Wirecard – Prozessauftakt: 3,1 Milliarden Euro Betrugsschaden

Wirecard – Prozessauftakt: 3,1 Milliarden Euro Betrugsschaden

Wirecard Prozess gestartet - 89 Seiten Anklage

Prozessauftakt im Wirecard-Skandal: In München hat das Strafverfahren gegen die drei angeklagten Top-Manager seinen Anfang genommen. Um ganze 3,1 Milliarden Euro sollen Investoren und Anleger geprellt worden sein. Und wohin sind die 1,9 Milliarden Euro aus Drittpartnergeschäften verschwunden? Oder hat es sie nie gegeben?

Worum geht es?

Vor der 4. Strafkammer des LG München I geht es um nicht weniger als um den möglicherweise höchsten Betrugsschaden in Deutschland seit 1945. In der Anklage ist von 3,1 Milliarden Euro die Rede, es fallen immer wieder Begriffe wie frei erfundenen „Drittpartner“ aus Asien und „Schattenstrukturen“. Die Vorwürfe der Untreue, der falschen Darstellung der Bilanzen zwischen 2015 und 2018, der Marktmanipulation und des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs richten sich gegen den ehemaligen Chefbuchhalter des mittlerweile insolventen Unternehmens sowie gegen zwei Männer, die in nächster Zeit öfter in der Medienlandschaft auftauchen werden: Dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von Wirecard und dem Statthalter der Wirecard Niederlassung in Dubai. Der Kernvorwurf im aufsehenerregenden Wirecard-Prozess:

Deren Ziel war es, die Bilanzsumme und das Umsatzvolumen der Wirecard AG auf Konzernebene durch Vortäuschen von Einnahmen und Gewinnen aus Geschäften mit sog. Third Party Acquirern aufzublähen, um das Unternehmen finanzkräftiger und für Investoren und Kunden attraktiver darzustellen.

Aufstieg und Fall von Wirecard

Der große Wirecard-Prozess hat vor dem LG München I begonnen. Die zuständige Staatsanwaltschaft München I hat gegen die drei Männer Anklage erhoben. Die Vorwürfe wiegen schwer: Die Strafverfolgungsbehörde ist davon überzeugt, dass die drei Angeklagten Investoren, Anleger und die gesamte Öffentlichkeit über mehrere Jahre mit gefälschten Geschäftszahlen getäuscht haben sollen.

Die Wirecard AG fungierte als Zahlungsdienstleister als Schnittstelle zwischen Kreditkartenfirmen und Banken sowie Einzelhändlern. Gegen eine Gebühr wurden elektronische Zahlungen abgewickelt – ein voller Erfolg, zumindest ließ das Unternehmen dies nach außen erkennen. Die Zahlen von Wirecard stiegen so rasant durch die Decke, dass das Unternehmen 2018 in den Dax aufstieg.

Doch bei den Zahlen soll es sich um mehr Schein als Sein gehandelt haben: Im Juni 2020 brach der Konzern zusammen und stellte einen Insolvenzantrag. 1,9 Milliarden Euro seien nicht mehr auffindbar. Diese sollen, so den Zahlen nach, aus sogenannten Drittpartnergeschäften stammen. Doch das Geld ist weg – bis heute. Spurlos.

Aussage gegen Aussage

Dreh-und Angelpunkt im Prozess wird die Frage sein, ob das Online-Zahlungsabwicklungsgeschäft mit Drittpartnern wirklich existierte oder nicht. An dieser Stelle sehen sich der ehemalige Vorstandsvorsitzende und der ehemalige Statthalter der Niederlassung in Dubai nicht nur vom Staat konfrontiert – auch die beiden Männer beschuldigen sich in dieser Hinsicht gegenseitig.

Letzterer ist im nun begonnenen Wirecard-Prozess ein Kronzeuge. Bei mehreren Vernehmungen durch die Ermittlungsbehörden hat der Kronzeuge in der vergangenen Zeit ausgesagt, dass die online abgewickelten Zahlungen von den Wirecard-Drittpartnern in Asien frei erfunden gewesen seien. Die Folge für die 1,9 Milliarden Euro: Nach dem Dubai-Verantwortlichen hätten sie nie existiert.

Im Verhandlungssaal zwar nicht räumlich, aber in der Sache gegenüber: Der ehemalige Vorstandsvorsitzende. Er war die letzten zweieinhalb Jahre in Untersuchungshaft und habe, so heißt es, Belege für die Existenz der Drittpartnergeschäfte – und somit auch für die 1,9 Milliarden Euro. Dass sie verschwunden seien, liege an anderen Gründen, etwa weil der ehemalige Dubai-Verantwortliche mit Komplizen in einer Art „Schattenstruktur“ hunderte Millionen ins Ausland verschoben habe. Er selbst sei vielmehr Opfer, auch durch ein weiteres früheres Vorstandsmitglied, das vermutlich in Russland untergetaucht ist.

Eine der vielen Hauptfragen wird also sein: War der ehemalige Vorstandsvorsitzende Täter des Betrugs (§ 263 StGB) – oder Opfer? Die Staatsanwaltschaft und der Insolvenzverwalter für die Wirecard AG vertreten zumindest die Auffassung: Das Geld habe es nie gegeben.

Entscheidung in 2024 wahrscheinlich

Bereits jetzt lässt sich absehen, dass es ein aufsehenerregender Prozess werden wird: Stundenlange Anklageverlesung, drei Angeklagte, ein Schaden in Milliardenhöhe. Die 4. Strafkammer des LG München I hat bislang 100 Prozesstage bis Ende des nächsten Jahres angesetzt. Es wird trotzdem erwartet, dass das Verfahren erst 2024 sein Ende finden dürfte.

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