Ein ganz besonderes Geschenk zu Heiligabend
„In dem vorliegenden Fall ist buchstäblich der Wurm drin“: Dieser Satz lässt sich in einem (weihnachtlichen) Urteil des AG Aalen finden. Denn nicht nur im Fall, sondern auch im Paprikaglas des Klägers war an Heiligabend im Jahr 1998 der Wurm drin. Für einen solchen Anblick verlangte er Schmerzensgeld – vergeblich. Ein wohl einmaliges Urteil in der deutschen Geschichte.
Worum geht es?
Heiligabend – nur eine der Traditionen am 24. Dezember ist es, abends zusammen mit der Familie, mit Freund:innen oder auch alleine schön zu essen. Als Klassiker gelten Kartoffelsalat mit Würstchen, Raclette, Fondue oder Gänsebraten. Vor fast 25 Jahren, am 24.12.1998, hatte sich wohl auch der Kläger mit seiner Familie auf das Weihnachtsessen gefreut. Doch alles sollte ganz anders kommen – vom (Festtags-)Gericht ans (Amts-)Gericht.
Wenn an Weihnachten der Wurm drin ist…
Wenn der Tatbestand im Urteil des AG Aalen mit „In dem vorliegenden Fall ist buchstäblich der Wurm drin“ beginnt, dann hat das seinen Grund: Im Jahre 1998 kaufte der Kläger zwei Tage vor Weihnachten ein Glas rote Paprika, das von der Beklagten vertrieben wurde. Am Heiligabend öffnete er es, stellte es zum Verzehr bereit und erlebte dann etwas, das ihn noch lange begleiten sollte. Denn nach Entnahme der obersten Paprikaschote habe dort ein ca. 3 cm langer weißer Wurm gelegen.
Die Folgen: gravierend. Der Kläger trug vor, dass er, seine Ehefrau und seine Tochter von einem Ekelgefühl überfallen worden seien. Das Essen an Heiligabend habe damit ein abruptes Ende gefunden, allesamt hätten den Tisch verlassen und mit Erbrechungserscheinungen gekämpft. Das gesamte Weihnachtsfest sei für den Kläger und seine Familie buchstäblich verdorben gewesen. Und nicht nur das: Der Kläger habe seit dem Vorfall auch nie wieder Paprika als solche essen können, was er bis zu dem 24.12.1998 eigentlich sehr gern getan habe. Im Original-Tatbestand schreibt das Gericht:
Der Kläger habe Paprika sehr geschätzt, und die Würmer im Paprikaglas haben ihn derart gewurmt, dass ihm ein Stück Lebensfreude verloren gegangen sei.
Doch Spaß beiseite: Der Kläger verlangte Schmerzensgeld. Er habe eine solche psychische Beeinträchtigung durch den Wurmvorfall erlitten, dass sich diese auf sein körperliches Wohlbefinden ausgewirkt habe. 2.000 DM forderte er damals von der Beklagten. Zu Recht?
AG Aalen: § 823 I BGB (-), §§ 823 II BGB iVm § 8 LebmG (-)
Das AG Aalen lehnte ab. Der Kläger habe keinen Anspruch aus unerlaubter Handlung. Sowohl für einen Anspruch aus § 823 I BGB als auch für einen Anspruch aus § 823 II BGB in Verbindung mit (dem damals geltenden) § 8 LebmG als Schutzgesetz müsste eine Rechtsgutverletzung vorliegen, so das Gericht. Diese könnte hier nur die Gesundheit sein. Voraussetzung wäre also gewesen, dass der Kläger durch das Ansehen der Würmer (tatsächlich sollen unten im Glas noch weitere gewesen sein) eine Verletzung an der Gesundheit davongetragen habe. Doch dies sei hier nicht der Fall.
Wenn man sich die Entscheidung des AG Aalen durchliest, könnte man fast vermuten, dass das Gericht nahezu Spaß an seiner Entscheidung hatte. Grundsätzlich, so steht es geschrieben, sei der bloße Anblick eines Wurms nämlich nicht geeignet, beim Betrachter ein solches Ekelgefühl hervorzurufen, dass daraus eine Gesundheitsstörung entstehen könnte. Das Gericht argumentierte:
Im Laufe seines Lebens trifft ein Mensch immer wieder auf Würmer, ohne dass dies zu krankhaften Erscheinungen beim Betrachter führt.
Zwar sei ein Wurm in einem Paprikaglas nicht so gewöhnlich wie ein Wurm im Boden eines Grundstücks. Und tatsächlich stehe „bei sogenannten zivilisierten Menschen […] ein Wurm […] nicht auf dem Speiseplan“. Dies gelte auch für Käufer:innen von Bio-Waren, so das Gericht im Jahr 1999, die doch normalerweise kein „gestörtes Verhältnis zur Natur“ hätten. Doch am Ende entspräche es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass beim Verzehr von Obst oder Gemüse kleine Würmer vorgefunden werden könnten – etwa auch bei Äpfeln.
Dem Gericht ist kein Fall bekanntgeworden, dass jemand, der versehentlich auf einen derartigen Wurm gebissen hat, derart von Ekel überfallen wurde, dass dies beim Betroffenen zu Beschwerden mit krankheitsähnlichen Charakter geführt hätte.
Gericht führt „repräsentative Umfrage“ durch
Und tatsächlich: Zum Ende führte das Gericht eine „zwar nicht wissenschaftliche, aber doch repräsentative Umfrage“ durch, falls es sich mit seiner Rechtsauffassung doch geirrt haben sollte. Im Urteil des AG Aalen steht geschrieben, dass das Gericht die „bekanntermaßen empfindlichsten“ Mitarbeiter:innen des Amtsgerichts gefragt haben soll, wie denn diese die Wurm-Situation einschätzen würden. Das Gericht berichtete zwar von „spontanen Heiterkeitsausbrüchen“, aber:
Niemand konnte sich derartige Gesundheitsbeeinträchtigungen überhaupt vorstellen.
Und dabei verblieb es. Die Würmer waren nicht geeignet, die vom Kläger beschriebenen Gesundheitsstörungen hervorzurufen. Damit gab es kein Schmerzensgeld für den Kläger – aber wohl ein unvergessliches Weihnachtsfest.
(AG Aalen, Urt v. 16.09.1999 – 3 C 811/99)
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