BGH zum Zugang eines Vergleichsangebots per E-Mail

BGH zum Zugang eines Vergleichsangebots per E-Mail

Willenserklärungen per E-Mail - Gelten die selben Regeln?

Um 9:19 Uhr schickte die Klägerin ein Vergleichsangebot ab, eine Dreiviertelstunde später bat sie – wieder per E-Mail – darum, die vorherige Nachricht nicht zu berücksichtigen. Stellt das einen wirksamen Widerruf dar?

Worum geht es?

Wer sich gerade zu Beginn des Jurastudiums den Zugang von Willenserklärungen unter Abwesenden aneignet, wird in den meisten Lehrbüchern noch auf die Briefkästen stoßen. Dort werden dann von einem Machtbereich die Rede und die Möglichkeit einer tatsächlichen Kenntnisnahme die Rede sein. Doch tatsächlich läuft das digitale Postfach den metallenen Kästen immer mehr den Rang ab. Die rechtlichen Regeln sind dabei aber dieselben – oder doch nicht?

In einer spannenden Entscheidung musste sich der BGH mit den Basics des BGB AT auseinandersetzen. Wann gilt eine E-Mail als zugegangen? Und war es rechtlich zulässig, dass die Bauherrin die eine E-Mail einfach ignorierte?

Streit um Restbetrag

Eine Bauherrin und eine Gartenbauerin haben sich über mehrere Instanzen bis nach Karlsruhe gestritten: Die Bauherrin beauftragte im Jahr 2016 die Fassadenbauerin, um die Außenwand eines Objektes zu bepflanzen. Nach Ausführung der Arbeiten rechnete die spätere Klägerin gegenüber der Beklagten einen Betrag in Höhe von rund 250.000 Euro ab.

Doch nun gerieten die Parteien in Streit um die Berechtigung zahlreicher Kürzungen. Die Gartenbauerin machte der Bauherrin daher ein Vergleichsangebot – per E-Mail. Um 9:19 Uhr an einem Werktag schrieb sie, dass sich die Schlussrechnung noch auf rund 14.000 Euro plus Anwaltskosten belaufe. Sollte die Auftraggeberin dieses Vergleichsangebot nehmen, hieß es in der E-Mail, würde die Gartenbauerin keine weiteren Forderungen erheben.

Knapp 45 Minuten später erreichte der Posteingang der Bauherrin aber noch eine weitere Mail. Diesmal schrieb die Gartenbauerin, dass nun doch noch keine abschließende Prüfung erfolgt sei. Die vorherige E-Mail sei daher nicht zu berücksichtigen.

Ein paar Tage später folgte dann die neue Schlussrechnung in Höhe von rund 22.000 Euro. Die Beklagte überwies – allerdings nur die 14.000 Euro, wie sie in der ersten E-Mail standen. Die Sache kam vor Gericht, denn die Klägerin begehrte die weiteren 8.000 Euro. Zu Recht?

Wann geht eine Willenserklärung unter Abwesenden zu?

Damit eine Willenserklärung unter Abwesenden wirksam ist, bedarf sie zweierlei: Abgabe und Zugang. In beiden Prüfungspunkten kann es zu erheblichen (klausurrelevanten) Problemen kommen. Im Idealfall kann es aber auch „glatt“ laufen – das würde dann am Beispiel eines Briefes wie folgt aussehen:

Die Willenserklärung ist unter Abwesenden abgegeben, wenn der Erklärende sie willentlich in den Verkehr gebracht hat und somit die Kenntnisnahme durch Dritte möglich ist. In unserem Post-Beispiel wäre das die Absendung des Briefes. Nun muss dieser dem Empfänger noch im Rechtssinne zugehen, hier gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Zugang durch oder ohne Kenntnisnahme. Wenn der Empfänger den Brief direkt von der Post in die Hand gedrückt bekommt, hat er Kenntnis und die Willenserklärung ist ihm zugegangen. Ein Zugang ist aber auch ohne Kenntnisnahme möglich – in unserem Beispiel nämlich dann, wenn der Brief im Briefkasten des Empfängers landet. Die Willenserklärung geht dem Empfänger dann in dem Moment zu, in dem sich der Empfänger nach der Verkehrsanschauung üblicherweise vom Inhalt einer in seinen Machtbereich gelangten Erklärung verschaffen kann.

Sind diese Grundsätze 1:1 auf die E-Mail übertragbar?

BGH: Wirksamer Vergleich (+)

Mit dieser Frage musste sich der BGH befassen. Lehrbuchartig argumentierte das Karlsruher Gericht in seiner Entscheidung: Zwischen der Bauherrin und der Gartenbauerin sei ein Vergleich gemäß § 779 BGB über die rund 14.000 Euro zustande gekommen. Die Restforderung der 8.000 Euro sei damit erloschen.

Die E-Mail der Klägerin, die sie um 9:19 Uhr zu Geschäftszeiten an die Beklagte schickte, stelle ein Vergleichsangebot dar, welches die Bauherrin durch die Zahlung der 14.000 Euro (konkludent) angenommen habe. Dieses Angebot habe die Gartenbauerin mit ihrer nachfolgenden Mail weder wirksam angefochten noch wirksam widerrufen. Die Willenserklärung wäre dem BGH zufolge nach § 130 I BGB nämlich nur dann nicht wirksam, wenn sie vor oder gleichzeitig mit ihrem Zugang widerrufen worden wäre.

Dies sei hier nicht der Fall, so der BGH und verwies auf die herrschende Meinung. Danach gehe eine E-Mail im geschäftlichen Verkehr dann dem Empfänger zu, wenn sie abrufbereit in seinem elektronischen Postfach eingegangen sei. Bei Geschäftsleuten sei daher während der üblichen Bürozeit mit der Kenntnisnahme – also dem Zugang – unmittelbar nach dem Eingang der E-Mail in den elektronischen Briefkasten zu rechnen.

Auf die tatsächliche Kenntnisnahme durch den Empfänger komme es dabei nicht an.

Und da die E-Mail mit dem Vergleichsangebot um 9:19 Uhr zuging, die folgende E-Mail aber erst eine Dreiviertelstunde später, könne das Angebot nicht mehr widerrufen werden. Nach § 130 I 2 BGB wird eine Willenserklärung nämlich nur dann wirksam widerrufen, wenn der Widerruf vorher oder gleichzeitig zugeht. Zu diesem Zeitpunkt sei das Angebot der Bauherrin aber bereits zugegangen.

Die Bauherrin habe das Angebot dann auch konkludent durch ihre Zahlung angenommen. Dass dies eine Woche später nach dem Angebot erfolgte und sie so die „Widerrufs“-Mail ignorierte, sei unschädlich. Für die Karlsruher Richter:innen sei dies noch innerhalb der Frist des § 147 II BGB gewesen. Nach dieser Norm kann das einem Abwesenden gemachte Angebot nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, in welchem der Erklärende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf. Hier sei keine Antwortfrist gesetzt worden, bis zu zwei Wochen wertete der BGH als angemessen.

(BGH, Urteil vom 06.10.2022 - VII ZR 895/21)