Eine neue Entscheidung des BGH zum examensrelevanten Mietrecht
Zahlt ein Mieter seine Miete nicht, kommt es in der Regel früher oder später zu einer (außerordentlichen) Kündigung durch den Vermieter. Der BGH hat nun entschieden, dass ein Mieter, der innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung einer Räumungsklage seine Mietrückstände begleicht, damit nur erreicht, dass die außerordentliche Kündigung unwirksam wird. Hat die Vermieterin den Mietvertrag auch hilfsweise ordentlich gekündigt, muss die Wohnung, laut dem für das Mietrecht zuständigen VIII. Zivilsenat, trotzdem geräumt werden.
Worum geht es?
Der Beklagte mietete ab Mitte 2015 von der Klägerin eine in einem Mehrfamilienhaus gelegene Wohnung in Berlin. Die Nettomiete betrug seit Mietbeginn 760 € im Monat zuzüglich monatlicher Vorauszahlungen auf die Betriebskosten in Höhe von 240 €. Zuerst hatte er zwei Mitbewohner, versäumte aber, eine Erlaubnis für die Untervermietung einzuholen.
Nachdem die Mitbewohner ausgezogen waren, zahlte der Beklagte im Zeitraum von Juli 2018 bis April 2019 statt der insgesamt geschuldeten 1.000 € nur jeweils eine Miete in Höhe von 840 € monatlich und erklärte die Minderung mit Mängeln in der Wohnung; im Mai 2019 leistete er gar keine Zahlung. Wegen des aufgelaufenen Mietrückstands in Höhe von 2.600 € erklärte die Vermieterin mit Schreiben vom 7. Mai 2019 die fristlose, hilfsweise die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses.
Nach Zustellung der auf Zahlung, Räumung und Herausgabe gerichteten Klage vom 8. Juni 2019 beglich der Beklagte die rückständige Miete durch zwei Zahlungen im Juni 2019 in Höhe von ingesamt 2.600 € vollständig.
Das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg hat der Zahlungs- und Räumungsklage der Klägerin aufgrund der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses vom 7. Mai 2019 stattgegeben (Entscheidung v. 23.10.2019 - 15 C 83/19). Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten hat das Landgericht Berlin das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen (Entscheidung v. 30.03.2020 - 66 S 293/19). Das LG Berlin war der Meinung, dass die sogenannte Schonfrist aus § 569 III Nr. 2 S. 1 BGB auch für ordentliche Kündigungen gelte. Mit der vom Berufungsgericht teilweise zugelassenen Revision begehrte die Klägerin die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils - mit Erfolg.
In diesem Fall geht es insbesondere um die folgenden Lerninhalte:
- Anspruch des Vermieters auf Mietzahlung, § 535 II BGB
- Minderung, § 536 BGB
- Kündigung, §§ 542 ff. BGB
- Herausgabeanspruch, § 985 BGB
- Auslegung von Gesetzen
§ 569 III Nr. 2 S. 1 BGB nur bei fristlosen Kündigungen
Aber wie sieht es hier eigentlich mit der Schonfrist aus? Eine außerordentliche fristlose Kündigung nach § 543 I, II 1 Nr. 3 BGB ist gemäß § 543 II 2 BGB ausgeschlossen, wenn der Vermieter vorher befriedigt wird. Sie wird unwirksam, wenn sich der Mieter von seiner Schuld durch Aufrechnung befreien konnte und unverzüglich nach der Kündigung die Aufrechnung erklärt, § 543 II 3 BGB.
Im Fall der außerordentlichen fristlosen Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses wegen Zahlungsverzugs (§ 543 II 1 Nr. 3 BGB) gilt nach § 569 III Nr. 2 Satz 1 BGB “ergänzend”, dass diese auch dann unwirksam wird, wenn der Vermieter spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs hinsichtlich der fälligen Miete und der fälligen Entschädigung nach § 546a I BGB befriedigt wird oder sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflichtet, sogenannte Schonfristzahlung.
Diese Schonfrist zum Schutz eines Mieters gelte laut BGH nur für außerordentliche Kündigungen. Spricht ein Vermieter hilfsweise eine ordentliche Kündigung aus, gewinne der Mieter durch die Nachholung nur ein wenig Zeit, bis er nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist die Wohnung räumen muss, so die Richter des VIII. Zivilsenats. Denn die Schonfrist gelte nicht für reguläre Kündigungen - diese bleiben vieklmehr wirksam.
Rüffel für LG Berlin
Der für das Mietrecht zuständige Senat erteilte der Ansicht des LG Berlin eine harte Abfuhr und sah keinerlei Anlass, von seiner stetigen Rechtsprechung in Bezug auf die Schonfrist abzuweichen. In seinem Leitsatz rügten die Richter sogar ausdrücklich die Entscheidung des LG Berlin. Dort heißt es:
“b) Diese (beschränkte) Wirkung des Nachholrechts des Mieters entspricht dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers, so dass der an Gesetz und Recht gebundene Richter (Art. 20 Abs. 3 GG) diese Entscheidung nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen darf, die so im Gesetzgebungsverfahren (bisher) nicht erreichbar war (im Anschluss an BVerfGE 69, 315, 372; 82, 6, 12 f.).”
Der BGH moniert zudem das methodische Vorgehen des LG Berlin. In der Urteilsbegründung heißt es weiter:
Von dieser ständigen und gefestigten Rechtsprechung abzuweichen, bieten die Ausführungen des Berufungsgerichts keine Veranlassung.
a) Bereits das methodische Vorgehen, mit welchem das Berufungsgericht seine Auffassung der unmittelbaren Anwendung der Regelung zur Schonfristzahlung auf die ordentliche Kündigung zu begründen versucht, missachtet die anerkannten Grundsätze der Gesetzesauslegung.
aa) Das Ziel jeder Auslegung ist die Feststellung des Inhalts einer Norm, wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (BVerfGE 35, 263, 279). Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Unter ihnen hat keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen (vgl. BVerfGE 11, 126, 130; 105, 135, 157; 133, 168, 205). Ihrer hat sich der Richter somit gleichzeitig und nebeneinander zu bedienen (vgl. BVerfGE 11, 126, 130; 35, 263, 279; BGH, Urteil vom 30. Juni 1966 - KZR 5/65, BGHZ 46, 74, 76; vgl. auch Höpfner, Die systemkon- forme Auslegung, 2008, S. 156).
Den Ausgangspunkt jeder Gesetzesauslegung bildet grundsätzlich der Wortlaut einer Norm (vgl. BVerfGE 122, 248, 258, 283; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 11. Aufl., Rn. 742; Staudinger/Honsell, BGB, Neubearb. 2018, Einleitung zum Bürgerlichen Gesetzbuch Rn. 153; Höpfner, aaO S. 144, 147). Denn das nach dem Wortlaut sprachlich Mögliche, also der mögliche Wortsinn, steckt grundsätzlich die Grenzen ab, innerhalb derer ein vom Gesetz verwendeter Begriff überhaupt ausgelegt werden kann (vgl. BGH, Urteile vom 30. Juni 1966 - KZR 5/65, aaO; vom 12. März 2013 - XI ZR 227/12, BGHZ 197, 21 Rn. 41).
Das LG Berlin habe den Ausgangspunkt des zur Auslegung bildenden Wortlauts weder hinreichend erfasst noch mit dem ihm gebotenen Gewicht bei der Prüfung von Inhalt und Reichweite der Norm berücksichtigt:
b) Das Berufungsgericht hat den - den Ausgangspunkt der Auslegung bildenden Wortlaut - weder hinreichend erfasst noch - wie ausgeführt - mit dem ihm gebotenen (eigenständigen) Gewicht bei der Prüfung von Inhalt und Reichweite der Norm des § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB berücksichtigt. Anders als das Berufungsgericht meint, erfasst der Wortlaut der Schonfristregelung ausschließlich die fristlose Kündigung.
aa) Der im Text des § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB ohne Zusatz verwandte Begriff der “Kündigung” ist nicht als Oberbegriff zu verstehen, der - so das Berufungsgericht - jede Kündigung erfasse, die aus dem (ausgeglichenen) Mietrückstand abgeleitet werde.
Vielmehr ist mit der “Kündigung” nach dem Sinnzusammenhang, in dem dieser Begriff verwendet wird, nur die fristlose Kündigung gemeint. Dies ergibt sich neben der eindeutigen amtlichen Überschrift der Norm (“Außerordentliche fristlose Kündigung aus wichtigem Grund”) aus deren Aufbau und dem sprachlichen Kontext. Die gesamte Norm des § 569 BGB betrifft ausschließlich die fristlose Kündigung. Deren Absätze 1 bis 2a konkretisieren für den Bereich der Wohnraummiete den wichtigen Grund aus § 543 Abs. 1 BGB. Damit einhergehend legt § 569 Abs. 3 die Voraussetzungen der auf einen Zahlungsverzug gestützten fristlosen Kündigung aus § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB “ergänzend” fest. Dabei spricht § 569 Abs. 3 Nr. 3 BGB, der die Zahlungsverzugskündigung nach einer Mieterhöhung (§§ 558 bis 560 BGB) regelt, ausdrücklich von “der außerordentlichen fristlosen Kündigung”.
Kritik hagelte es also genug in dem Urteil des BGH. Es hat schon fast den Anschein, als würden die Richter des BGH dem LG Berlin eine Lehrstunde zur Systematik und Gesetzesauslegung geben wollen. Wie Du in der Klausur mit der Auslegung von Gesetzen am besten umgehst, haben wir hier für Dich klausurorientiert aufbereitet: Auslegung von Gesetzen.
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