Anmerkungen zu BVerfGE 144, 20, Urteil vom 23.01.2024 (2 BvB 1/19) und OVG Münster, Urteil vom 13.05.2024 (5 A 1216-1218/22)
Parteien sind als „Sprachrohr des Volkes“ und damit als wesentliche Träger der politischen Willensbildung für die Demokratie von zentraler Bedeutung. Deshalb genießen sie besonderen Schutz (Art. 21 I GG). Auf der anderen Seite fordert Art. 21 II und III GG, dass die Bundesrepublik auch eine „wehrhafte Demokratie“ ist mit der Folge, dass sie verfassungswidrige Bestrebungen durch Parteien entgegentreten soll. Deshalb ist es von Bedeutung, unter welchen Voraussetzungen und mit welcher Reichweite staatliche Schritte gegen verfassungsfeindliche Parteien in Betracht kommen, wobei auch die verfahrensrechtliche Seite –vor allem mit Blick auf den Rechtsschutz– wichtig ist.
A. Vereinfachter Sachverhalt
Die P-Partei bekennt sich –wie sich anhand der Äußerungen maßgeblicher Vertreter ablesen lässt– zum Vorrang einer ethnisch definierten Volksgemeinschaft mit der Vorstellung, Ausländer, Migranten, Muslime und weitere Gruppen vom staatlichen Leben fernzuhalten, zumindest aber aus dem öffentlichen Leben zurückzudrängen, selbst wenn es sich um inzwischen eingebürgerte Personen handelt. Ziel ist es, eine „Überfremdung“ der Bundesrepublik zu verhindern. Es werden Begriffe verwendet, die aus der Zeit des Nationalsozialismus negativ besetzt sind.
Dazu sind folgende Fragen zu beurteilen:
I. Ist eine solche Ideologie mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung iSd. Art. 21 II und Art. 21 III GG vereinbar?
II. Wäre die Einstufung einer solchen Partei durch das Bundesamt für Verfassungsschutz als Verdachtsfall mit der daraus folgenden Beobachtung und Information der Öffentlichkeit durch das Bundesamt rechtmäßig – und welcher Rechtsschutz stünde der Partei dagegen zur Verfügung?
III. Unter welchen zusätzlichen Voraussetzungen kommen der Ausschluss der Parteienfinanzierung und ein Parteienverbot in Betracht?
IV. In welchem Verfahren erfolgen ein Ausschluss der Parteienfinanzierung und ein Parteienverbot?
B. Zusammenfassung der dazu ergangenen Entscheidungen
Art. 21 GG benennt die Schutzgüter der wehrhaften Demokratie, die auch von den Parteien trotz ihrer herausragenden Bedeutung zu beachten sind. Von der Gefährdungshandlung hängt es dann weiter ab, welche Reaktionen staatlicherseits in Betracht kommen.
I. Schutzzweck des Art. 21 GG
1. Schutzgüter sind die freiheitlich demokratische Grundordnung und der Bestand der Bundesrepublik. Wegen des Ausnahmecharakters des Art. 21 GG gehören zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung nur zentrale Grundbegriffe und damit die Menschenwürde, das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip.
Die Menschenwürde umfasst die Wahrung der personalen Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit. Sie ist egalitär und damit unabhängig vom Merkmal der Herkunft, Rasse, dem Lebensalter oder dem Geschlecht. Zur Demokratie gehört die gleichberechtigte Teilhabe aller Bürger am Prozess der politischen Willensbildung und die Rückkopplung staatlicher Organe an das Volk. Schließlich zählt zum (reduzierten) Schutzumfang auch das Rechtsstaatsprinzip mit Gewaltenteilung und gerichtlicher Kontrolle staatlichen Handelns.
2. Eine Ideologie, die auf eine Ausgrenzung von Ausländern aus dem öffentlichen Leben und auf eine Einschränkung gleichberechtigter Wahrnehmung politischer Rechte durch Ausländer auch nach ihrer Einbürgerung gerichtet ist, ist mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht vereinbar.
II. Beobachtung als Verdachtsfall
Schon die Beobachtung als Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz ist ein behördlicher Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Partei (Art. 21 I GG), der nur auf der Grundlage eines bereichsspezifischen Gesetzes gerechtfertigt werden kann.
1. Die Rechtfertigung für den Eingriff kann sich daraus ergeben, dass nach § 8 I BVerfSchG das Bundesamt für Verfassungsschutz die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen und damit über Bestrebungen, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet sind (§ 3 I Nr. 1 BVerfSchG), erheben und verarbeiten darf.
Die Befugnis besteht, wenn ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Partei verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt. Bloße Vermutungen genügen nicht, es kommt vielmehr auf die wiederholten Aussagen führender Parteimitglieder, bedeutsamer Untergruppierungen oder im Parteiprogramm an. Sie müssen in einem beachtlichen Umfang nachweisbar sein, weil die Bewertung in Relation zum Schutz der Meinungsbildung durch die Partei in der parteienstaatlichen Demokratie des Grundgesetzes gesehen werden muss.
2. Als Rechtsschutz gegen die Einstufung als Verdachtsfall und die Beobachtung kommt eine allgemeine Leistungsklage auf Unterlassen des schlichten Verwaltungshandelns vor dem Verwaltungsgericht in Betracht. Anspruchsgrundlage ist der schlichte öffentlich-rechtliche Abwehr- und Unterlassungsanspruch, der sich unmittelbar aus Art. 21 I GG als subjektives Abwehrrecht auch gegen faktische Eingriffe ableitet.
Der Anspruch (und damit eine etwaige Klage) der Partei ist allerdings unbegründet, wenn das Verwaltungshandeln angesichts des Bestehens tatsächlicher Anhaltspunkte für mögliche verfassungsfeindliche Bestrebungen der Partei nach § 8 I BVerfSchG geduldet werden muss (so OVG Münster vom 13.05.2023 – 5 A 1216-1218/22 – zur AfD).
III. Voraussetzungen für Ausschluss der Finanzierung und Parteienverbot
Die materiellen Voraussetzungen für die Einstellung der Finanzierung von Parteien und für ein Parteienverbot beurteilen sich nach Art. 21 III und Art. 21 II GG.
1. Gemeinsame Voraussetzung des Art. 21 II und III GG ist, dass die Partei eine Beseitigung oder eine Beeinträchtigung der Schutzgüter (freiheitlich demokratische Grundordnung und der Bestand der Bundesrepublik) anstrebt. Dies muss sich aus den Zielen der Partei oder dem Verhalten ihrer Anhänger sowie maßgeblicher Repräsentanten ergeben.
a) Dabei bezeichnet der Begriff des Beseitigens die Abschaffung zumindest eines der Wesenselemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder deren Ersetzung durch eine andere Verfassungsordnung beziehungsweise ein anderes Regierungssystem.
Von einer Beeinträchtigung ist auszugehen, wenn eine Partei nach ihrem politischen Konzept mit hinreichender Intensität eine spürbare Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewirken will.
b) Sowohl für Art. 21 II als auch für Art. 21 III GG kommt es darauf an, dass die Partei ihre Ziele zur Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung durch ein aktives, planmäßiges Handeln anstrebt. Vertritt eine Partei lediglich staatsfeindliche Meinungen, reicht dies für Reaktionen des Rechtsstaats nicht aus. Konsequenz ist, dass sowohl für ein Parteienverbot als auch für die Vorenthaltung der Finanzierung ein qualifiziertes (systematisches) Handeln der Art erforderlich ist, dass die betroffene Partei über das „Bekennen” ihrer verfassungsfeindlichen Ziele hinaus die Grenze zum „Bekämpfen” der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes des Staates überschreiten muss.
Dabei sind die Ziele einer Partei und das Verhalten der Anhänger die einzigen Erkenntnisquellen für diese Feststellung.
2. Die vorstehenden Voraussetzungen reichen für die Einstellung der Finanzierung (Art. 21 III GG), während das Parteienverbot (Art. 21 II GG) von einer weiteren zusätzlichen Voraussetzung abhängig ist.
a) Der Unterschied liegt allein darin, dass ein Parteienverbot nur in Betracht kommen kann, wenn das vorstehend beschriebene Handeln einer Partei auch erfolgreich sein könnte (Art. 21 II GG: „darauf ausgehen“). Es bedarf deshalb einer potenziellen Gefahr und damit einer objektiven Wahrscheinlichkeit, dass die verfassungsmäßige Ordnung in der Bundesrepublik Schaden nehmen kann. Dies hat z.B. das BVerfG im NPD-Verbotsverfahren (Urteil vom 17.01.2017 – 2 BvB 1/13) verneint – wegen der Bedeutungslosigkeit der Partei mit einem ganz geringen Stimmanteil bei den Wählern. Das kann die Demokratie tatsächlich nicht gefährden.
b) Für das Verbot der Finanzierung reicht es hingegen aus, wenn einerseits (subjektiv) ein Überschreiten der Schwelle zur Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland erreicht ist, während es objektiv nicht auf die Potenzialität der Gefährdung ankommt (Art. 21 III GG: „darauf ausgerichtet“). Rechtfertigung ist, dass der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat diejenigen, die aktiv auf seine Beeinträchtigung oder Beseitigung hinwirken, nicht auch noch die (finanziellen) Mittel hierfür an die Hand geben soll (BVerfG vom 23.01.2024 – 2 BvB 1/19 Rn. 291). Deshalb sieht das BVerfG in seiner Entscheidung von Januar 2024 den Ausschluss der Finanzierung der Nachfolgeorganisation der NPD („Die Heimat“) als gerechtfertigt an, weil sie die demokratische Grundordnung ohne potenzielle Gefährdung verbal bekämpft.
IV. Verfahrensfragen
Während die Einstufung einer Partei als „Verdachtsfall“ mit der Folge ihrer Beobachtung ein verwaltungsbehördlicher Vorgang ist mit der Folge, dass sich die betroffene Partei dagegen mit Klagen vor den Verwaltungsgerichten zur Wehr setzen kann (§ 40 I VwGO), sind das Parteienverbot und die Aberkennung der Parteienfinanzierung (Art. 21 II und III GG) Entscheidungen, die dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten sind (Art. 93 I Nr. 5 i.V.m. Art. 21 IV GG, § 13 Nr. 2 BVerfGG).
Die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen richten sich nach §§ 43 ff BVerfGG. Danach kann der Antrag nur vom Bundestag, vom Bundesrat oder von der Bundesregierung als Antragsteller erhoben werden. Antragsgegnerin ist die Partei. Weitere verfahrensartabhängige Zulässigkeitsvoraussetzungen nennt das Gesetz nicht.
Ungeschriebenes Verfahrenshindernis ist Tätigkeit von V-Leuten während eines laufenden Verfahrens vor dem BVerfG. Alles andere wäre mit dem Gebot strikter Staatsfreiheit des Verfahrens nicht vereinbar, sie müssen rechtzeitig „abgeschaltet“ werden. Eine vergleichbare Schranke besteht während des laufenden Verwaltungsprozesses gegen eine Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht.
Die Entscheidung nach Art. 21 II GG (Parteienverbot) bzw. Art. 21 III GG (Wegfall der Finanzierung) erfolgt dann konstitutiv durch das BVerfG.
(BVerfGE 144, 20, Urteil vom 23.01.2024 (2 BvB 1/19) und OVG Münster, Urteil vom 13.05.2024 (5 A 1216-1218/22))
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