Analoge Anwendung des § 255 BGB möglich?
Anstatt das Auto herauszugeben, wozu er Zug-um-Zug gegen eine Schadensersatzzahlung verurteilt wurde, verkaufte es der Kläger. Die damalige Beklagte wurde nun zur Klägerin und begehrt nicht mehr das Auto, sondern den Verkaufserlös. Zu Recht?
Worum geht es?
Die Gerichtsurteile der Zivilgerichte zum “Dieselskandal” häufen sich. Auch eine aktuelle Entscheidung des BGH hat den Fall als Grundlage: Ein vom “Dieselskandal” betroffener Autofahrer musste den Skoda nach seinem Sieg vor Gericht eigentlich wieder herausgeben – stattdessen verkaufte er ihn jedoch gewinnbringend weiter. Das Urteil beschäftigt sich daher in erster Linie mit allgemeinen Grundsätzen zu der Vorteilsausgleichung im Schadensersatzprozess. Während die Berufungsinstanz einen Anspruch auf Herausgabe des Ersatzes nach § 285 I BGB bejahte und dafür § 255 BGB entsprechend anwendete, verneinte der BGH nun eine Analogie. Muss der Beklagte den Verkaufserlös von 5.500 Euro an den Autobauer herausgeben?
Vom Kläger zum Beklagten
Seinen Anfang nahm der Fall mit einem Vorprozess im Jahr 2020. Damals erwirkte der damalige Kläger und Käufer eines Skoda Octavia, der mit einem abgasmanipulierten EA 189-Motor ausgestattet war, einen Sieg vor Gericht. Die Schädigerin musste ihm dem Urteil zufolge noch 420 Euro plus Zinsen Schadensersatz zahlen, Zug-um-Zug gegen Herausgabe und Rückübereignung des manipulierten Fahrzeugs. Außerdem befand sie sich nach Feststellungen des Gerichts im Annahmeverzug.
Nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils wurden die 420 Euro plus Zinsen überwiesen. Aber: Der Beklagte gab das Fahrzeug nicht heraus. Stattdessen verkaufte er den Skoda für 5.500 Euro an eine Autohändlerin weiter. Den überwiesenen Geldbetrag der damaligen Beklagten behielt er zudem auch.
Nun wechselten die Seiten: Die Klägerin verlangt nun vor dem AG Kleve die Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs – mit Erfolg. Und auch das LG Kleve gab der Klägerin Recht, die inzwischen ihre Klage aufgrund des Verkaufs dahingehend umgestellt hatte, den vereinnahmten Kaufpreis aus dem Weiterverkauf herauszugeben. Dagegen zog der Beklagte nun mit seiner Revision vor den BGH.
Entscheidung des LG Kleve
Bevor wir uns die Entscheidungsgründe des BGH genau anschauen, ist es hilfreich, sich vorher die Argumentation der Berufungsinstanz anzuschauen. Das LG Kleve argumentierte, dass die Klägerin ursprünglich Herausgabe und Übereignung des Skoda nach analog § 255 BGB (Abtretung der Ersatzansprüche) verlangen könne. Die Norm regelt die Abtretung der Ersatzansprüche.
§ 255 BGB:
Wer für den Verlust einer Sache oder eines Rechts Schadensersatz zu leisten hat, ist zum Ersatz nur gegen Abtretung der Ansprüche verpflichtet, die dem Ersatzberechtigten auf Grund des Eigentums an der Sache oder auf Grund des Rechts gegen Dritte zustehen.
Hier stehe fest, so das LG Kleve, dass der Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 420 Euro nebst den Zinsen Zug-um-Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Skodas gegen die Klägerin gehabt habe. Der Schädigerin stehe daher nach der vollständigen Erfüllung des Schadensersatzanspruch – und den hatte sie gezahlt – ein Anspruch auf Herausgabe des ungleichartigen Vorteils zu, wenn dieser Anspruch auch nicht mit dem rechtskräftigen Urteil tituliert worden sei. Ursprünglich sei zwar nur die Zug-um-Zug-Herausgabe und -Rückübereignung des Skodas tituliert worden, aber § 255 BGB enthalte für diesen Fall eine planwidrige Regelungslücke – so das LG Kleve. Es sprach der Fahrzeugherstellerin daher einen Anspruch nach § 285 I BGB zu, unter der analogen Anwendung des § 255 BGB.
BGH: Keine Vorteilsausgleichung nach Vorprozess möglich
In Karlsruhe wurde diese Rechtsauslegung nun moniert. Es liege weder eine planwidrige Regelungslücke noch eine vergleichbare Interessenlage vor, sodass eine entsprechende Anwendung des § 255 BGB als Voraussetzung des Anspruchs aus § 285 I BGB ausscheide.
Der BGH argumentierte in seiner Entscheidung mit den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung. Diese besagten, so das Karlsruher Gericht, dass diejenigen Vorteile auszugleichen seien, die dem Geschädigten in einem adäquat kausalen Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind – ihr Ausgleich müsse mit dem Zweck des jeweiligen Ersatzanspruchs übereinstimmen. Denn: Der Geschädigte dürfe im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht besser stehen, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Vielmehr solle er „nur“ einen Ausgleich für den Minderwert erhalten. Die Grundsätze der Vorteilsausgleichung würden daher selbst keinen Herausgabe- und Rückübereignungsanspruch des Autos vermitteln. Da das Urteil aber rechtskräftig ist, könne die Schädigerin und hier die Klägerin aufgrund dieser Grundsätze keinen Anspruch auf Herausgabe des Kaufpreises in Höhe von 5.500 Euro herleiten.
Anspruch aus § 812 I 1 Alt. 1 BGB (+), aber….
Allerdings könnte in einem solchen Szenario ein Anspruch aus Bereicherungsrecht entstehen. Denn bis zum Erhalt des im Urteil vorgesehen ungleichartigen Vorteils hat die Schädigerin (und Schuldnerin) mehr geleistet als sie schuldet. Dafür bestehe kein Rechtsgrund, so der BGH. Verweigert der Geschädigte den Ausgleich des ungleichartigen Vorteils, indem er – wie hier – den Skoda nicht herausgibt und übereignet, hat die Schädigerin eine dem Umfang nach über den geschuldeten Schadensersatz hinausgehende Leistung erbracht. Der Geschädigte sei dann rechtsgrundlos bereichert, sodass nach § 812 I 1 Alt. 1 BGB die Herausgabe verlangt werden könne.
Bitter für die Klägerin: Nach der Umstellung ihrer Klage in zweiter Instanz habe sie sich allein auf den Weiterverkauf des Fahrzeugs durch den Beklagten beschränkt. Die Erstattung ihrer in Erfüllung ihrer Schadensersatzpflicht an den Beklagten zuvor erbrachte Zahlung der 420 Euro habe sie zu keinem Zeitpunkt und auch nicht hilfsweise begehrt.
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