Künstliche Intelligenz in der Justiz als Assistenz
Am OLG Stuttgart sollen die vier Dieselsenate, die vor tausenden Verfahren zum „Dieselskandal“ stehen, nun durch Künstliche Intelligenz unterstützt werden. KI in der deutschen Justiz ist ein spannendes Thema, doch nicht unumstritten. Wie ist hier der Sachstand?
Worum geht es?
Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde. Um zu begreifen, zu was KI bereits jetzt fähig ist, erscheint es fast einfacher zu fragen: Zu was nicht? Sie findet sich in unseren Smartphones, in der Industrie und Landwirtschaft, beim Militär und in der Medizin – und scheinbar auch in der deutschen Justiz. Das OLG Stuttgart ist davon nur ein Beispiel: Bei dem baden-württembergischen Gericht sind über 13.000 Verfahren zum „Dieselskandal“ anhängig. Um diese bewältigen zu können, sollen die Dieselsenate durch künstliche Intelligenz unterstützt werden.
Künstliche Intelligenz als Schlüsseltechnologie?
Ob die KI für die Menschheit Fluch oder Segen ist, darüber streiten sich die Geister und kann wohl auch erst in ferner Zukunft beantwortet werden. Unstrittig kann sie aber auf jeden Fall hilfreich sein und Menschen in ihrer täglichen Arbeit unterstützen. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags schreibt in einer Ausarbeitung aus 2021 daher, dass KI eine Schlüsseltechnologie mit großem Potenzial biete und sich auch für die Justiz anbieten könnte.
Die Anwendung von KI in der Justiz stellt dabei einen Teilbereich des Sammelbegriffes „Legal Tech“ dar, unter dem der allgemeine Einsatz von Informationstechnik im juristischen Bereich verstanden wird.
Doch es gebe Herausforderungen bei ihrem Einsatz in der Justiz, die nicht nur technisch bedingt seien. Vor allem würden sich beim Einsatz von KI bei Gerichten auch ethische Spannungsfelder ergeben, so der Wissenschaftliche Dienst. Denn: Viele juristische Entscheidungen seien gerade „Wertentscheidungen im Einzelfall“, bei der es keine mathematische Formel gebe, sondern auf einer subjektiv-emphatischen Abwägung beruhe. Und wie würde es dann noch um die Unabhängig der Justiz stehen? Und was ist mit der Gewaltenteilung? Spannende Fragen, die aber zum aktuellen Stand nicht beantwortet können.
KI-Unterstützung in Stuttgart
Das OLG Stuttgart ist nun einer der Vorreiter in puncto KI in der Justiz. Die KI soll die Richterinnen und Richter in den vier Dieselsenaten angesichts der über 13.000 anhängigen Verfahren zum „Dieselskandal“ entlasten. Entscheidungen sollen von der KI aber nicht getroffen werden. Vielmehr soll sie vor allem die Fallkonstellationen aus den tausenden Schriftsätzen herausfiltern, die gleich gelagert sind. Die Akten sollen nach wiederkehrenden, durch KI erkennbaren Merkmalen systematisiert werden. Manuell sei dies nur mit größtem Aufwand möglich, an dieser Stelle komme das KI-System zum Einsatz, berichtete die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges (CDU). Und weiter:
Wir brauchen diese Arbeitsteilung: Das KI-System im Bereich der Assistenz – und nur hier – die Richterinnen und Richter bei der inhaltlichen Bearbeitung, Überprüfung und Entscheidung.
Ob und wie die KI dem OLG Stuttgart die Arbeit tatsächlich abnehmen kann, bleibt abzuwarten. Jedenfalls könne das Projekt auch für andere künftige Massenverfahren als Vorbild vorangehen und einen wesentlichen Meilenstein auf dem Weg zur digitalen Justiz bilden, heißt es in einer Mitteilung des baden-württembergischen Justizministeriums.
Weitere KI in der deutschen Justiz
Abgesehen vom OLG Stuttgart hält sich Deutschland mit KI in der Justiz eher noch bedeckt. Stattdessen gibt es mehrere Forschungsprojekte im KI-Bereich, etwa „Legal Analytics“ vom Bayerischen Staatsministerium der Justiz. Hier soll eine Datenbank von Gerichtsentscheidungen entwickelt werden, die für Rechtsanwender aufgrund der gesammelten Daten durch KI vorhersagende Analysen (sog. „Predictive Analytics“) für die Entscheidung zukünftiger Rechtsfälle treffen kann. Diese erfolgen mit anonymisierten Entscheidungen, die nicht per Hand geschwärzt werden sollen – sondern durch KI.
Im Rahmen eines anderen Forschungsprojekts wird in Nordrhein-Westfalen seit 2019 eine auf KI basierende ereignisgesteuerte Videoüberwachung für den Strafvollzug entwickelt. Diese KI soll automatisch Situationen erkennen, die auf einen Suizidversuch eines Häftlings hindeuten und entsprechend die Beamtinnen und Beamten alarmieren.
Schließlich kann KI auch in kleinen Schritten erfolgen: Seit einigen Jahren sollen nach Informationen des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages an Gerichten mehrerer Bundesländer Spracherkennungsprogramme als Alternative zu klassischen Diktiergeräten benutzt werden.
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