Entbehrlichkeit einer Mahnung

Entbehrlichkeit einer Mahnung

Bloße Förmelei oder notwendige Voraussetzung?

Was macht man, wenn der Vertragspartner im Voraus ankündigt, dass es zu Lieferschwierigkeiten kommen kann. Kann man eine andere, schnellere Versandmethode verlangen und wer trägt die Kosten? Der Bundesgerichtshof hatte in dieser neu veröffentlichten Entscheidung darüber zu urteilen, wann eine Mahnung entbehrlich ist, um den Schuldner einer Forderung in Verzug zu setzen.

Der Sachverhalt

In diesem Rechtsstreit agiert der Kläger als Versicherungsgeber für die Versicherungsnehmerin, die in Mexiko hergestellte Fahrzeuge mit Cockpitmodulen ausstattet. Die Beklagte ist ein Logistikunternehmen. Die Versicherungsnehmerin und die Logistikerin schlossen im Jahr 2016 einen Rahmenvertrag über die Beförderung von Produktionsteilen, die für die Montage von Fahrzeugcockpits essentiell sind. Diese sollten aus Europa nach Bremen transportiert werden, wo sie dann in Container verpackt und anschließend nach Mexiko verschifft werden sollen.

Im Juni 2017 transportierte die Beklagte im Rahmen dieser Vereinbarung Produktionsteile nach Bremen und verlud sie für den Transport nach Mexiko in zwei Container. Wegen eines Maschinenschadens konnten die Container allerdings nicht rechtzeitig auf das Schiff geladen werden. Die Beklagte teilte der Versicherungsnehmerin daher mit, dass es erst eine Woche später zu einer Verladung auf ein Ersatzschiff kommen könnte. Die Auftraggeberin befürchtete durch die Verzögerung einen Produktionsstillstand und forderte die Logistikerin daher zwei Mal auf, eine schnellere Lösung zu finden. Die Logistikerin lehnte es ab, die am dringendsten benötigten Teile per Luftfracht zu transportieren. Daraufhin engagierte die Versicherungsnehmerin selbst eine Spedition, die die Teile per Luftfracht verschickte und ihr rund 12.900 USD in Rechnung stellte. Die Versicherung erstattete diesen Betrag an die Versicherungsnehmerin abzüglich der geschätzten Kostenersparnis für den Seetransport in Höhe von rund 280 USD und unter Berücksichtigung einer Selbstbeteiligung von 5.000 USD. Die Klägerin nahm die Beklagte anschließend vor dem Landgericht (LG) Hamburg auf Zahlung von 12.600 USD in Anspruch.

Die Entscheidungen des LG und OLG Hamburg

Das LG Hamburg und auch das Berufungsgericht waren sich einig, dass der Versicherung ein Schadensersatzanspruch zustehe. Dieser ergebe sich allerdings nicht aus dem Verzug der Beklagten, weil die Versicherungsnehmerin noch keinen fälligen, durchsetzbaren Anspruch auf Verschiffung der Produktionsteile hatte. Die zweimalige Aufforderung, eine schnellere Lösung zu finden, könne zwar als Mahnung angesehen werden, allerdings würden diese vor Fälligkeit keinen Verzug auslösen. Die Mahnung sei auch nicht entbehrlich gewesen. Eine Mahnung ist gem. § 286 II Nr. 3 BGB dann entbehrlich, wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert. Im vorliegenden Fall habe die Beklagte aber noch vor Fälligkeit ablehnend geantwortet. Auch sei aus denselben Gründen gem. § 286 II Nr. 4 BGB kein sofortiger Vollzugseintritt gerechtfertigt. Stattdessen würde sich ein Schadensersatzanspruch aus § 280 I BGB wegen einer Verletzung der allgemeinen Pflicht zur Leistungserbringung ergeben.

Dagegen wendete sich die Beklagte nun mit einer Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH).

Die Entscheidung des BGH

Im Ergebnis gab der BGH der Vorinstanz Recht. Nach Ansicht des BGH ergebe sich der Schadensersatzanspruch jedoch bereits aus dem Verzug (§ 280 I und II, § 286 I und II Nr. 4 BGB). Dieser ergebe sich daraus, dass die Beklagte die Produktionsteile nicht rechtzeitig nach Mexiko verschiffen konnte. Die Kosten für die Ersatzlieferung per Luftfracht sei ein zu erstattender Verzögerungsschaden. Das Gericht argumentierte, dass wenn der Schuldner bereits vor Fälligkeit erkläre, dass er nicht rechtzeitig leisten könne, es “reine Förmelei” wäre, den Eintritt des Verzugs von einer Mahnung des Gläubigers nach Fälligkeit abhängig zu machen. Insbesondere dann, wenn der Schuldner aufgrund seiner eigenen Erklärungen ohnehin nicht in der Lage wäre, den Forderungen des Gläubigers nachzukommen, sei die Notwendigkeit einer Mahnung fraglich.

(BGH v. 20.4.2023 - I ZR 140/22)