Das BVerfG zu Anträgen zur Anhebung der absoluten Obergrenze der Parteienfinanzierung

Das BVerfG zu Anträgen zur Anhebung der absoluten Obergrenze der Parteienfinanzierung

Hat das Organstreitverfahren der AfD Aussicht auf Erfolg?

Der zweite Senat des BVerfG setzte sich kürzlich mit der Frage auseinander, ob ein Organstreitverfahren ausschließlich der Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Verfassungsorganen und nicht der Beurteilung der materiellen Verfassungsmäßigkeit eines konkreten Handelns eines Organs dient. Dabei musste auch die Frage erläutert werden, ob die Verfahrensvorschrift des § 64 Abs. 2 BVerfGG den Streitgegenstand und den Umfang der verfassungsgerichtlichen Kontrolle festlegt. Wie entschied der zweite Senat?

A. Sachverhalt

Die Antragstellerin begehrt im Wege des Organstreitverfahrens die Feststellung der Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte durch das Verfahren zur Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze vom 10. Juli 2018 (Hauptantrag zu 1.), die Feststellung der Verfassungswidrigkeit dieses Gesetzes (Hauptantrag zu 2.), hilfsweise die Feststellung der Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte durch den Erlass (Antrag zu 3a.) sowie weiter hilfsweise durch die „Produktion“ dieses Gesetzes (Antrag zu 3b.).

Am 5. Juni 2018 kündigten die parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen von CDU/CSU und SPD die Einbringung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze in den Deutschen Bundestag und dessen Aufsetzung auf die Tagesordnung des Plenums für Freitag, den 8. Juni 2018, an. Regelungsgegenstand des Gesetzes war insbesondere die Erhöhung der absoluten Obergrenze der staatlichen Parteienfinanzierung von 165 Millionen Euro (Stand 2018) auf 190 Millionen Euro ab dem Jahr 2019. Ebenfalls am 5. Juni 2018 teilte die Vorsitzende des Ausschusses für Inneres und Heimat mit, dass die Tagesordnung der Sitzung des Ausschusses am Folgetag um einen noch unbezifferten Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und SPD zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze erweitert werde. Am 8. Juni 2018 wurde der Gesetzentwurf nach einer mehrheitlich beschlossenen Änderung der Tagesordnung in erster Lesung im Plenum des Deutschen Bundestages beraten und an den Ausschuss für Inneres und Heimat überwiesen. Der Ausschuss führte am Montag, dem 11. Juni 2018, eine Anhörung von sieben Sachverständigen durch. Am 15. Juni 2018 erfolgten nach einer mehrheitlich gebilligten Änderung der Tagesordnung die zweite und dritte Lesung des Gesetzentwurfs im Deutschen Bundestag.

Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 27. September 2018 einen isolierten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung – 2 BvQ 91/18 – gestellt mit dem sie begehrte, die Anwendung des Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze 2018 bis zu einer Entscheidung über ihre Anträge im Organstreitverfahren auszusetzen, hilfsweise, die nach diesem Gesetz zusätzlich an die Parteien zu gewährenden staatlichen Mittel unter dem Vorbehalt der Rückerstattung auszuzahlen. Den Antrag hat der Senat mit Beschluss vom 12. März 2019 (BVerfG 151, 58- Änderung Parteienfinanzierung – Eilantrag) als unstatthaft verworfen, da weder Haupt- noch Hilfsantrag der vorläufigen Sicherung der Beteiligungsrechte der Antragstellerin im Gesetzgebungsverfahren dienten und auf Rechtsfolgen gerichtet gewesen seien, die im Organstreitverfahren nicht bewirkt werden können.

Das BVerfG hat im Oktober 2021 für das vorliegende Verfahren und das Verfahren 2 BvF 2/18 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in der die Verfahrensbeteiligten ihr Vorbringen vertieft und ergänzt haben.

B. Gründe

Das BVerfG hat die Anträge als unzulässig zurückgewiesen, da die Antragstellerin keine Antragsbefugnis habe.

I. Parteifähigkeit

Das BVerfG bejaht die Parteifähigkeit der Antragstellerin und des Antragsgegners (§ 63 BVerfGG). Die Antragstellerin ist als Fraktion des Deutschen Bundestages ein Teil des Deutschen Bundestages und kann im Organstreitverfahren eigene Rechte und Rechte des Deutschen Bundestages – im Wege der Prozessstandschaft – geltend machen. (Rn36) Der Antragsgegner ist als oberstes Bundesorgan gemäß § 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 63 BVerfGG parteifähig. Die Parteifähigkeit ist auch nicht mit dem Zusammentritt des 20. Deutschen Bundestages am 26. Oktober 2021 verlorengegangen. Maßgeblich ist der Status zu dem Zeitpunkt, in dem der Verfassungsstreit anhängig gemacht worden ist (vgl. BVerfGE 148, 11,19f Rn 29).

II. Antragsgegenstand

Das BVerfG sieht nur den Antrag zu 1) als statthaften Antragsgegenstand an.

1. Organstreitverfahren

Die verfassungsgerichtliche Prüfung im Organstreitverfahren ist auf den Verfahrensgegenstand des Antrages beschränkt. Der Organstreit dient der gegenseitigen Abgrenzung der Kompetenzen von Verfassungsorganen, nicht der Kontrolle der objektiven Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Organhandelns (st. Rspr. BVerfGE 12,55,67f ). Der Organstreit eröffnet nicht eine Beanstandungsklage und somit auch keine abstrakte Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit einer angegriffenen Maßnahme. (Rn 40)

2. Zulässigkeit des Antrags

Der Antrag ist gemäß § 64 Abs. 1 BVerfGG nur zulässig, wenn der Antragsteller oder das Organ, dem er angehört, durch eine Maßnahme des Antragsgegners in seinen, vom Grundgesetz übertragenen Rechte und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. Als Maßnahme kommt jedes rechtserhebliche Verhalten des Antragsgegners in Betracht, das den Antragsteller in seinen Rechten beeinträchtigen kann. (Rn 40) Auch der Erlass eines Gesetzes kann eine Maßnahme sein, wenn er im Widerspruch zu Verfassungsnormen steht. Im Organstreitverfahren ist die Maßnahme nicht das Gesetz als solches, sondern allein der Erlass durch die gesetzgebende Körperschaft; auch einzelne Akte des Gesetzgebungsverfahrens können ein statthafter Antragsgegenstand sein, wenn dadurch in Rechte des Antragsstellers aus dem Grundgesetz eingegriffen worden ist. (Rn 41/42)

Gemäß § 67 BVerfGG stellt das BVerfG lediglich fest, ob die beanstandete Maßnahme gegen das Grundgesetz verstößt; eine Entscheidung über die Gültigkeit einer Norm kann das BVerfG im Organstreitverfahren nicht treffen. (Rn 43) Gemäß diesen Ausführungen hat das BVerfG allein den Hauptantrag zu 1) als statthaften Antragsgegenstand angesehen, denn er richtet sich gegen die Durchführung des Gesetzgebungsverfahrens in seiner Gesamtheit. (Rn 44,45) Der Hauptantrag zu 2) verkennt das kontradiktorische Wesen des Organstreites, da er die Feststellung der Grundgesetzwidrigkeit des Gesetzes begehrt. Dies ist nicht statthaft. (Rn 47)

Das Organstreitverfahren dient allein dem Schutz der Rechte der Staatsorgane im Verhältnis zueinander, nicht aber der allgemeinen Verfassungsaufsicht. Für eine Prüfung der materiellen Verfassungsmäßigkeit einer Norm ist hier kein Raum. (Rn 48,50) Die rechtliche Kontrolle ist auf die Feststellung einer Verletzung der vom Antragsteller geltend gemachten Rechte beschränkt. Ansonsten bestünde die Möglichkeit, das für die abstrakte Normenkontrolle vorgesehene Antragsquorum (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, § 13 Nr.6, §§ 76 ff BVerfGG) zu umgehen.

III. Antragsbefugnis

Das BVerfG stellt fest, dass die Antragstellerin für den Hauptantrag zu 1) keine Antragsbefugnis hat. Die vom Antragsteller behauptete Verletzung oder unmittelbare Gefährdung seiner verfassungsmäßigen Rechte muss – unter Beachtung der vom BVerfG entwickelten Maßstäbe – nach dem vorgetragenen Sachverhalt als möglich erscheinen ( st. Rspr. vgl. BVerfGE 138, 256, 259).

1. Streitgegenstand und Darlegungspflicht

§ 64 Abs. 2 BVerfGG verlangt, dass im Antrag die Bestimmung des Grundgesetzes anzugeben ist, gegen die durch die beanstandete Maßnahme des Antragsgegners verstoßen wird.

Der Antragsteller bestimmt den Streitgegenstand im Organstreit, der gleichzeitig hierdurch begrenzt wird und an den das BVerfG gebunden ist. (Rn 54) § 64 Abs. 2 ist eine zwingende Verfahrensvorschrift, die den Umfang der verfassungsgerichtlichen Kontrolle bestimmt. Der Antragsteller muss zudem nach § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG im Organstreitverfahren substantiiert darlegen, dass die Möglichkeit der behaupteten Rechtsverletzung nach den benannten Verfassungsbestimmungen besteht. (Rn 55)

Legt man diese Voraussetzungen zugrunde, ist die Antragstellerin nicht antragsbefugt. Sie hat nicht substantiiert dargetan, durch den Ablauf des parlamentarischen Verfahrens zur Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes…2018 in ihren organschaftlichen Rechten verletzt worden zu sein.

2. Art. 20 Abs. 1-3 GG „Demokratieprinzip“

Die Antragstellerin hat sowohl in ihrer Antragsschrift als auch in ihrem Vortrag im Verfahren sowie in der mündlichen Verhandlung das „Demokratieprinzip“ gemäß Art. 20 Abs. 1-3 GG genannt, gegen das vorliegend verstoßen worden sei. Dieser Verweis auf das in Art. 20 Abs. 1 und 2 GG verankerte Demokratieprinzip genügt nach Auffassung des BVerfG nicht den Anforderungen an die substantiierte Darlegung der Möglichkeit einer Verletzung von Organrechten der Antragstellerin. Aus dem Demokratieprinzip in Art. 20 GG ergeben sich die von der Antragstellerin behaupteten subjektiven Beteiligungsrechte gerade nicht, wie die Rechtsprechung des BVerfG aufzeigt (s.o.). Das BVerfG hat in seiner Rechtsprechung zwar den verfassungsrechtlichen Schutz der parlamentarischen Minderheit und den Grundsatz effektiver Opposition auf Grund von Art. 20 Abs. 1 und 2 GG betont. Hieraus lassen sich jedoch keine spezifischen organschaftlichen Rechte und Mitwirkungsbefugnisse im Gesetzgebungsverfahren ableiten.

3. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG

Für die organschaftlichen Rechte bedarf es den Rückgriff auf die Ausgestaltung dieser Rechte in Art 38 Abs. 1 Satz 2 GG. Die bloße Bezugnahme auf das Demokratieprinzip in Art. 20 GG reicht nicht aus, um konkrete Beteiligungsrechte der Fraktionen im Gesetzgebungsverfahren zu bestimmen. (Rn 61) Nach der Rechtsprechung des Senates finden die Beteiligungsrechte der Abgeordneten und Fraktionen im Gesetzgebungsverfahren ihre verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG. Die die Antragstellerin nicht gemäß § 64 Abs. 2 BVerfGG diese Norm des Grundgesetzes als die durch das Gesetzgebungsverfahren verletzte Bestimmung bezeichnet hat, muss offenbleiben, ob die Antragstellerin in diesem Recht verletzt worden ist. Der Prüfungsumfang des BVerfG im Organstreitverfahren reicht – wie bereits dargelegt – nicht über die als verletzt bezeichnete Bestimmung des Grundgesetzes hinaus (s.o. 3a).

IV. Recht auf „politische Waffengleichheit“ im Gesetzgebungsverfahren

Das BVerfG moniert, dass es bezüglich des von der Antragstellerin genannten Rechts auf „politische Waffengleichheit“ im Gesetzgebungsverfahren an einer substantiierten Darlegung fehle, wonach ein solches Recht von Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG umfasst sein könnte. Darüber hinaus sei auch nicht detailliert dargestellt, dass dieses Recht durch den Antragsgegner verletzt worden sei. (Rn 67)

V. Recht auf Initiierung einer öffentlichen Kampagne

Die Antragstellerin hat nach Feststellung des BVerfG nicht dargelegt, inwieweit ein solches Recht der Fraktionen im Deutschen Bundestag überhaupt besteht. Gemäß § 55 Abs. 1 AbgG (Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages) obliegt den Fraktionen die Mitwirkung an der Erfüllung parlamentarischer Aufgaben. Ihre Befugnis zur Öffentlichkeitsarbeit ist gemäß § 55 Abs. 3 AbgG auf die Unterrichtung der Öffentlichkeit über ihre Tätigkeit beschränkt. (Rn 70)

VI. Unzulässigkeit der Hilfsanträge

Die Hilfsanträge sind nach Auffassung des BVerfG ebenfalls unzulässig. Die Antragstellerin ist nicht antragsbefugt, da sie eine Verletzung organschaftlicher Rechte nicht substantiiert dargelegt hat.

VII. Auslagenerstattung gemäß § 34 a Abs. 3 BVerfGG

Eine Erstattung von Auslagen findet im Organstreitverfahren nur ausnahmsweise statt, sofern besondere Billigkeitsgründe dies geboten erscheinen lassen (vgl. BVerfGE 96, 66, 67). Das BVerfG sieht solche Gründe hier nicht vorliegen.

Anmerkungen

Das BVerfG hat in seiner Entscheidung (Zurückweisung der Anträge) drei Punkte besonders hervorgehoben:

  1. Im Organstreitverfahren geht es allein um die gegenseitige Abgrenzung der Kompetenzen von Verfassungsorganen, nicht jedoch um die materielle Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Handelns eines Organs.

  2. Die Norm des § 64 Abs. 2 BVerfGG bestimmt als Verfahrensvorschrift den Streitgegenstand und damit den Umfang der verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Der Antragsteller gibt den Streitgegenstand mit seinem Antrag vor; das BVerfG ist an diese Vorgabe gebunden.

  3. Nach § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG muss ein Antragsteller substantiiert darlegen, dass die Möglichkeit der behaupteten Rechtsverletzung der organschaftlichen Rechte besteht. Er muss die betroffenen Verfassungsbestimmungen, die verletzt sein könnten, konkret anführen und sich mit der diesbezüglichen Rechtsprechung des BVerfG auseinandersetzen. Hieran stellt das BVerfG hohe Anforderungen.

(Urteil v. BVerfG 24.01.2023 2BvE 5/18)