Schutzniveau ist entscheidend
Die Ampelkoalition wollte den Begriff „Rasse“ im Grundgesetz streichen und durch eine andere Formulierung ersetzen. Nun gibt sie die Pläne wieder auf. Wie kam es zu dem Sinneswandel? Bleibt „Rasse“ im Grundgesetz jetzt doch bestehen?
Worum geht es?
Nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd im Jahr 2020, der durch den Einsatz von Polizeigewalt ums Leben kam und damit weltweite Demonstrationen und Proteste gegen Rassismus auslöste, kam es auch in Deutschland verstärkt zu Debatten zu diesem Thema. Die Zahlen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigen auch deutlich, dass das Thema Rassismus weiterhin präsent ist: Allein im Jahr 2022 sind der Antidiskriminierungsstelle 2.882 Fälle gemeldet worden, in denen Menschen wegen ihrer ethnischen Herkunft diskriminiert wurden – im Vergleich zum Jahr 2019 hat sich diese Zahl der Meldungen mehr als verdoppelt, damals waren es noch 1.176. Um ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen und diesem aktiv entgegenzuwirken, hatte die Bundestagsfraktion der Grünen damals eine Grundgesetzänderung angestrebt. Der Begriff „Rasse“ sollte aus dem Gleichheitssatz in Art. 3 III 1 GG gestrichen werden. Nach Art. 3 III 1 GG darf niemand wegen seiner „Rasse“ benachteiligt oder bevorzugt werden. Der Begriff sei aber falsch, da man bei Menschen nicht von „Rassen“ sprechen könne. Der Vorschlag erhielt viel Zuspruch und so einigte sich die Bundesregierung zunächst darauf, dass der Begriff im Grundgesetz angepasst werden sollte.
Grundlage für den damals angekündigten Gesetzesentwurf
Zur Begründung führte die Bundestagsfraktion der Grünen damals aus, dass es auch in der Wissenschaft einhellige Meinung sei, dass das Konzept der Rasse nicht auf den Menschen passe. Die Rassentheorien, die von Nationalsozialisten befürwortet wurden, seien heute nicht mehr haltbar. Vor allem im 19. und im frühen 20. Jahrhundert wurden mit Rassentheorien, Gruppierungen oder Klassifizierungen von Menschen vorgenommen, verbunden mit einer Besser- und Schlechterstellung und einer Über- und Unterordnung. Die Formulierung des Art. 3 III 1 GG durch die Mütter und Väter des Grundgesetzes war daher eine direkte Antwort auf die Nazis. Man wollte aber das Gegenteil erreichen – eine Unterteilung in Rassen durfte nicht mehr vorkommen, man wollte sich vom nationalsozialistischen Rassenwahn abgrenzen. Trotzdem verwendete man die Begrifflichkeit „Rasse“. Damals sei man der Ansicht gewesen, dass man beim Entgegenwirken von Rassenhass vorerst von Rassen sprechen müsse. Heute lässt sich darüber anders denken. Das Konzept der Rasse sei vielmehr das Ergebnis von Rassismus – und nicht dessen Voraussetzung.
Auch von Menschenrechtlern wird schon länger kritisiert, dass die Begrifflichkeit in Art. 3 GG das Konzept menschlicher „Rassen“ als akzeptabel erscheinen lassen. Es trete genau das Gegenteil vom gewünschten Zweck ein. Rassistisches Denken könnte durch die Formulierung sogar gefördert werden. Der Jurist Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte sagte damals zur Debatte: „Wenn Betroffene geltend machen wollen, dass sie rassistisch diskriminiert wurden, zwingt sie das Grundgesetz dazu, sich selbst einer „Rasse“ zuzuordnen.“ Betroffene rassistischer Diskriminierung würden also dazu gezwungen, selbst rassistische Terminologie zu verwenden.
Diese Überlegungen bildeten die Grundlage für den angekündigten Gesetzesentwurf. Lange wurde diskutiert, wie man den Begriff ersetzen sollte und wie Art. 3 GG zu ändern sei. Die FDP befürwortete die Formulierung „ethnische Herkunft“, von den Linken wurde „ethnische soziale und territoriale Herkunft“ vorgeschlagen. Die SPD hingegen forderte eine Änderung in „rassistische Gründe“ und Habeck schlug vor, den Begriff „Rasse“ durch die Formulierung „rassistische Zuschreibungen“ zu ersetzen.
Symbolische Rolle rückwärts
Und heute? Das ganze Vorhaben wurde jetzt aber auf Eis gelegt. Eine symbolische Rolle rückwärts könnte man beinahe sagen, denn die Ampelkoalition hat das Vorhaben beendet. Zunächst hieß es, das Grundgesetz solle sich den Begriff „Rasse“ nicht zu eigen machen, da die unwissenschaftliche Idee von Menschenrassen die Nationalsozialisten nutzen, um die Entmenschlichung von Juden zu begründen. Aus dem gleichen Umstand zieht die Ampelkoalition jetzt aber die umgekehrte Konsequenz: Weil Art. 3 III GG auch auf die Schoa reagiert, sei es wichtig, dem durch die Beibehaltung des Begriffs „Rasse“ Rechnung zu tragen. Als Argument trägt die Ampelkoalition zudem vor, dass es juristisch zu kompliziert sei, eine neue Formulierung zu finden, die das gleiche Schutzniveau für von Antisemitismus und Rassismus betroffenen Menschen garantiert. Kritik an dieser Begründung findet sich jedoch dadurch, dass Art. 3 III GG vor allem dort Schutz bietet, wo keine einfach-gesetzlichen Antidiskriminierungsregelungen wie § 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) existieren. Gegenüber Hoheitsträgern kann der Bürger eine rassistische oder antisemitische Benachteiligung unmittelbar vor den Verwaltungsgerichten und danach vorm Bundesverfassungsgericht (BVerfG) rügen. Im Privat- und Strafrecht kann Art. 3 III GG mittelbare Drittwirkung entfalten. Warum die Ersetzung des Begriffs „Rasse“ durch die Attribute „rassistisch“ und/oder „antisemitisch“ dabei einen Unterschied machen sollte, sei daher nicht ersichtlich.
Wie funktioniert die Änderung des Grundgesetzes?
Formal ist eine Grundgesetzänderung nur durch ein Gesetz möglich, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Dieses muss mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen werden (Art. 79 II GG). Bestimmte Normen sind aber vor Änderungen durch die Ewigkeitsklausel in Art. 79 III GG geschützt:
Art. 79 III GG: Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.
Folglich können die Artikel 2 bis 19 GG zum Gegenstand einer Verfassungsänderung gemacht werden – und somit auch Art. 3 III GG. In der mündlichen Prüfung wird gern die Frage gestellt, ob die Ewigkeitsklausel selbst geändert werden könne. Nach dem Wortlaut wäre dies möglich. Es widerspräche jedoch dem Sinn und Zweck der Norm. Denn könnte man die Ewigkeitsklausel abschaffen, wäre es auch möglich, die Art. 1 und 20 GG zu ändern. Dies verstieße jedoch gegen den Regelungszweck der Ewigkeitsklausel, sodass eine Änderung dieser Norm nicht möglich ist.
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