OLG Karlsruhe zum Vermummungsverbot

OLG Karlsruhe zum Vermummungsverbot

Versammlungsrecht: Ist das Vermummen zum Schutz vor Gegnern erlaubt?

Bei einer Demonstration dürfen Teilnehmende grundsätzlich nicht vermummt sein. Aber wie sieht es aus, wenn der einzige Grund für die Vermummung die Angst vor Aufnahmen durch politische Gegner ist? Die Gerichte entscheiden hier unterschiedlich.

Worum geht es?

Auch wer sich auf Demonstrationen nur deshalb vermummt, um seine Identität aus Angst vor dem politischen Gegner zu schützen, mache sich wegen Verstoßes gegen das versammlungsrechtliche Vermummungsverbot strafbar. Dies geht aus einer aktuellen Entscheidung des OLG Karlsruhe hervor. Doch nicht nur die Vorinstanz sah das anders. In den vergangenen Jahren haben einige Amts- und Landesgerichte zugunsten derjenigen Demonstrierenden geurteilt, die sich nur deswegen vermummten, um Repressalien durch Gegner vorzubeugen. Rechtlicher Dreh- und Angelpunkt: Der Zweck des § 17a II Nr. 1 VersG.

Angeklagter beruft sich auf Angst vor AfD-Demonstrierende

In dem Strafverfahren, das seinen Anfang mit einem Freispruch vor dem LG Freiburg nahm, ging es um einen 41 Jahre alten Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft warf ihm einen Verstoß gegen das versammlungsrechtliche Vermummungsverbot vor, da dieser bei einer Demonstration sein Gesicht vermummt haben soll. Auf den Vorwurf ließ er sich dahingehend ein, dass er sich „aus Angst vor einer Identifizierung durch die ‚Nazis‘ vermummt“ habe. Er habe befürchtet, von den Teilnehmenden eines Aufzugs der AfD, der in unmittelbarer Nähe an ihm vorbeigezogen sei, fotografiert oder gefilmt zu werden.

Gegen den Freispruch ging die Staatsanwaltschaft in Revision. Sie sah sehr wohl einen Verstoß gegen § 17a II Nr. 1 VersG. In der Norm heißt es auszugsweise:

Es ist auch verboten, an […] Veranstaltungen in einer Aufmachung, die
geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung
der Identität zu verhindern, teilzunehmen […].

Die Strafbarkeit des Verstoßes ergibt sich dann aus der Kombination mit § 27 II Nr. 2 VersG. Wer entgegen § 17a II Nr. 1 VersG handelt, kann mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft werden. Aber greift die Norm auch dann, wenn eine Vermummung ohne eigene Gewaltbestrebungen zum reinen Selbstschutz erfolgt? Hier gehen die Rechtsauffassungen auseinander.

Vermummung als „Aufmachung“

Aber um nachvollziehen zu können, wieso die Gerichte in dieser Sache doch unterschiedlich entscheiden, lohnt sich erstmal ein Blick auf das Grundsätzliche des Vermummungsverbots und wieso es überhaupt unter Strafe steht. Letzteres ist seit 1989 der Fall: Anlass war für den Gesetzgeber, dass gehäuft einige typische Erscheinungsweisen von Gewalt bei Demonstrationen zu finden waren. Gemeint war damit der sogenannte „schwarze Block“ bei Versammlungen, der auch gegen den Willen der Versammlungsleiter gewaltbereit war und so friedliche Demonstrationen zu unfriedlichen wandelte. Und an diese Personen war es für die Sicherheitsbehörden schwer heranzukommen – wegen ihrer Vermummung.

In § 17a II Nr. 1 VersG ist jedoch nicht von einer Vermummung, sondern von einer „Aufmachung“ die Rede. Eine solche ist nach den Gedanken des Gesetzgebers darauf gerichtet, die Feststellung der Identität zu verhindern, wenn aus den Gesamtumständen zu schließen ist, dass der Täter eine solche Absicht verfolgt. Zwei Beispiele dazu: Wer im Sommer bei hohen Temperaturen sein Gesicht in einen Schal hüllt, dürfte im Sinne des § 17a II Nr. 1 VersG vermummt sein. Handelt es sich aber um eine Maske beziehungsweise eine Verkleidung, die ausschließlich der Meinungsäußerung (Art. 5 I 1 Var. 1 GG) dient, dürfte dies nicht erfasst sein. Denn dann mangelt es gerade an der Absicht, die Identität zu verhüllen.

Eine Auffassung: Einschränkung des § 17a II Nr. 1 VersG

Wie es mit der Frage aussieht, ob eine strafbare Vermummung dann anzunehmen ist, wenn sie ausschließlich aus Schutz vor Repressalien von politischen Gegnern angelegt wird, wurde in der Vergangenheit unterschiedlich entschieden. Das LG Hannover etwa entschied im Februar 2009 (Az.: 62 c 69/08), dass es nach dem Sinn und Zweck des Vermummungsverbotes erforderlich sei, dass die Identifizierung durch die Strafverfolgungsbehörden verhindert werden soll. Eine solche Absicht sei nicht gegeben…

…wenn durch die Vermummung allein das Anfertigen von Fotos des
jeweiligen politischen Gegners verhindert werden soll, um späteren
Repressalien zu entgehen
.

Ähnlich entschieden auch andere Amts- und Landgerichte und schränkten damit den Tatbestand des § 17a II Nr. 1 VersG ein.

OLG Karlsruhe: Keine Einschränkung

Das OLG Karlsruhe sieht dies in seiner aktuellen Entscheidung (Az.: 2 Rv 34 Ss 789/21) anders. Auch wer die eigene Identität lediglich vor politischen Gegnern verbergen möchte, weil er von diesen ausgehende Repressalien befürchtet, dürfe bei der Teilnahme an einer Demonstration nicht vermummt sein.

Zur Begründung führte das Karlsruher Gericht an, dass das Vermummungsverbot des Versammlungsrechts den Zweck verfolge, bereits abstrakten Gefährdungen im Rahmen von Versammlungen entgegenzuwirken. Es komme also nicht auf die Identifizierung durch Strafverfolgungsbehörden an. Weiter heißt, dass das Auftreten Vermummter die Bereitschaft zur Gewalt und zur Begehung von Straftaten indizieren und provozieren würde:

Vermummte stellen bei einer Demonstration regelmäßig den Kern der
Gewalttäter […]
.

Es komme daher keine Einschränkung bezüglich des Selbstschutzes in Betracht, wie es einige Amts- und Landgerichte in der Vergangenheit vornahmen. Dafür spreche etwa auch, dass die Versammlungsbehörde über § 17a III 2 VersG in begründeten Fällen eine Befreiung von dem Vermummungsverbot erteilen könne. Dies sei im konkreten Fall aber nicht so gewesen.

Das OLG Karlsruhe wies die Sache an das LG Freiburg zurück.