OLG Stuttgart zur Betriebsgefahr eines Lang-Lkws

OLG Stuttgart zur Betriebsgefahr eines Lang-Lkws

Wie wirkt sich die Art des Fahrzeugs aus?

Wenn zwei normale Pkw kollidieren, dann ist die Betriebsgefahr der beiden Fahrzeuge in der Regel gleich und die Haftungsverteilung berücksichtigt vor allem das Verschulden der Fahrenden. Wie aber ist die Situation zu bewerten, wenn ein abbiegender Lang-Lkw mit einem Pkw kollidiert? Dazu hat das OLG Stuttgart sich jetzt geäußert.

Was war geschehen?

B stand mit seinem Lang-Lkw mit einem Gespann von etwas mehr als 25 m auf einer zweispurigen Abbiegespur an einer roten Ampel. Sein Lkw nahm dabei teilweise auch die linke Spur in Anspruch. So wollte B anderen Verkehrsteilnehmern signalisieren, dass der linke Fahrstreifen bei seinem Abbiegen nicht benutzbar sei. B weiß nämlich aus Erfahrung, dass sich an dieser Stelle regelmäßig andere Fahrzeuge beim Abbiegen des Lkws an diesem „vorbeidrücken“. Dies wollte B verhindern. Eine vollständige Blockierung beider Spuren war jedoch aufgrund deren Breite nicht möglich. Links vom Lkw des B stand daher noch M mit seinem Mercedes. Den Mercedes hatte M bei der Versicherung K versichert. Als die Ampel auf grün schaltete, fuhren B und M an und kollidierten durch den ausschwenkenden Anhänger des Lkws seitlich miteinander. B konnte aus seiner Position im Fahrersitz den seitlichen Verkehr nach Beginn des Abbiegevorgangs nicht mehr beobachten und den Mercedes des M daher nicht mehr sehen.

Der Reparaturaufwand am Mercedes des M beträgt 12.171,40 Euro netto, die Wertminderung 1.848,74 Euro netto. Die Versicherung K hat dem M den entstandenen Schaden ersetzt. Die Versicherung des B hat der Versicherung K ein Drittel der Reparaturkosten und der Wertminderung (4.057,13 Euro + 616,25 Euro= 4.673,38 Euro) erstattet. Die Versicherung K verlangt von B und dessen Versicherung als Gesamtschuldner aber den Ersatz von 75 % des entstandenen Nettoschadens (10.515,15 Euro), soweit er nicht bereits ersetzt wurde, also 5.841,77 Euro (= 10.515,15 Euro - 4.673,38 Euro). Zu recht?

Entscheidung des OLG Stuttgart

Der Versicherung K steht der Schadensersatzanspruch gegen die Versicherung des B gemäß § 86 I VVG in Verbindung mit § 7 StVG in Verbindung mit § 17 StVG, § 115 I 1 Nr. 1 VVG, § 1 PflVG nach Entscheidung des OLG zu. Aus § 86 I VVG folgt dabei, dass der Anspruch des M gegen B und seine Versicherung auf die Versicherung K übergegangen ist. Nach den Vorschriften des StVG ist der Halter eines Fahrzeugs verpflichtet, dem Verletzten den entstehenden Schaden zu ersetzen, wenn bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges eine Sache beschädigt wird. Nach den Vorschriften des VVG und PflVG besteht dieser Anspruch auch direkt gegen die gegnerische Kfz-Versicherung.

Die grundsätzliche Haftung des B für den Unfall nach dem StVG war dabei klar. Bei Betrieb eines Fahrzeugs wurde eine Sache beschädigt. Das gemäß § 18 I StVG haftungsbegründende Verschulden des B als Fahrer des Lang-Lkw wird nach § 18 I 2 StVG vermutet. Es lag auch weder höhere Gewalt (§ 7 II StVG, § 18 I 2 StVG) vor, noch war der Unfall unabwendbar (§ 17 III StVG, § 18 III StVG).

Entscheidend kam es für das Urteil des OLG aber darauf an, wie die nach § 17 III StVG (i.V.m. § 18 III StVG) durchzuführende Abwägung ausfällt. Maßstab hierfür ist nach dem BGH zum einen, ob das Verhalten des Schädigers oder das des Geschädigten den Eintritt des Schadens in wesentlich höherem Maße wahrscheinlich gemacht hat. Daneben ist aber auch die sogenannte Betriebsgefahr relevant. Diese ist nach der Entscheidung des OLG Stuttgart für den Lang-Lkw als äußerst hoch anzusetzen. Es handele sich um ein sehr langes Gespann von über 25 Metern, dessen Fahrverhalten beim Rechtsabbiegen von B in der konkreten Verkehrssituation nicht sicher beherrschbar gewesen sei. Wegen der Länge seines Fahrzeugs sei B gezwungen gewesen, die linke Abbiegespur teilweise mitzubenutzen, um den Abbiegevorgang fahrtechnisch absolvieren zu können. Schon dieser Umstand erhöhe die Betriebsgefahr immens. Dies gelte insbesondere, wenn die Nutzung der fremden Fahrbahn in der von B angestellten Erwägung geschieht, den Verkehrsfluss gezielt zu stören, um den Abbiegevorgang überhaupt erst oder mit erhöhtem Komfort durchführen zu können. Dieses Fahrverhalten habe ganz erheblich zum Verkehrsunfall beigetragen.

Weiter sei die Betriebsgefahr des Lang-Lkws nach dem OLG Stuttgart dadurch erhöht, dass der Anhänger beim Rechtsabbiegen an seiner vorderen linken Ecke nach links ausschwenkt und der Fahrer aus seiner Position nicht beobachten kann, ob hierdurch der nachfolgende Verkehr gefährdet wird. All dies begründe eine sehr hohe Betriebsgefahr, die sich in dem Verkehrsunfall auch realisiert habe.

Diese Betriebsgefahr habe sich noch dadurch erhöht, dass regelmäßig Fahrzeuge versuchen, sich an dem Lang-Lkw „vorbeizudrücken“. Deshalb versuchte B, mit dem Motorwagen die linke und mit dem Anhänger die rechte Spur zu blockieren, damit gerade kein anderes Auto neben ihm passe. B müsse deshalb nach dem OLG schon aufgrund der Fahrbahnbreite und seiner vorangegangenen Erfahrungen an der Unfallörtlichkeit damit rechnen, dass sich ein Fahrzeug an ihm „vorbeidrücken“ würde, konnte aber während des Abbiegevorgangs wegen der beschränkten Sichtverhältnisse nicht erkennen, ob durch den nach links weiter in die fremde Fahrbahn ausscherenden Anhänger nachfolgender Verkehr gefährdet wird. Somit sei die Verkehrssituation für ihn nicht beherrschbar gewesen. Er habe daher vor dem Abbiegen auf den nachfolgenden Verkehr achten müssen. Eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs müsse nach § 9 I 4 StVO ausgeschlossen sein. Dies gelte auch für den rechtsabbiegenden Verkehr und erfordere bei einem ausschwenkenden Fahrzeug ein äußerst sorgfältiges Verhalten, notfalls die Einweisung durch eine weitere Person.

Diese Straßenverkehrsregeln habe der B aufgrund der Beschaffenheit seines Gespanns in der konkreten Verkehrssituation nicht einhalten können, weil das Ausschwenken des Anhängers zu einer Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs führte und die eingeschränkten Sichtverhältnisse eine Beobachtung des gefährdeten Verkehrsraums auch nicht ermöglichten. Obwohl B mit „vorbeidrückenden“ Autos habe rechnen müssen und damit auch gerechnet habe, sei er ohne ausreichende Sicht gefahren. In einer solchen Situation hätte er sich von jemand anderem einweisen lassen müssen, um den Unfall zu vermeiden. In diesem Verstoß gegen § 9 I 4 StVO liege ein bei der Abwägung zu berücksichtigendes Verschulden des B.

Demgegenüber habe M um das Ausschwenken des Lkws nicht wissen müssen und das Blockieren beider Fahrspuren durch B sei nicht ausreichend geeignet gewesen, den nachfolgenden Verkehr vor solchen Gefahren zu warnen. Dieses Verhalten könne auch dahingehend gedeutet werden, dass der Lkw den Platz benötigt, um ausreichend Platz für das Abbiegen nach rechts zu bekommen. Als relevante Abwägungskriterien verblieben nach dem OLG zum Nachteil der K mithin die allgemeine Betriebsgefahr eines Pkw sowie der Verstoß gegen die allgemeinen Sorgfaltspflichten (§ 1 II StVO), weil der Fahrer trotz erkennbar enger Verhältnisse sich an dem Lkw „vorbeigedrückt“ habe.

Insgesamt habe sich damit bei Abwägung der Verursachungsbeiträge in dem Unfallgeschehen primär die Betriebsgefahr des Lkws des B realisiert. B und seine Versicherung haften daher zu 75 % für den entstandenen Schaden. K kann von B und seiner Versicherung weitere 5.841,77 Euro verlangen.

Prüfungsrelevanz

Außerhalb des BGBs und der ZPO müssen Jurastudierende und Referendar:innen im Zivilrecht wenig Gesetze kennen. Eine Ausnahme stellt aber das StVG dar. Die Vorschriften des StVG zur Halter- und Fahrerhaftung tauchen regelmäßig in Klausuren auf und es lohnt sich, über ihre Prüfung nicht erst in der Klausur zum ersten Mal nachzudenken.

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