BGH zum Zueignungsbegriff bei § 246 StGB

BGH zum Zueignungsbegriff bei § 246 StGB

Während bei § 242 StGB der Täter nur die Absicht haben muss, sich oder einem Dritten die Sache zuzueignen, ist die Zueignung bei § 246 StGB die Tathandlung. Welche Anforderungen an diese Zueignungshandlung zu stellen sind, ist streitig. Nunmehr hat der BGH in einem obiter dictum eine Änderung seiner Rechtsprechung in Aussicht gestellt. Grund genug, sich mit dem Zueignungsbegriff erneut auseinanderzusetzen.

A. Sachverhalt

Soweit es sich der Beschlussbegründung des BGH entnehmen lässt, ließ der Angeklagte A nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Insolvenzverwalter über den Verbleib eines der T-AG sicherungsübereigneten und sich in seinem Besitz befindlichen Tiefladers im Unklaren. Weder erklärte er, dass er sich im Besitz des Tiefladers befand, noch bot er der Eigentümerin gegenüber die Herausgabe an. Die Sicherstellung konnte erst ein Jahr später aufgrund der Bemühungen eines von der Eigentümerin eingeschalteten „Sicherstellers“ erfolgen.

B. Lösung

Der BGH (Beschluss v. 29.11.2023 – 6 StR 191/23) hob das Urteil des LG Neuruppin, welches eine Unterschlagung bejaht hatte, auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an dieses zurück.

Er war der Auffassung, dass schon auf Basis der bisherigen Rechtsprechung eine rechtswidrige Zueignung nicht bejaht werden könne. Darüber hinaus erklärte er in einem obiter dictum, dass er gedenke, die Zueignung zukünftig abweichend von der bisherigen Rechtsprechung definieren zu wollen.

Bevor wir in die Prüfung des § 246 I StGB einsteigen, wollen wir uns zunächst einmal anschauen, ob einzelne Senate des BGH ohne weiteres die Rechtsprechung „des BGH“ ändern können.

Hier hilft ein Blick in § 132 GVG. Gemäß § 132 III GVG muss - im Interesse der Rechtssicherheit – zunächst jener Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, gefragt werden, ob er an seiner Entscheidung festzuhalten gedenke. Schließt sich der befragte Senat der Rechtsauffassung des anfragenden Senats an, dann gibt es eine „neue Rechtsprechung“. Schließt er sich hingegen nicht an, muss gem. § 132 II GVG der Große Senat, bestehend aus dem Präsidenten und je zwei Mitgliedern der Strafsenate, angerufen werden, dessen Entscheidung dann als „neue Rechtsprechung“ bindend ist.

Eine ähnliche Regelung gibt es auch für Oberlandesgerichte, die beabsichtigen, von Entscheidungen des eigenen oder eines anderen Oberlandesgerichts abzuweichen. Hier muss gem. § 121 II GVG der BGH angerufen werden.

Kommen wir damit zur Prüfung des § 246 I StGB.

I. Unterschlagung gem. § 246 I StGB

A könnte sich wegen Unterschlagung gem. § 246 I StGB strafbar gemacht haben, indem er die T-AG im Unklaren ließ über den Verbleib des Tiefladers.

Da der Tieflader an die T-AG sicherungsübereignet war, stand er in deren Eigentum und war damit eine für A fremde bewegliche Sache.

Fraglich ist, ob er sich diese Sache durch Verschleierung des Verbleibs des Tiefladers rechtswidrig zugeeignet hat.

Nach den Manifestationstheorien setzt eine solche Zueignung lediglich eine Handlung voraus, die auf einen Zueignungswillen schließen lässt. Abzustellen ist dabei auf einen objektiven Beobachter.

Nach der weiten Manifestationstheorie kennt dieser objektive Beobachter den Zueignungswillen des Täters (Jäger JuS 2000), nach der überwiegend vertretenen engen Manifestationstheorie erfolgt die Bewertung ohne Berücksichtigung des Zueignungswillens (Lackner/Kühl StGB § 246 Rn 4; BGHSt 34, 309).

Die Theorien kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen bei äußerlich neutralen Handlungen, wie z.B. dem Einstecken eines zuvor vom Eigentümer verlorenen Portemonnaies. Da dieses Einstecken auch erforderlich wäre, wollte der Täter es zum Fundbüro bringen, kann nur die weite Manifestationstheorie eine Zueignung bejahen, sofern ein entsprechender, sich in dem Einstecken manifestierender Vorsatz gegeben ist.

Zu beachten ist, dass diese Theorien keinen Zueignungserfolg voraussetzen.

Demgegenüber verlangen die Aneignungs- die Enteignungs- und die Zueignungstheorien einen tatbestandlichen Erfolg. Allen Theorien ist gemein, dass eine der genannten Komponenten (oder beide) objektiv vollzogen sein muss.

Unter Zugrundelegung der Manifestationstheorien, die auch von der Rechtsprechung vertreten werden, hat der BGH (a.a.O.) vorliegend bereits eine Zueignung verneint. Er hat dazu Folgendes ausgeführt:

„Auch nach Ansicht der bisherigen Rechtsprechung ist für eine Unterschlagung sicherungsübereigneter Gegenstände erforderlich, dass der Täter – über ihr „Behalten“ hinaus – ein Verhalten an den Tag legt, aus dem geschlossen werden kann, dass er sich als Eigentümer „geriert“, wobei ein Verbergen …, ein Verkauf…, aber auch ein Gebrauch der Gerätschaften ausreichen kann, wenn mit ihm ein erheblicher Wertverlust einhergeht…“

Da sich nun für den 6. Senat aber die Gelegenheit bot, Grundlegendes zur Zueignung auszuführen, hat er diese auch genutzt. Kommen wir damit zum obiter dictum des 6. Senats am BGH (a.a.O.). Dieser Senat möchte – abweichend von der bisherigen Rechtsprechung - fortan für die Zueignung einen Zueignungserfolg verlangen.

„Eine Zueignung im Sinne des § 246 Abs. 1 StGB setzt nach der von der bisherigen Rechtsprechung abweichenden Auffassung des Senats voraus, dass der Täter sich die Sache oder den in ihr verkörperten wirtschaftlichen Wert wenigstens vorübergehend in sein Vermögen einverleibt und den Eigentümer auf Dauer von der Nutzung ausschließt … Eine bloße Manifestation des Zueignungswillens genügt nicht, kann aber ein gewichtiges Beweisanzeichen für den subjektiven Tatbestand sein.“

Der Senat möchte sich mithin die Auffassung seines Vorsitzenden Sander zu eigen machen, der Anhänger der Zueignungstheorie ist (Hohmann/Sander Strafrecht BT I, 3. Aufl. 2011, § 3 Rn. 5 ff).

Dieses Ergebnis begründet der Senat zunächst mit dem Wortlaut des § 246 I StGB, indem er – wenig überzeugend - ausführt:

„Gestützt wird dieses Verständnis durch den Wortlaut des § 246 StGB, wonach derjenige eine Unterschlagung begeht, der sich oder einem Dritten eine Sache rechtswidrig zueignet. Mit dieser Formulierung schreibt der Gesetzgeber fest, dass eine Zueignung tatsächlich eingetreten sein muss; die Vorschrift ist als Erfolgsdelikt ausgestaltet.“

Alsdann folgt ein Verweis auf die Gesetzgebungsgeschichte, mithin also eine historische Auslegung:

„Auch die Gesetzgebungsgeschichte spricht für eine rechtsgutbezogene Auslegung des Begriffs der Zueignung. So wurde der Anwendungsbereich des § 246 StGB mit dem Sechsten Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 26. Januar 1998 (BGBl. 1998 I 164), das – neben der Einbeziehung sogenannter Drittzueignungen – den Wegfall des Gewahrsamserfordernisses vorsah (vgl. dazu auch BT-Drucks. 13/8587, 43 f.), erheblich ausgeweitet … Um nach der Gesetzesänderung die Tathandlung und den Vollendungszeitpunkt unter Wahrung des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG) zu konkretisieren und die Grenze zur Versuchsstrafbarkeit (§ 246 Abs. 3 StGB) konturieren zu können …, ist der Unterschlagungstatbestand – und damit notwendigerweise das Tatbestandsmerkmal „zueignet“ – auf tatsächliche Eigentumsbeeinträchtigungen zu beschränken.“

Dieses vorläufige Ergebnis sichert der BGH nun mit der systematischen Auslegung ab, indem er ausführt:

„Für dieses Ergebnis streiten zudem gesetzessystematische Erwägungen. So setzt die Zueignungsabsicht beim Diebstahl voraus, dass sich der Täter unter dauerhaftem Ausschluss der Nutzungsmöglichkeit des Berechtigten die Sache oder den in ihr verkörperten Wert seinem Vermögen zumindest vorübergehend einverleiben will …. Der in § 242 Abs. 1 StGB verwendete Begriff der Zueignung entspricht demjenigen des § 246 Abs. 1 StGB… der Unterschied besteht (lediglich) darin, dass diese bei der Unterschlagung in die Tat umgesetzt sein muss, während beim Diebstahl die Absicht hierzu genügt … Der Umstand, dass sich der Täter zivilrechtlich eine fremde Sache nicht erfolgreich „zueignen“, sondern an ihr allenfalls im Wege der §§ 946 ff. BGB Eigentum erwerben kann … steht einem – strafrechtsautonom zu beurteilenden – Zueignungserfolg nicht entgegen.“

Schließlich gelangt er mit der teleologischen Auslegung abschließend zu dem Ergebnis, dass es einen Zueignungserfolg für die Verwirklichung des § 246 I StGB braucht.

„Schließlich ist dieses Begriffsverständnis auch aus teleologischer Sicht geboten. So ist bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals „zueignet“ die Begrenzung des Strafrechts als „ultima ratio“ zu beachten … Eine Strafbarkeit wegen Unterschlagung muss somit in jedem Fall zum Schutz des Eigentums erforderlich sein; dieser Vorgabe ist durch eine präzise Beschreibung des Unrechts des § 246 StGB – die nach dem 6. StrRG nur durch das (einzige) Tatbestandsmerkmal „zueignet“ erfolgen kann – Rechnung zu tragen … Eine Zueignung setzt demnach mindestens voraus, dass die Befugnisse des jeweiligen Eigentümers – also sein Nutzungs- oder sein Ausschlussrecht aus § 903 BGB – beeinträchtigt werden. Hingegen würde eine vom Rechtsgut des § 246 StGB losgelöste Interpretation den zulässigen Anwendungsbereich des Strafrechts überdehnen, denn der Unterschlagungstatbestand könnte in Folge des Wegfalls des Gewahrsamserfordernisses Konstellationen erfassen, in denen Eigentümerinteressen nicht einmal abstrakt gefährdet würden …“

Legt man nun die Rechtsauffassung des 6. Senats zugrunde, ergibt sich erst recht keine Zueignung, da es an einem tatbestandlichen Erfolg fehlt. Dazu der BGH:

„So liegt in dem bloßen Unterlassen der geschuldeten Rückgabe sicherungsübereigneter Gegenstände keine vollendete Zueignung, denn ein solches beeinträchtigt die Eigentümerbefugnisse nicht weitergehend, als bereits durch die im Rahmen des Miet- oder Leasingvertrags erfolgte Gebrauchsüberlassung geschehen. Verbirgt oder verkauft der Täter allerdings Gegenstände, die sich in seinem Besitz befinden oder gebraucht er sie in einer Weise, mit der ein erheblicher Wertverlust einhergeht …., liegt ein nach der Ansicht des Senats notwendiger Zueignungserfolg vor, denn der Täter verleibt sich hierdurch die jeweiligen Sachen bzw. deren Sachwert wenigstens vorübergehend in sein Vermögen ein und schließt den Berechtigten – hier der jeweilige Sicherungsnehmer – insoweit von seinen Nutzungsmöglichkeiten aus.“

II. Ergebnis

Eine Strafbarkeit gem. § 246 I StGB kommt damit nicht in Betracht.

C. Prüfungsrelevanz

Das „Schattendasein“, welches § 246 StGB normalerweise aufgrund der gesetzlich angeordneten Subsidiarität fristet, wird sich jedenfalls in den Klausuren der nächsten Monate erledigt haben. Du sollten Dich darauf vorbereiten, ähnliche Sachverhalte zur Begutachtung vorgelegt zu bekommen und solltest nun jedenfalls die Zueignungstheorie und die Tendenz des 6. Senats, dieser folgen zu wollen, kennen, um ein „vollbefriedigendes“ Ergebnis zu erlangen.

(BGH, Beschluss v. 29.11.2023 – 6 StR 191/23)

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