BGH zur lebensgefährdenden Behandlung bei § 224 I Nr. 5 StGB

BGH zur lebensgefährdenden Behandlung bei § 224 I Nr. 5 StGB

Mit der in § 224 StGB geregelten, gefährlichen Körperverletzung will der Gesetzgeber besonders gefährliche Begehungsweisen höher bestrafen. Das Höchstmaß der zeitigen Freiheitsstrafe steigt dementsprechend von 5 Jahren (§ 223 StGB) auf 10 Jahre an. Im Hinblick auf den hohen Strafrahmen gibt es nun unterschiedliche Auffassungen wie „eine das Leben gefährdende Behandlung“ gem. § 224 I Nr. 5 StGB zu definieren ist. Auch der BGH hat sich dazu erneut Gedanken gemacht.

A. Sachverhalt

Am frühen Morgen traf A in einer Gaststätte zufällig auf den späteren Geschädigten O1, gegen den er einen ausgeprägten Groll hegte. Nach einer aggressionsgeladenen Unterhaltung verließ O1 das Lokal. A rannte hinterher und schlug ihm von hinten unvermittelt mit der Faust in die rechte Gesichtshälfte, wodurch O1 sofort zu Boden ging und dort verteidigungsunfähig liegen blieb. Sodann versetzte A, der Turnschuhe mit weicher Sohle trug, ihm einen von oben nach unten mit der Fußsohle geführten Tritt in die linke Gesichtshälfte. O1 verlor hierdurch das Bewusstsein und erlitt mehrere Frakturen im Gesichtsbereich, darunter eine Jochbeinfraktur rechts, sowie eine Gehirnerschütterung und eine Rissquetschwunde am linken Oberlid. Er musste operiert und sieben Tage lang stationär in einem Krankenhaus behandelt werden.

Geraume Zeit später geriet A nach einer Feier in Streit mit mehreren Personen. Es kam zu einer Rangelei, die nachfolgend eskalierte und in deren Folge A dem O2 einen derart wuchtigen Fausthieb in die rechte obere Gesichtshälfte versetzte, dass dieser sofort und auf der Stelle bewusstlos zusammenbrach. Durch den Faustschlag erlitt O2 mehrfache Knochenbrüche im Gesicht. Wegen der Befürchtung einer Hirnblutung wurde er intensivmedizinisch versorgt. Zudem musste er wiederholt operiert werden. Er trug Dauerschäden am rechten Auge davon, aufgrund derer er nicht mehr in der Lage ist, Abstände zutreffend einzuschätzen. Deshalb darf er in seinem Beruf als Straßenbauer keine Maschinen mehr bedienen. Zudem leidet er unter Taubheitsgefühlen in der rechten Gesichtshälfte.

B. Lösung

Das LG Koblenz hatte im 2. Fall eine gefährliche Körperverletzung gem. § 224 I Nr. 5 StGB verneint. Der BGH (Urteil v. 25.01.2024 – 3 StR 157/23) war insoweit anderer Auffassung, dazu gleich mehr. Widmen wir uns aber zunächst dem 1. Fall.

Neben der Verwirklichung der Nr. 5 kommt hier auch eine gefährliche Körperverletzung gem. § 224 I Nr. 2 StGB in Betracht. Das Thema „Der beschuhte Fuß als gefährliches Werkzeug“ ist ein Dauerbrenner in Klausuren. Schauen wir uns zunächst die Definition des gefährlichen Werkzeugs nach h.M. an:

Ein gefährliches Werkzeug ist ein beweglicher (str.) Gegenstand, der nach seiner Beschaffenheit und seiner Verwendung im konkreten Einzelfall bestimmt und geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen.

Aus der Definition ergibt sich, dass der Fuß als Körperteil kein gefährliches Werkzeug sein kann. Wollte man den Fuß als gefährliches Werkzeug ansehen wollen, dann verstieße man gegen die Wortlautgrenze und damit gegen Art. 103 II GG. Es kann also nur auf den Schuh am Fuß ankommen. Ob dieser Schuh ein gefährliches Werkzeug ist, wird nach Auffassung des BGH (Urteil v. 25.01.2023 – 6 StR 298/23) anhand des konkreten Einzelfalls bestimmt. Dabei kommt es unter

„…anderem auf die Beschaffenheit des Schuhs (an) sowie darauf, mit welcher Heftigkeit und gegen welches Körperteil getreten wurde. Ein Straßenschuh von üblicher Beschaffenheit stellt regelmäßig ein gefährliches Werkzeug dar, wenn damit einem Menschen gegen den Kopf getreten wird. Das gilt jedenfalls für Tritte in das Gesicht des Opfers. Entsprechendes ist anzunehmen, wenn der Täter Turnschuhe der heute üblichen Art trägt.“

Wesentlich ist, dass der Schuh ein eigenes, über den Tritt hinausgehendes Verletzungspotenzial in sich trägt. Vorliegend hatte das LG dieses Potenzial nicht gesehen und nur die Nr. 5 bejaht, was der BGH nicht beanstandet hat.

Kommen wir damit zur Strafbarkeit des A im 2. Fall.

I. Strafbarkeit des A im 2. Fall

A könnte sich gem. §§ 223, 224 I Nr. 5 StGB strafbar gemacht haben, indem er O2 einen wuchtigen Faustschlag versetzte.

1. Objektiver Tatbestand

Durch den Faustschlag erlitt O2 mehrfache Knochenbrüche im Gesicht. Diese stellen einen pathologischen Zustand und mithin eine Gesundheitsschädigung dar. Zudem ist der Faustschlag eine üble und unangemessene Behandlung, die das körperliche Wohlempfinden mehr als nur unerheblich beeinträchtigt. Damit liegt auch eine körperliche Misshandlung vor.

Der objektive Tatbestand des Grunddelikts ist verwirklicht.

Fraglich ist, ob der Faustschlag auch eine das Leben gefährdende Behandlung darstellt.

Aufgrund des hohen Strafrahmens wird in der Literatur teilweise verlangt, dass die Behandlung zu einer konkreten Lebensgefahr führen muss (Küper FS Hirsch, 1999, 595 (610 ff.); NK-StGB/Paeffgen/Böse/Eidam, 6. Aufl. 2023, StGB § 224 Rn. 28.). Dies würde aber bedeuten, dass die Nr. 5, anders als die anderen Varianten des § 224 StGB, einen tatbestandlichen Erfolg verlangte. Auch spricht der Wortlaut gegen eine konkrete Lebensgefahr. Vergleicht man § 224 I Nr. 5 StGB mit § 221 I StGB, dann kann man feststellen, dass eine solche Gefahr immer mit den Worten „und dadurch in die Gefahr des Todes“ benannt wird. Bei § 224 I Nr. 5 StGB wird aber explizit auf die „Behandlung“ abgestellt.

Aus diesem Grund verlangt die h.M. nur eine potenzielle Gefahr. Der BGH (Urteil v. 25.01.2024 – 3 StR 157/23) führt dementsprechend Folgendes aus:

„Eine gefährliche Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB erfordert nicht, dass das Opfer tatsächlich in Lebensgefahr gerät; jedoch muss die Einwirkung durch den Täter nach den Umständen generell geeignet sein, das Leben des Opfers zu gefährden. Maßgeblich ist danach die Schädlichkeit der Einwirkung auf den Körper des Opfers im konkreten Einzelfall … Um die gegenüber der „einfachen“ Körperverletzung höhere Strafandrohung begründen zu können, kommt es maßgebend auf die Gefährlichkeit der Tathandlung, nicht aber auf die eingetretenen Verletzungen an.

Heftige Schläge gegen den Kopf des Opfers können eine das Leben gefährdende Behandlung sein, wenn sie nach der Art der Ausführung der Verletzungshandlungen im Einzelfall zu lebensgefährlichen Verletzungen führen können … Dies gilt selbst für Schläge mit der bloßen Hand in das Gesicht oder gegen den Kopf, sofern Umstände in der Tatausführung oder individuelle Besonderheiten beim Opfer vorliegen, die das Gefahrenpotenzial der Handlung im Vergleich zu einer „einfachen” Körperverletzung deutlich erhöhen.“

Nach diesen grundlegenden Ausführungen geht der BGH nun an die Subsumtion:

„Die Urteilsgründe (des Landgerichts) führen insofern lediglich an, zu einer zunächst befürchteten Hirnblutung beim Nebenkläger sei es nicht gekommen. Aus den Verletzungen lasse sich mithin ein erhöhtes Gefahrenpotential des Faustschlages nicht ableiten. Damit hat die Strafkammer den Blick zu Unrecht lediglich auf das Ausbleiben einer tatsächlich lebensbedrohlichen Hirnblutung gerichtet. Sie hat jedenfalls nicht hinreichend berücksichtigt, dass es für die rechtliche Einordnung einer Körperverletzungshandlung als eine das Leben gefährdende Behandlung nicht auf den eingetretenen Verletzungserfolg, sondern auf die grundsätzliche Geeignetheit der Tathandlung ankommt, im konkreten Fall lebensbedrohliche Verletzungen des Opfers zu bewirken. Deshalb hätte die Strafkammer in ihre Erwägungen einbeziehen müssen, dass der Nebenkläger aufgrund eines einzigen Fausthiebes in das Gesicht - und zwar zumindest in Nähe der rechten Schläfe - sogleich bewusstlos wurde und auf der Stelle zu Boden fiel. Dies deutet auf einen mit außergewöhnlich großer Kraft geführten Schlag hin. Ausweislich der Feststellungen der durch einen rechtsmedizinischen Sachverständigen beratenen Strafkammer kann ein derart wuchtiger Fausthieb ohne Weiteres Hirnblutungen und damit eine akut lebensbedrohliche Verletzung bewirken, weshalb das Tatopfer wegen der konkreten Befürchtung einer solchen Tatfolge, also wegen der Besorgnis akuter Lebensgefahr, zunächst intensivmedizinisch behandelt wurde. Die Strafkammer hat zudem die außerordentlich massiven weiteren Verletzungen des Nebenklägers nicht in den Blick genommen. Dieser erlitt durch den Faustschlag Brüche des Kiefers, des Jochbeins und des Nasenbeins. Er musste operiert werden, wobei ihm mehrere Metallplatten in den Kopf eingesetzt wurden. Über Monate konnte er keine feste Nahrung zu sich nehmen. Auch wenn diese schweren Verletzungen für sich genommen nicht lebensbedrohlich waren, so hätte doch ihre Indizwirkung für die Massivität der Einwirkung und damit deren generelle Eignung zur Lebensgefährdung berücksichtigt werden müssen. Hinzu kommt, dass der Nebenkläger aufgrund des Fausthiebes und der dadurch verursachten sofortigen Bewusstlosigkeit ungeschützt - nach einer Zeugenaussage „wie ein Baumstamm“ - zu Boden fiel und auf das Straßenpflaster aufschlug. Insofern wäre zu erwägen gewesen, ob das Tatgeschehen das Risiko in sich barg, dass der Nebenkläger sturzbedingt konkret lebensbedrohliche Verletzungen hätte erleiden können.“

Nach Auffassung des BGH kommt damit auch eine Strafbarkeit gem. § 224 I Nr. 5 StGB in Betracht.

2. Subjektiver Tatbestand

A müsste mit Wissen und Willen gehandelt haben. Der Vorsatz des A bezog sich unproblematisch auf die Verwirklichung des Grundtatbestands. Ob er auch mit der Möglichkeit rechnete, durch den Schlag eine potenziell lebensbedrohende Situation zu schaffen, konnte der BGH nicht klären, da es insoweit an Feststellungen des LG zum Vorstellungsbild des A fehlte.

II. Ergebnis

A hat sich nicht gem. §§ 223,226 I Nr. 1 StGB strafbar gemacht.

Der Verlust des Sehvermögens auf einem Auge oder beiden Augen ist nur dann gegeben, wenn die Fähigkeit, Gegenstände als solche zu erkennen, weitgehend aufgehoben ist, sodass nicht jede dauerhafte Beeinträchtigung den Tatbestand verwirklicht. Hier war O2 aufgrund der Verletzung zwar nicht mehr in der Lage, Abstände zutreffend einzuschätzen und durfte deshalb in seinem Beruf als Straßenbauer keine Maschinen mehr bedienen. Gleichwohl war er aber noch in der Lage zu sehen.

C. Prüfungsrelevanz

§ 224 StGB ist wegen der unterschiedlichen Auffassungen zu den Voraussetzungen der einzelnen Tatbestandsmerkmale immer von Klausurrelevanz. Das vorliegende Urteil kann Dir als Beispiel für eine am Sachverhalt orientierte, ausführliche und damit überzeugende Argumentation dienen. Ob eine Behandlung ein lebensgefährdendes Potenzial in sich trägt, kann im Einzelfall unterschiedlich bewertet werden. Damit kann jedes Ergebnis vertreten werden, was dazu führt, dass kein Ergebnis falsch ist. Falsch ist allerdings, wie immer eine floskelhafte und inhaltsleere Argumentation.

(BGH Urteil v. 25.01.2024 – 6 StR 298/23)

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