Sachverhalt beruht auf einem Gedächtnisprotokoll
Schon der erste Satz dieser Examensklausur dürfte dem einen oder anderen Schweiß auf die Stirn treiben. Erbrecht dürfte eher zu den stiefmütterlich behandelten Themen im Examen gehören, gerade weil meist “nur” der Einstieg in die eigentliche Fallbearbeitung an einen letzten Willen geknüpft ist. Diese Examensklausur aus Bayern zeigt, dass Erbrecht durchaus auf den Lernplan gehören sollte. Vom Testament über ein Schenkungsversprechen von Todes wegen bis hin zum Pflichtteilsanspruch wartete diese Klausur mit echten Klassikern im Erbrecht auf.
Sachverhalt:
Teil I:
Der ledige und kinderlose E ist nach kurzer schwerer Krankheit verstorben. In einer Küchenschublade seiner Wohnung findet sich ein aus einem Block herausgerissenes, kariertes DIN-A5-Blatt, das dreckig und zerknittert ist. Auf diesem hat E Folgendes handschriftlich verfasst und unterschrieben:
“Mein letzter Wille.
Hiermit setze ich A zum Alleinerben ein. A ist immer pleite und wird mein Vermögen sicher gut gebrauchen können.
D-Dorf, den 11. Mai 2012, E”
A, ein entfernter Bekannter des E, beantragt beim zuständigen Nachlassgericht einen Erbschein, der ihn als Alleinerben ausweisen soll.
Auch die F meldet sich beim zuständigen Nachlassgericht. Sie war die Freundin des E und führt zutreffend aus, dass E, als er von seiner Krankheit erfuhr, sie zu seiner Alleinerbin habe machen wollen, um sie finanziell abzusichern. Die F habe ihm in seiner letzten Zeit beigestanden. A hingegen hat sich nie um den E gekümmert. Sie erklärt fristgemäß die Anfechtung des Testaments und beantragt einen Erbschein als Alleinerbin, da dies E’s Wille gewesen sei. Dies hatte er ihr gegenüber mehrfach beteuert.
Die Eltern und Großeltern des E sind alle vorverstorben und Geschwister hatte er keine. E’s Mutter hatte einen Halbbruder B und E’s Vater hatte eine Schwester, die T. Als B von den Erbscheinsanträgen erfährt, beantragt er die Erteilung eines Erbscheins, der ihn und die T als Erben des E zu je 1/2 ausweist.
So fechten auch B und T fristgemäß das Testament des E vor dem zuständigen Nachlassgericht an: Sie tragen zutreffend vor, E habe A seinerzeit nur deshalb zu seinem Alleinerben eingesetzt, weil A damals mittellos gewesen sei und E davon ausging, dass sich das nicht mehr ändern würde. A hatte allerdings vor einiger Zeit im Lotto gewonnen, das gewonnene Geld gut investiert und ist so zu einem großen Vermögen gekommen. Da A und E zu dem Zeitpunkt schon keinen Kontakt mehr hatten, wusste E davon allerdings nicht. Hätte er das gewusst, so hätte er sicher sein Testament abgeändert.
A entgegnet, sein Vermögen sei unerheblich, da es E formwirksam niedergelegter Wille gewesen sei, dass er sein Alleinerbe werde.
Teil II:
W ist hochbetagt verstorben; sie war in einziger Ehe mit H verheiratet, der vorverstorben ist. W hinterlässt drei mit H gemeinsame Kinder, die Söhne S und X sowie die Tochter R. Es gibt ein von W hand geschriebenes und auch von ihr unterschriebenes Schriftstück:
„Mein letzter Wille.
Zum Alleinerben meines gesamten Vermögens setze ich meinen Ehemann H ein. Zu Ersatzerben setze ich zu 1/2 meinen Sohn S und meine Tochter R jeweils zu gleichen Teilen ein. Zu weiteren 1/2 setze ich eine Erbengemeinschaft aus 3 befreundeten Ehepaaren ein. Die Namen und Adressen der 3 Ehepaare sind im PC-Ausdruck angehängt und von mir persönlich unterschrieben. Mein Sohn X soll auf keinen Fall etwas von mir erhalten.
S-Stadt, im Jahr 2012, Eure W.“
In einer von W am PC verfassten “Anlage zum Testament - Namensliste der Erbengemeinschaft”, die dem Testament auf einer separaten Seite lose beigefügt ist, sind durch Querstriche getrennt drei Ehepaare (K-G-U) mit ihren jeweiligen Namen und Adressen aufgeführt. Die Anlage ist handschriftlich auf das Jahr 2012 datiert und von W unterschrieben.
Die Kinder S und R beantragen beim zuständigen Nachlassgericht einen Erbschein, der sie als Erben ihrer Mutter zu je 1/2 ausweist. Dem widersprechen die Ehepaare K,G und U, die geltend machen, auch Erben der W zu sein.
X fragt nach seinen Rechten. Insbesondere will er wissen, was es mit folgender Transaktion auf sich hat: W hat sechs Jahre vor ihrem Tod an R ein Hausgrundstück mit einem Wert von 800.000 Euro zu einem Preis von 200.000 Euro formwirksam veräußert. W und R waren sich dabei einig, dass der den vereinbarten Kaufpreis übertreffende Wert des Hausgrundstücks unentgeltlich an die R übertragen werden soll.
Nun kommt noch Nachbarin N ins Spiel. Sie beruft sich auf folgende Passage in einem formwirksamen Nachtrag zum Testament von W aus dem Jahr 2019:
“Meine Nachbarin N soll meinen Pkw VW Polo mit dem amtlichen Kennzeichen (…) bekommen. Den Pkw darf sie sich nach meinem Tod abholen.”
Allerdings hat W den Pkw vier Monate vor ihrem Tod veräußert, weil sie ihn aufgrund ihrer schlechten Gesundheit nicht länger nutzen konnte. N meint, nachdem der Pkw im Nachlass nicht mehr vorhanden sei, müsse sie den von W erzielten Veräußerungserlös in Höhe von 9.000 Euro (Entspricht dem Wert des VW Polo) erhalten: Der Wert des Nachlasses von W übersteigt den Wert des Pkws um ein Vielfaches.
Vermerk für die Bearbeitung: Beide Teile der Aufgabe sind zu bearbeiten. In einem Gutachten, das - gegebenenfalls hilfsgutachtlich - auf alle aufgeworfenen Rechtsfragen eingeht, sind in der vorgegebenen Reihenfolge folgende Fragen zu beantworten:
Zu Teil I: Wer ist Erbe von E?
Zu Teil Il:
1. Sind die Ehepaare K, G und U Erben von W geworden?
2. Unterstellt, die Ehepaare sind nicht wirksam als Erben von W eingesetzt worden, wie gestaltet sich die Erbfolge von W?
3. Unterstellt, X wurde wirksam von Wilhelmine enterbt, welche Ansprüche stehen X zu? Auf die betragsmäßige Höhe etwaiger Ansprüche ist nicht einzugehen. Es ist davon auszugehen, dass der Nachlass von W ausreicht, um etwaige Ansprüche des X zu befriedigen.
4. Welche Ansprüche stehen der Nachbarin N zu?
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