Klausurenklassiker: Heimtücke
Die objektiven und subjektiven Voraussetzungen für die Annahme eines Heimtückemordes sind nach der ständigen Rechtsprechung des BGH geklärt und werden auch in diesem aktuellen Fall wieder bestätigt. Die Probleme liegen daher nicht zwingend im rechtlichen Detail, sondern in der sauberen und umfänglichen Ermittlung des Lebenssachverhalts (Tatgeschehens) und dessen Subsumtion unter § 211 StGB.
A. Sachverhalt
P liest eines Abends Chat-Nachrichten mit sexuellem Inhalt, die seine Ehefrau E mit einem anderen Mann ausgetauscht hat. Der P fürchtet daher um den Fortbestand der Ehe, an der er festhalten will, um weiterhin am Vermögen seiner Ehefrau zu partizipieren; er stellt seine Ehefrau, die sich in einen anderen Raum zurückgezogen hat und auf einem Sofa sitzt, zur Rede. Sie fordert ihn indes auf zu verschwinden und äußert sinngemäß, „dass alles okay wäre, wenn sie ihn jetzt umbringeʺ.
P – wütend, gekränkt, wegen des ʺEntgleitensʺ seiner Ehe sich für ʺgescheitertʺ haltend und seiner über Jahre angestauten Aggression nachgebend – greift mit seiner rechten Hand nach einem auf dem Beistelltisch abgelegten Küchenmesser, das er bereits rund eineinhalb Stunden zuvor dort gesehen hat, um die E zu töten. Zugleich streckt er unterdessen seinen linken Arm in einer abwehrenden Bewegung nach vorn, um hierdurch von vornherein eine etwaige Bewegung der E in Richtung des Messers zu unterbinden und dieses ungehindert ergreifen zu können. Sich nach Ergreifen des Messers nach links drehend, versetzt P seiner Ehefrau, die gerade aufsteht und die dem Angriff wegen dessen Schnelligkeit nichts Wirksames entgegenzusetzen hat, einen ersten Stich in den vorderen Rumpfbereich. Der E gelingt es nicht, die Hände oder Arme des P zu ergreifen, der mindestens zehn weitere Male zusticht, und zwar in den Kopf-, Hals- und Brustbereich. Schließlich würgt P die zu Boden gesunkene E am Hals, um den Todeseintritt zu beschleunigen. E verstirbt schließlich an ihren äußeren und inneren Blutungen.
Wie hat sich P strafbar gemacht?
B. Entscheidung
I. Mord, § 211 StGB
P könnte sich wegen heimtückisch begangenen Mordes gemäß § 211 Abs. 1 und Abs. 2 (2. Gruppe Var. 1) StGB strafbar gemacht haben, indem er im Zuge des Streites auf die E mit dem ergriffenen Küchenmesser mehrfach eingestochen hat und seine Ehefrau infolge der Stichverletzungen gestorben ist.
Der tatbestandliche Erfolg – der Tod eines Menschen – ist von P kausal herbeigeführt worden. Fraglich ist aber, ob P vorliegend auch das Mordmerkmal der „Heimtücke“ verwirklicht hat. Dazu der BGH:
„2.a) Heimtückisch handelt, wer in feindseliger Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt.
Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen Angriff rechnet. Ohne Bedeutung für die Frage der Arglosigkeit ist dabei, ob das Opfer gerade einen Angriff gegen das Leben erwartet oder es die Gefährlichkeit des drohenden Angriffs in ihrer vollen Tragweite überblickt. Besorgt das Opfer einen gewichtigen Angriff auf seine körperliche Integrität, ist es vielmehr selbst dann nicht arglos, wenn es etwa wegen fehlender Kenntnis von der Bewaffnung des Täters die Gefährlichkeit des erwarteten Angriffs unterschätzt (st. Rspr.; …).
Die Arglosigkeit führt zur Wehrlosigkeit, wenn das Opfer aufgrund der Überraschung durch den Täter in seinen Abwehrmöglichkeiten so erheblich eingeschränkt ist, dass ihm die Möglichkeit genommen wird, dem Angriff auf sein Leben erfolgreich zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Das ist der Fall, wenn das Opfer daran gehindert ist, sich zu verteidigen, zu fliehen, Hilfe herbeizurufen oder in sonstiger Weise auch durch verbale Äußerungen auf den Täter einzuwirken, um den Angriff zu beenden (st. Rspr.; …).
Hier könnte E deswegen arglos gewesen sein, weil sie nicht damit gerechnet hat, dass sie von ihrem Ehemann P angegriffen wird. Dagegen könnte indes sprechen, dass sie dem P und seiner Entdeckung mit der Bemerkung „dass alles okay wäre, wenn sie ihn jetzt umbringe“ entgegen trat. Dazu der BGH:
„b)aa) Bedenken begegnet bereits die Annahme einer Arglosigkeit der [E] in objektiver Hinsicht. Ihre Äußerung, ‚sie könne den [P] jetzt umbringen‘, könnte nahelegen, dass sie ihrerseits von einer drohenden schweren tätlichen Auseinandersetzung ausging. Sie könnte aufgestanden sein, um selbst den [P] zu attackieren oder ihm zuvorzukommen. Beide Umstände hat das Landgericht - offensichtlich mangels weiterer Erkenntnismöglichkeiten - nicht weiter aufgeklärt; so bleibt insbesondere offen, ob die Äußerung der [E] ernst gemeint war.“
Hinweis: Bei einer Stichzufügung in einer „Umarmungssituation“ zwischen Täter und Opfer können die Voraussetzungen des Mordmerkmals der Heimtücke erfüllt sein. Um gesicherte Rückschlüsse auf die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers ziehen zu können, muss das Tatgericht zu den objektiven Umständen der Tatausführung Feststellungen treffen, etwa zum Kräfteverhältnis zwischen Täter und Opfer, dessen Verteidigungs-, Ausweich- und Fluchtmöglichkeiten sowie den örtlich-zeitlichen Gegebenheiten, ferner zu Kampf- oder Abwehrverletzungen.
Fraglich ist jedenfalls, ob sich – in subjektiver Hinsicht – der Vorsatz des P auf die Arglosigkeit seiner Ehefrau bezogen hat und er ein entsprechendes Ausnutzungsbewusstsein hatte. Dazu der BGH:
bb) In subjektiver Hinsicht setzt der Tatbestand des Heimtückemordes voraus, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers erkennt; erforderlich ist außerdem, dass er die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt. Dafür genügt es, wenn er die die Heimtücke begründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. Das Ausnutzungsbewusstsein kann bereits dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt. Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat (st. Rspr.; …). Denn bei erhaltener Unrechtseinsicht ist die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt (…).
(a) Mit dem Vorstrecken des linken Arms wollte der [P] von vornherein verhindern, dass seine Ehefrau auf das Messer zugreifen konnte. Dieser Zweck beinhaltet, dass der [P] seine Ehefrau nicht für gänzlich arglos hielt. (…)
(b) Die Heimtücke lässt sich nicht allein darauf stützen, dass der [P] durch einen schnellen Messerstich seine Ehefrau überraschen wollte. Dieser Entschluss setzte nicht zwingend den Plan des [P] voraus, sich die Ahnungs- und Schutzlosigkeit des Tatopfers für den Angriff zunutze zu machen. Vielmehr ist die Vorstellung, einen plötzlichen und deshalb möglichst wirkungsvollen ersten Angriff führen zu müssen, um jede Gegenwehr des Angegriffenen von vornherein zu unterbinden, ohne Weiteres auch mit der (…) Annahme des [P] in Einklang zu bringen, sich andernfalls möglicherweise in eine Auseinandersetzung mit seiner dann zur Abwehr bereiten Ehefrau begeben zu müssen (…).
cc) Die Heimtücke lässt sich auch nicht mit einem ʺIn-den-Hinterhalt- Lockenʺ oder einem ʺraffinierte-Falle-Stellenʺ begründen (…). Denn es ist weder festgestellt, dass der [P] vor Beginn des Gesprächs das Messer auf dem Beistelltisch bereitlegte, um es sogleich einzusetzen, noch, dass er seine Ehefrau zum Sofa lockte (…). Dass er das Messer bereits zuvor gesehen hatte, genügt nicht.“
Hinweis: Auch zum sog. Ausnutzungsbewusstsein muss das Tatgericht tragfähige Feststellungen treffen: So steht die Spontaneität des Tatentschlusses dem nicht entgegen und auch ein unmittelbar dem Zustechen vorausgehendes Anpacken des Opfers am Kragen wäre mit einem heimtückischen Handeln vereinbar, da die Heimtücke kein „heimliches“ Vorgehen erfordert. Das Opfer kann auch dann arglos (und deshalb wehrlos) sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff zu begegnen. Gegen einen offen geführten Angriff (und für eine Überrumpelung) kann aber auch sprechen, dass das Tatopfer von den Messerstichen vollständig von hinten – etwa in Nacken, Rücken oder Kopf – getroffen worden ist.
P hat damit die – objektiven wie subjektiven – Voraussetzungen der „Heimtücke“ nicht erfüllt. Dass P andere Mordmerkmale verwirklicht hat (etwa „niedrige Bewegggründe“), ist nicht ersichtlich. P hat sich in Bezug auf die Tötung seiner Ehefrau nicht wegen Mordes nach § 211 StGB strafbar gemacht.
II. Totschlag, § 212 Abs. 1 StGB
P, der rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat, hat sich aber wegen Totschlags strafbar gemacht.
III. Gefährliche Körperverletzung, §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 und Nr. 5 StGB
P könnte hat sich auch wegen gefährlicher Körperverletzung nach den §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB strafbar gemacht, indem er mit dem Messer auf den Körper der E eingestochen hat.
1. Grundtatbestand, § 223 Abs. 1 StGB
P hat eine Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB begangen. Er hat die E durch die mehrfachen Stiche, die blutende Wunden hinterlassen haben, körperlich misshandelt (jede üble und unangemessene Einwirkung auf den Körper des Verletzten, die dessen körperliches Wohlbefinden mehr als bloß unerheblich beeinträchtigt) und an der Gesundheit geschädigt (jedes Hervorrufen oder Steigern eines vom Normalzustand der körperlichen Funktionen des Opfers nachteilig abweichenden Zustandes).
2. Qualifikationen, § 224 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 und Nr. 5 StGB
Ferner hat P die Körperverletzung mittels eines „anderen gefährlichen Werkzeugs“ im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB – dem Messer – begangen und mittels einer „das Leben gefährdenden Behandlung“ (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB). Letztere Tathandlung muss nicht dazu führen, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich in Lebensgefahr gerät; jedoch muss die jeweilige Einwirkung durch den Täter nach den konkreten Umständen generell geeignet sein, das Leben des Opfers zu gefährden. Maßgeblich ist demnach die Schädlichkeit der Einwirkung auf den Körper des Opfers im Einzelfall. P sticht zunächst auf den Rumpfbereich der E ein, danach mindestens zehn weitere Male in den Kopf-, Hals- und Brustbereich. Schließlich würgt P die zu Boden gesunkene E am Hals, woraufhin E schließlich an ihren äußeren und inneren Blutungen verstirbt. Die Tathandlungen des P waren konkret lebensgefährlich.
P hat die Körperverletzung indes nicht mittels eines „hinterlistigen Überfalls“ i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB begangen. Zu den Voraussetzungen führt der BGH aus:
„Hinterlistig ist ein Überfall, wenn der Täter planmäßig in einer auf Verdeckung der wahren Absicht berechneten Weise vorgeht, um dem Gegner die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs zu erschweren und die Vorbereitung auf seine Verteidigung nach Möglichkeit auszuschließen. Es muss also ein Überraschungsangriff beabsichtigt, die wahre Absicht verdeckt und der Überfall gezielt in einer für das Opfer überraschenden Weise durchgeführt werden. Hierfür genügen in der Regel das Entgegentreten mit vorgetäuschter Friedfertigkeit oder ein von Heimlichkeit geprägtes Vorgehen. Das bloße Ausnutzen eines Überraschungsmoments reicht dagegen nicht aus.“ Daran gemessen erweist sich das (Vor-)Verhalten des P gegenüber seiner Ehefrau nicht als „hinterlistig“. Ähnlich wie beim Heimtückemord (s.o.) setzt die „Hinterlist“ die Ausnutzung eines Überraschungsmoments durch planmäßiges Verbergen der Verletzungsabsicht voraus, um dadurch dem Gegner die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs zu erschweren und die Vorbereitung auf seine Verteidigung nach Möglichkeit auszuschließen (vgl. BGH, NStZ-RR 2020, 42, 43). P hat das Messer zwar bewusst und gewollt ergriffen, um auf E einzustechen. Dieser Entschluss kam ihm allerdings spontan und weil er wütend und gekränkt war, sich wegen des ʺEntgleitensʺ seiner Ehe für ʺgescheitertʺ hielt und seinen über Jahre angestauten Aggression nachgab. P ging dagegen nicht planvoll vor, weswegen es sich um die (bloße) Ausnutzung eines Überraschungsangriffs handelte.
3. Zwischenergebnis
P hat sowohl hinsichtlich des Grundtatbestandes (§ 223 Abs. 1 StGB) als auch hinsichtlich der Qualifikation mit Vorsatz gehandelt. Er hat willentlich und wissentlich mehrfach auf E eingestochen und er ging davon aus, dass er die E mit dem Messer empfindlich, billigenderweise auch tödlich verletzt hat.
P hat sich demgemäß wegen gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht.
Hinweis: Der Umstand, dass P hier mindestens 11-mal auf E eingestochen hat, führt nicht dazu, dass er sich auch in mindestens 11 Fällen wegen gefährlicher Körperverletzung nach den §§ 223, 224 Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat. Insoweit ist eine „natürliche Handlungseinheit“ gegeben: es handelt sich um rechtlich gleichartige Tätigkeitsakte, die in einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen, von einem einheitlichen Willen getragen sind, nach der Lebensauffassung als ein einheitliches Geschehen erscheinen und jeweils gegen dieselbe Person – gegen E, die Ehefrau des P – gerichtet sind.
IV. Konkurrenzen
Fraglich ist, in welchem Konkurrenzverhältnis der vollendete Totschlag (§ 212 StGB) und die gefährliche Körperverletzung (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB) stehen. Die Körperverletzungshandlungen bildeten hier ein notwendiges Durchgangsstadium der vorsätzlichen Tötungshandlung und waren von denselben subjektiven Umständen begleitet, weswegen diese Gesetzesverletzung gegenüber dem Tötungsdelikt aus Gründen der Subsidiarität zurücktritt; ihr Unwertgehalt ist in dem der Tötung bereits mitenthalten. Das gilt auch für das Würgen der E am Hals, um ihren Todeseintritt zu beschleunigen.
V. Ergebnis
P hat sich wegen Totschlags nach § 212 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
Hinweis: Der 1. Strafsenat des BGH hat das Urteil des Schwurgerichts – einer Großen Strafkammer des Landgerichts –, das der P mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision (sog. Sachrüge) angegriffen hat und das auf Verurteilung des P wegen Mordes lautete, im Schuldspruch geändert (Totschlag) und im Übrigen an eine andere Kammer das Landgerichts zurückverwiesen, damit – auch aufgrund weiterer Feststellungen – die Strafzumessungsentscheidung getroffen werden kann.
B. Prüfungsrelevanz
Die objektiven und subjektiven Voraussetzungen für die Annahme eines Heimtückemordes sind nach der ständigen Rechtsprechung des BGH geklärt und werden auch im hiesigen Fall wieder bestätigt. Die Probleme liegen daher nicht zwingend im rechtlichen Detail, sondern in der sauberen und umfänglichen Ermittlung des Lebenssachverhalts (Tatgeschehens) und dessen Subsumtion unter § 211 StGB.
Dies verdeutlicht auch eine Entscheidung des 1. Strafsenats des BGH (B. v. 29.06.2022 – 1 StR 127/22): Der (männliche) Täter sieht das spätere (weibliche) Tatopfer – ihm bisher gänzlich unbekannt – gegen Mitternacht auf dem Gehweg zu Fuß laufend in Richtung einer S-Bahn-Haltestelle, während er mit seinem Fahrzeug an ihr vorbeifährt. Er entschließt sich spontan, diese anzugreifen, in seine Gewalt zu bringen und zu töten. Er stellt dazu sein Fahrzeug in einer Parkbucht ab und steigt aus, wobei er ein Stichwerkzeug sowie ein weiteres scharfkantiges Werkzeug mit sich führt. Er überquert die Straße und begibt sich nahezu geradlinig zu dem auf der anderen Straßenseite liegenden, mit Straßenleuchten gut ausgeleuchteten Gehweg, auf dem auch das Tatopfer entlanggeht.
Sodann greift er diese unvermittelt an, indem er sie am rechten Arm festhält und mit dem mitgeführten vierkantigen Stichwerkzeug im Bereich des Oberkörpers bzw. ihres Brustkorbes auf sie einsticht. Währenddessen zieht er sie über die Straße, um sie zu seinem Fahrzeug zu zerren. Die Angegriffene wehrt sich mit Armen und Händen gegen den Angriff, wodurch sie mehrere Stichverletzungen an beiden Armen sowie eine Stichverletzung am Handgelenk erleidet. Dem Angreifer gelingt es trotz ihrer Gegenwehr, weiter auf sie einzustechen; er fügt dem Tatopfer insgesamt 23 Stiche zu. Der BGH hat das Urteil des Landgerichts, mit dem es den Täter wegen (Heimtücke-)Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt hatte, wieder aufgehoben, weil das Landgericht die Feststellungen zu den Voraussetzungen des Mordmerkmals nicht beweiswürdigend belegt hatte:
Bemängelt wurde, dass nicht aufgeklärt worden sei, wie sich der für die Beurteilung des Mordmerkmals der Heimtücke maßgebliche erste Angriff des Täters mit Tötungsvorsatz auf das Opfer zugetragen hat. Zwar sei davon auszugehen, dass das Opfer zum Zeitpunkt des ersten Angriffs auf dem Weg von seiner Arbeitsstelle zur nahegelegenen S- Bahn-Haltestelle nicht mit einem Angriff auf sein Leben rechnete, was eine Arglosigkeit begründen können. Es sei aber völlig offen geblieben, ob es zwischen Täter und Opfer vor dem ersten Angriff zu einem Gespräch gekommen sei oder ob den ersten Stichen durch den Täter ein Streit zwischen beiden vorausgegangen sei, was nach Zeugenaussagen nicht auszuschließen sei. Unklar sei auch geblieben, ob für das Opfer auf Grund der konkreten örtlichen Gegebenheiten eine Möglichkeit bestanden habe, zu fliehen, um Hilfe zu rufen oder sonst auf den Täter einzuwirken. Das Vorbeifahren verschiedener Fahrzeuge im weiteren Verlauf des Tatgeschehens habe gerade gezeigt, dass sich Personen in der Nähe des Tatortes befunden hätten.
Zu würdigen gewesen wäre darüber hinaus, ob sich aus einer Arglosigkeit des Opfers auch eine Wehrlosigkeit ergeben habe. Allein das „schmale Zeitfenster“, innerhalb dessen der Täter die Tat begangen habe, ohne dieses konkret weiter einzugrenzen, genüge zur Begründung einer Wehrlosigkeit des Opfers nicht; die Abwehrverletzungen beim Opfer würden gegen eine Arg- und Wehrlosigkeit sprechen.
Insgesamt also eine sehr lesenswerte Entscheidung in einem äußerst prüfungsrelevanten Bereich! (Beschluss vom 05.04.2022 – 1 StR 81/22)
Du möchtest weiterlesen?
Dieser Beitrag steht exklusiv Kunden von Jura Online zur Verfügung.
Paket auswählen