Wahl in Berlin muss wiederholt werden

Wahl in Berlin muss wiederholt werden

Berlin - Berlin - wir wählen in Berlin

Wahlchaos führt zur Wahlwiederholung: Der VerfGH in Berlin hat entschieden, dass die gesamte Wahl in der Hauptstadt wiederholt werden muss. Es handele sich um zu schwere mandatsrelevante Pannen bei der Wahl.

Worum geht es?

Lange Zeit wurde darüber spekuliert, nun herrscht Gewissheit: Die vergangenen Berliner Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen vom 26. September 2021 müssen wiederholt werden. Das hat der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) des Landes Berlin entschieden und die betroffenen Wahlen für ungültig erklärt. Gemäß den Vorschriften des Landeswahlgesetzes müssen die Wahlen nun in ganz Berlin binnen 90 Tagen wiederholt werden. Eine Vielzahl an Pannen sollen die Grundsätze der Freiheit, der Allgemeinheit und der Gleichheit der Wahl verletzt haben.

Viele Wahlen und ein Marathon

Am Sonntag, den 26. September 2021, war in der Hauptstadt eine Menge los. Mitten in der Corona-Pandemie wurde in Berlin gleich mehrfach gewählt, die Bürger:innen konnten ihre Kreuze für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus, für die Bezirksverordnetenversammlung und für die Bundestagswahl setzen. Auch ein Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnungskonzerne wurde zur gleichen Zeit veranstaltet und neben allein diesem organisatorischen Aufwand fand an diesem Tag zudem der Berliner Marathon statt.

Folge dieser organisatorischen Mehrfachbelastung und einer als schlecht bezeichneten Vorbereitung waren dann massive Probleme bei der Abstimmung: In den Wahllokalen hätten teilweise falsche Stimmzettel gelegen, anderenorts hätten diese gefehlt. Auch soll es Wahllokale gegeben haben, in denen Stimmzettel eilig kopiert worden seien, weil es zu wenig gegeben habe. Dann ist von zu wenigen Wahlurnen die Rede, der zeitweisen Schließung von Wahllokalen und von den sehr langen Schlangen davor. Mancherorts hätten die Wähler:innen mehrere Stunden warten müssen. Schließlich wurden in einem Teil der Wahllokale die Kreuze noch bis 18.30 Uhr gemacht. Der VerfGH spricht daher von „schweren systemischen Mängeln“ und einer „Vielzahl schwerer Wahlfehler“, die mandatsrelevant gewesen seien.

Wahl muss komplett wiederholt werden

Aufgrund der vielen Pannen musste der VerfGH die Gültigkeit der Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den zwölf Bezirksversammlungen überprüfen. Vorangegangen sind insgesamt 15 Einsprüche, unter anderem lagen Beschwerden der Landeswahlleitung, der Innenverwaltung und der Parteien AfD und Die Partei vor. Das Ergebnis steht jetzt fest: Die Wahl muss in ganz Berlin wiederholt werden. Nur so könnten verfassungsrechtliche Standards gewährleistet werden, so der VerfGH in seiner Entscheidung.

Der VerfGH ist davon überzeugt, dass schon die Vorbereitung der Wahlen für sich genommen einen Wahlfehler darstelle, aus der weitere erhebliche Fehler resultierten. So sei in mehrfacher Hinsicht gegen die in der Berliner Verfassung niedergelegten Wahlgrundsätze verstoßen worden. Dabei handele es sich auch um Wahlfehler, die mandatsrelevant seien, sie sich also auf die Zusammensetzung des Parlaments ausgewirkt hätten. Das oberste Berliner Gericht sah die Grundsätze der Allgemeinheit, Gleichheit und Freiheit der Wahl als verletzt.

Fehlerhafte Prognose zur Dauer der Wahlhandlung

Iudex non calculat? Der VerfGH sah das anders und stellte mit einer Berechnung der Dauer der Wahlhandlung klar, dass die Landeswahlleitung im Vorfeld fehlerhafte Prognosen erstellt habe. Diese habe nämlich für die Dauer der Wahlhandlung im Lokal drei Minuten pro Person veranschlagt – zu wenig, befand der VerfGH. Dies habe nämlich dazu geführt, dass pro Wahllokal nur 472 Personen in Präsenz wählen konnten. Sogar fünf Minuten wären bei den abzugebenden Stimmen zu knapp gewesen, denn tatsächlich seien in jedem Wahllokal durchschnittlich 1.085 Personen gewesen. Jeder Wahlberechtigte habe aber einen verfassungsmäßigen Anspruch auf die Wahl in Präsenz.

Angesichts dieser hohen Zahl der Wahlberechtigen pro Wahllokal war eine ordnungsgemäße Wahl nicht mehr gewährleistet.

Die Folge davon seien nicht nur stundenlange Schlangen gewesen, sondern teilweise auch die Stimmabgabe nach 18.00 Uhr. 244 Wahllokale hätten sogar noch nach 18.30 Uhr Stimmen angenommen. Zu diesem Zeitpunkt wurden aber bereits erste Prognosen veröffentlicht. Dies habe die dann noch wählenden Wahlberechtigten bei ihren Stimmabgaben beeinflussen können.

Chaos bei den Stimmzetteln

Dazu hätten sich die organisatorischen Probleme mit den Stimmzetteln gehäuft. Obwohl bereits vor dem 26. September 2021 bekannt gewesen sei, dass beim Druck Stimmzettel vertauscht wurden, sei es nicht in allen Bezirken zu einer Überprüfung gekommen, stellte der VerfGH fest. Dies habe dazu geführt, dass am Wahltag in mindestens fünf von 12 Bezirken falsche Stimmzettel, also solche für einen anderen Wahlkreis, ausgegeben wurden. Eine Stimme auf einem falschen Stimmzettel sei aber ungültig, so das Gericht. Die betroffenen Wähler:innen seien damit faktisch von der Wahl ausgeschlossen gewesen.

Hinzu sei es teilweise zu einer Unterversorgung gekommen. Einige Bezirkswahlämter hätten den Wahlvorständen nicht alle benötigten Stimmzettel ausgehändigt, heißt es seitens des Gerichts. Bei der Nachversorgung sei es dann zu erheblichen Verzögerungen gekommen. Einige Wahllokale hätten für diese Zeit auch geschlossen, ohne dass es für die Wähler:innen erkennbar gewesen sei, wann sie wieder geöffnet seien.

Und schließlich seien mancherorts auch Stimmzettel aufgrund der Unterversorgung einfach kopiert worden. Diese seien ungültig, entschied der VerfGH – sie würden nicht den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen. Tatsächlich sollen die betroffenen Ämter noch nicht einmal genau beziffern können, wie viele kopierte Stimmzettel ausgehändigt worden seien.

Korrektur Interesse überwiegt Bestandsinteresse

Aufgrund dieser Umstände sollen tausende wahlberechtigte Personen ihre Stimmen entweder nicht, nicht wirksam oder nur unter unzumutbaren Bedingungen abgegeben haben. Damit seien die in der Verfassung des Landes Berlin festgelegten Grundsätze der Freiheit, der Allgemeinheit und der Gleichheit der Wahl verletzt. Die Wahlen müssen nun gemäß § 21 I Landeswahlgesetz in ganz Berlin wiederholt werden. § 21 III 1 Landeswahlgesetz sieht dafür eine Frist von 90 Tagen vor.

Im Rahmen einer Abwägung kam der VerfGH nämlich zu dem Ergebnis, dass das Korrektur Interesse das Bestandsinteresse, also das Interesse am Bestehenbleiben eines einmal gewählten Parlaments, überwiege. Nur so könne das verfassungsrechtlich verankerte Wahlrecht garantiert werden. Für den VerfGH handele es sich um ein eindeutiges Organisationsverschulden der für die Wahlen zuständigen Behörden Berlins.

Gleiche Wahlgrundsätze aufgrund Homogenitätsprinzip

In Artikel 39 der Berliner Landesverfassung wird bestimmt, dass die Abgeordneten in allgemeiner, gleicher, geheimer und direkter Wahl gewählt werden. Das dürfte auch den Nicht-Berliner:innen aufgrund des Art. 38 I GG bekannt vorkommen, wo die Wahlgrundsätze für die Bundestagswahl geregelt sind. Die Wahlgrundsätze aus dem Grundgesetz gelten aber nicht nur für die Bundestagswahl, sondern auch bei allen anderen Parlamentswahlen in Deutschland und somit auch auf Landes- und Kommunalebene. Da aufgrund des Föderalismus die Bundesländer eigene Staaten mit Staatsgewalt sind, haben sie auch eine eigene Verfassung. Diese muss aufgrund Art. 28 I 1 GG den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen (hierunter fallen die Wahlgrundsätze) und sozialen Rechtsstaates entsprechen. Dabei handelt es sich um das sogenannte Homogenitätsprinzip.

Bundestagswahl wird in 431 Berliner Wahllokalen wiederholt

Inzwischen wurde auch bekannt, dass die Bundestagswahl in 431 Wahllokalen in Berlin wiederholt werden muss. Für diese Entscheidung war allerdings nicht der VerfGH, sondern der Bundestag selbst zuständig. Dies ergibt sich aus Art. 41 GG, wonach die Wahlprüfung Sache des Bundestages ist. Dieser hat nun eine entsprechende Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses gebilligt. Mitunter wird aber spekuliert, dass dieser Beschluss eventuell noch vor dem BVerfG landen könnte. Sollte es dazu kommen, halten wir Dich natürlich auf dem Laufenden.

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