Mit einem wegweisenden Urteil hat sich der BGH im Zinsstreit um Sparverträge auf die Seite der Verbraucher:innen gestellt
Der XI. Zivilsenat, welcher unter anderem für das Bank- und Kapitalmarktrecht zuständig ist, musste sich mit einem Musterfeststellungsurteil des OLG Dresden vom 22. April 2020 auseinandersetzen. Es ging darum, ob Zinsänderungsklauseln in sogenannten Prämiensparverträgen wirksam sind. Musterkläger in diesem Verfahren war ein Verbraucherschutzverband; bei der Musterbeklagten handelt es sich um eine Sparkasse.
Worum geht es?
Viele Prämiensparverträge, die in den 1990er und 2000er Jahren abgeschlossen wurden, enthalten Klauseln, die die Kreditinstitute berechtigen, den Zinssatz weitgehend einseitig und frei anzupassen. Im streitgegenständlichen Musterfeststellungsverfahren schloss die beklagte Sparkasse seit dem Jahr 1994 mit Verbrauchern diese sogenannten Prämiensparverträge ab, die eine variable Verzinsung der Spareinlage und ab dem dritten Sparjahr eine der Höhe nach - bis zu 50 % der jährlichen Spareinlage ab dem 15. Sparjahr - gestaffelte verzinsliche Prämie vorsehen. In den Vertragsformularen heißt es u.a.:
“Die Spareinlage wird variabel, z.Zt. mit .. % p.a. verzinst.”
In den in die Sparverträge einbezogenen “Bedingungen für den Sparverkehr” heißt es weiter:
“Soweit nichts anderes vereinbart ist, vergütet die Sparkasse dem Kunden den von ihr jeweils durch Aushang im Kassenraum bekannt gegebenen Zinssatz. Für bestehende Spareinlagen tritt eine Änderung des Zinssatzes, unabhängig von einer Kündigungsfrist, mit der Änderung des Aushangs in Kraft, sofern nichts anderes vereinbart ist.”
Der Musterkläger hält die Regelungen zur Änderung des variablen Zinssatzes für unwirksam und die während der Laufzeit der Sparverträge von der Musterbeklagten vorgenommene Verzinsung der Spareinlagen für zu niedrig. Es werden vom ihm insgesamt sieben Feststellungsziele verfolgt. Unter anderem macht der Musterkläger die Unwirksamkeit der Zinsänderungsklausel, die Bestimmung eines Referenzzinssatzes und eines monatlichen Zinsanpassungsintervalls sowie die Verpflichtung der Musterbeklagten geltend, die Zinsanpassungen nach der Verhältnismethode vorzunehmen.
Das Oberlandesgericht hat der Musterfeststellungsklage teilweise stattgegeben. Der Musterkläger verfolgt seine Feststellungsziele mit der Revision weiter, soweit das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen hat. Die Musterbeklagte verfolgt mit der Revision ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.
Verstoß gegen § 308 Nr. 4 BGB
Die Richter:innen des XI. Zivilsenats des BGH haben entschieden, dass die angegriffene Klausel wegen eines Verstoßes gegen § 308 Nr. 4 BGB unwirksam ist. In § 308 BGB sind die sogenannten Klauselverbote mit Wertungsmöglichkeit normiert. “Mit Wertungsmöglichkeit” bedeutet, dass ein Verstoß gegen § 308 BGB nicht uneingeschränkt zur Unwirksamkeit der Klausel führt - anders als bei einem Verstoß gegen § 309 BGB, wo die Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit geregelt sind. § 308 BGB enthält unbestimmte Rechtsbegriffe und ermöglicht so eine wertende Beurteilung der Vertragsbedingungen.
In § 308 Nr. 4 BGB heißt es:
“In Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist insbesondere unwirksam die Vereinbarung eines Rechts des Verwenders, die versprochene Leistung zu ändern oder von ihr abzuweichen, wenn nicht die Vereinbarung der Änderung oder Abweichung unter Berücksichtigung der Interessen des Verwenders für den anderen Vertragsteil zumutbar ist.”
Im Falle der Prämiensparverträge sei die Verzinsung zu variabel gehalten. Die in den Prämiensparverträgen insoweit entstandene Regelungslücke sei durch ergänzende Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB zu schließen. Begründet wird dies damit, dass die Klausel nicht das erforderliche Mindestmaß an Kalkulierbarkeit möglicher Zinsänderungen aufweist.
Die Ansprüche der Verbraucher auf weitere Zinsbeträge aus den Sparverträgen seien frühestens ab dem Zeitpunkt der Vertragsbeendigung fällig.
OLG Dresden muss Zinssatz festlegen
Zudem sei ein Zinssatz der Bundesbank für langfristige Spareinlagen als Referenz für die Verzinsung der Spareinlagen zugrunde zu legen. Dies folge aus dem Konzept der auf langfristiges Sparen angelegten Sparverträge. Daher müsse das OLG Dresden nun Feststellungen zu einem geeigneten Referenzzinssatz treffen. Diese seien nach der gebotenen ergänzenden Vertragsauslegung in einem monatlichen Rhythmus vorzunehmen. Außerdem seien Negativzinsen unter Beibehaltung des anfänglichen relativen Zinsabstands ausgeschlossen.
Das OLG Dresden war in seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass es einen Referenzzinssatz nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung bestimmen könne, weil im Verfahren über die Musterfeststellungsklage nicht auszuschließen sei, dass einzelne Sparverträge individuelle Vereinbarungen enthielten. Dem tritt der BGH entgegen: Solche Individualvereinbarungen seien nur in den Klageverfahren zwischen den Verbrauchern und der Musterbeklagten zu berücksichtigen und würden die Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils nach § 613 I ZPO, nicht aber die Vornahme einer ergänzenden Vertragsauslegung im Musterfeststellungsverfahren ausschließen.
Verbraucherschutzverband macht Druck
Das geschilderte Problem ist bereits seit 2004 bekannt. Der BGH entschied schon damals, dass die getroffene Regelung für Kund:innen bei langfristigen Sparverträgen unzumutbar sei. Viele Betroffene haben bis heute trotzdem keine Nachzahlung erhalten. Da viele Sparverträge mittlerweile ausgelaufen sind oder gekündigt wurden, drohen die Ansprüche nun zu verjähren.
Da die Entscheidung des BGH unmittelbar nur für die ca. 1.300 Betroffenen, die sich der Musterfeststellungsklage gegen die Stadt- und Kreissparkasse Leipzig angeschlossen haben gilt, müssen diejenigen, die an keiner Musterklage beteiligt waren, selbst bei der Bank Druck machen oder die Ansprüche gegebenenfalls vor Gericht durchsetzen.
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