ist die Kausalität zwischen der Rechtsgutverletzung und dem Betrieb eines Kfz. Auch diese steht damit nicht positiv fest.

e) Kein Ausschluss nach § 7 II StVG

Es dürfte kein Ausschluss der Ersatzpflicht nach § 7 II StVG vorliegen.

f) Schaden

Ferner müsste ein Schaden, also ein unfreiwilliges Vermögensopfer, entstanden sein. Nach § 249 I BGB kann grundsätzlich Naturalrestitution verlangt werden. Im Rahmen der von § 249 I BGB vorausgesetzten Differenzhypothese (= Differenz zwischen realer und hypothetischer Vermögenslage) kann der Differenzschaden als Schadensersatz gefordert werden. Nach § 249 II 1 BGB kann statt der Herstellung der dazu erforderliche Geldbetrag verlangt werden.

g) Haftungsausfüllende Kausalität

Ferner müsste die haftungsausfüllende Kausalität (zwischen Rechtsgutsverletzung und Schaden) gegeben sein im Sinne der Äquivalenz, der Adäquanz und nach dem Schutzzweck der Norm.

f) Beweislast

Die Beweislast der anspruchsbegründenden Voraussetzungen trägt der Anspruchsteller und somit K. Dies gilt auch im Rahmen des § 7 I StVG.

Insoweit gilt das strenge Beweismaß des § 286 Abs. 1 ZPO, das die volle Überzeugung des Tatgerichts erfordert …. Selbst nach dem strengen Maßstab des § 286 ZPO bedarf es aber keines naturwissenschaftlichen Kausalitätsnachweises und auch keiner an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, vielmehr genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der verbleibenden Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.

Das ist auch so, wenn die Umstände der konkreten Schadensverursachung schwer zu beweisen sind.

Wenn der Partei der unmittelbare Beweis einer Tatsache, die ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal als vorhanden ergibt …, nicht gelingt, kann sich das Gericht eine entsprechende Überzeugung auch aufgrund von Indizien bilden. Das Gericht darf sich allerdings nur auf solche Indizien stützen, die unstreitig oder bewiesen, also sicher festgestellt sind …. Ein Indizienbeweis ist überzeugungskräftig, wenn andere Schlüsse aus den Indiztatsachen ernstlich nicht in Betracht kommen.

Die Beweislast, dass der Brand nicht durch eine Brandstiftung entstanden ist, trägt ebenso der Anspruchsteller.

Zwar kann der Umstand, dass eine Brandstiftung als Brandursache nicht in Betracht kommt, als Indiz dafür dienen, dass der Brand auf den Betrieb des Fahrzeugs zurückzuführen ist. … Dass das Berufungsgericht es als nicht erwiesen angesehen hat, dass der Brand am Renault auf Brandstiftung beruht, beinhaltet im Übrigen nicht zugleich die Feststellung, dass eine Brandstiftung als Brandursache nicht in Betracht kommt.

Grundsätzlich kommt zwar auch ein Anscheinsbeweis in Betracht. Dieser greift

bei typischen Geschehensabläufen ein, also in Fällen, in denen ein bestimmter Sachverhalt feststeht, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder auf einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist, was grundsätzlich auch bei der Feststellung von Brandursachen in Betracht kommen kann …. Dabei bedeutet Typizität nicht, dass die Ursächlichkeit einer Tatsache für den Erfolg bei allen Sachverhalten der Fallgruppe immer vorhanden sein muss; sie muss aber so häufig gegeben sein, dass die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Fall vor sich zu haben, sehr groß ist …. Der Anscheinsbeweis ist entkräftet, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs ergibt.

Der bei B haftpflichtversicherte Pkw ist nachts in Brand geraten.

Dass eine Brandstiftung ausgeschlossen wäre, ist den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht zu entnehmen. Das Berufungsgericht hat lediglich den Nachweis einer Brandstiftung als nicht erbracht angesehen. Auf dieser Grundlage kommt nach der allgemeinen Lebenserfahrung als typische Brandursache nicht nur ein technischer Defekt am parkenden Fahrzeug in Betracht; es bleibt vielmehr die Möglichkeit einer Brandstiftung, die das Berufungsgericht nicht ausgeschlossen hat. Die Feststellungen des Berufungsgerichts rechtfertigen die Anwendung eines Anscheinsbeweises, dass eine Betriebseinrichtung des Renault den Brand ausgelöst habe, daher nicht.

Ergebnis

K hat gegen B keinen Schadensersatzanspruch i.H.v. 6.786,88 Euro nach § 115 I 1 Nr. 1 VVG, § 1 S. 1 PflVG, § 7 I StVG.

II. § 823 I BGB; § 823 II BGB i.V.m. § 1 II StVO

(Weitergehende Ansprüche aus § 823 I BGB und § 823 II BGB i.V.m. § 1 II StVO konnten und mussten vom BGH nicht geprüft werden.

(Ein Schadensersatzanspruch nach § 823 I BGB setzt voraus: Rechtsgutsverletzung, Handlung, haftungsbegründende Kausalität (zwischen Rechtsgutsverletzung und Handlung), Rechtswidrigkeit, Verschulden, Schaden, haftungsausfüllende Kausalität (zwischen Rechtsgutsverletzung und Schaden).

Ein Schadensersatzanspruch nach § 823 II BGB setzt voraus: Schutzgesetz, Verletzung (Handlung), haftungsbegründende Kausalität (zwischen Rechtsgutsverletzung und Handlung), Rechtswidrigkeit, Verschulden, Schaden, haftungsausfüllende Kausalität (zwischen Rechtsgutsverletzung und Schaden).)

C. Prüfungsrelevanz

Das Deliktsrecht in Form der Gefährdungshaftung nach § 7 I StVG ist nicht selten Gegenstand von Prüfungsklausuren. In der vorliegenden Entscheidung ging es dabei um die Frage, ob eine Haftung auch bei ungeklärter Ursache eines Fahrzeugbrandes gegeben ist.

Die Prüfungsrelevanz der Entscheidung ergibt sich daraus, dass ein Schadensersatzanspruch nach § 7 I StVG in Kombination mit einem Direktanspruch gegen den Versicherer nach § 115 VVG zu prüfen ist und es insofern auch einer Auseinandersetzung mit der Beweislast bedarf.

(BGH Urt. v. 12.12.2023 – VI ZR 76/23)

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