BGH zu den Grenzen der Nachlieferung eines gekauften Fahrzeugs nach einem Modellwechsel

BGH zu den Grenzen der Nachlieferung eines gekauften Fahrzeugs nach einem Modellwechsel

Der Fall ist wie gemacht für eine Klausur

Die technische Komplexität der Diesel-Fälle und die ungewohnten rechtlichen Grundlagen aus dem Europarecht sowie die deutschen Vorschriften über die Zulassung von Kraftfahrzeugen dürfen nicht den Blick dafür verstellen, dass der BGH ganz grundlegende Fragen zum Nacherfüllungsanspruch des Käufers klärt, die auch für „gewöhnlichere“ Sachmängel Relevanz haben.

A. Sachverhalt

Der Kläger erwarb im Jahr 2009 von der Beklagten einen fabrikneuen VW Tiguan zu einem Preis von 27.618,64 €. Dieses Fahrzeug ist mit einem 2,0-Liter-Dieselmotor des Typs EA 189 (Abgasnorm Euro 5) der Volkswagen AG ausgestattet. Die Motorsteuerungssoftware erkennt, ob sich das Fahrzeug im Normalbetrieb oder auf einem Prüfstand befindet. Im Prüfstandlauf verringert sie den Ausstoß an Stickoxiden (NOx-Werte), indem sie in den “Modus 1” schaltet, bei dem eine höhere Abgasrückführung als bei dem im normalen Fahrbetrieb aktivierten “Modus 0” stattfindet. Das Kraftfahrtbundesamt beanstandete die Software als unzulässige Abschalteinrichtung.

Nachdem die Verwendung entsprechender Vorrichtungen bei Dieselmotoren des Typs EA 189 im Rahmen des sogenannten Dieselskandals öffentlich bekannt geworden war, rügte der Kläger die Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs und forderte die Erklärung eines Verjährungsverzichts. Die Beklagte wies mit Schreiben vom 4. Oktober 2016 auf ein vom Fahrzeughersteller entwickeltes, vom Kraftfahrtbundesamt zwischenzeitlich freigegebenes Software-Update hin und verzichtete bis zum 31. Dezember 2017 auf die Erhebung der Verjährungseinrede im Hinblick auf etwaige Ansprüche, die im Zusammenhang mit der in Fahrzeugen mit dem Motortyp EA 189 eingebauten Software bestünden, auch soweit diese bereits verjährt seien.

Mit Schreiben vom 7. März 2017 lehnte der Kläger eine Nachbesserung durch das Aufspielen eines Software-Updates ab und verlangte stattdessen unter Fristsetzung bis zum 27. März 2017 die Nachlieferung eines fabrikneuen typengleichen Ersatzfahrzeugs. Dem kam die Beklagte nicht nach.

Das vom Kläger im Jahr 2009 erworbene Fahrzeugmodell wird seit dem Jahr 2013 nicht mehr hergestellt. Das Nachfolgemodell VW Tiguan II unterscheidet sich vor allem in Bezug auf Baureihe, Typ, Karosserie, Motortyp (EA 288) und Schadstoffklasse (Euro 6) von der vorherigen Fahrzeuggeneration.

Mit seiner Klage hat der Kläger vor allem die Nachlieferung eines VW Tiguan II aus der aktuellen Serienproduktion, Zug um Zug gegen Rückgabe des mangelhaften Fahrzeugs, begehrt und hilfsweise die Rückabwicklung des Kaufvertrags.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Beklagte antragsgemäß zur Nachlieferung verurteilt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

B. Überblick

In den sog. Diesel-Fällen stand zuletzt die Haftung der Hersteller nach § 826 BGB im Mittelpunkt. Im vorliegenden Fall geht es dagegen um das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht des Käufers eines Diesel-Fahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen ist.

Zu der entscheidenden Frage, ob der Käufer im Rahmen des Nacherfüllungsanspruchs nach § 439 Abs. 1 BGB auch die Lieferung eines Nachfolgemodells verlangen kann, wenn das von ihm gekaufte Modell nicht mehr hergestellt wird, hatte sich der u.a. für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des BGH bereits in einem umfangreichen Hinweisbeschluss vom 8. Januar 2019 geäußert (VIII 225/17). Mit der vorliegenden Entscheidung stellt er nun die maßgeblichen Grundsätze auf das Fundament eines Revisionsurteils.

Die Grundlagen sollten bekannt sein: 

I. Nacherfüllung

Der Verkäufer ist aus dem Kaufvertrag verpflichtet, dem Käufer die Kaufsache frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen (§ 434 Abs. 1 Satz 2 BGB). Tut er das nicht, kann der Käufer Nacherfüllung verlangen (§ 437 Nr. 1 BGB). Dabei hat der Käufer gemäß § 439 Abs. 1 BGB die Wahl zwischen der Lieferung einer mangelfreien Sache und der Beseitigung des Mangels. Der Verkäufer kann die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung verweigern, wenn sie unmöglich (§ 275 Abs. 1 BGB) oder nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist (§ 439 Abs. 4 BGB). Beim Verbrauchsgüterkauf gilt das allerdings nicht, wenn auch die andere Art der Nacherfüllung unmöglich ist oder verweigert wird (§ 475 Abs. 4 Satz 1 BGB).

Mit diesem Nacherfüllungsanspruch soll eine nachträgliche Erfüllung der Verkäuferpflichten aus § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB durchgesetzt werden Der Käufer soll das erhalten, was er vertraglich zu beanspruchen hat. Dem Verkäufer soll mit dem Recht zur zweiten Andienung eine “letzte Chance” eingeräumt werden, seine Pflicht aus § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB durch Beseitigung des Mangels oder Lieferung einer mangelfreien Sache - wenn auch erst im zweiten Anlauf - noch zu erfüllen, um den mit einer Rückabwicklung des Vertrags regelmäßig verbundenen wirtschaftlichen Nachteil abzuwenden.

Im Zuge der Nachlieferung hat der Käufer die mangelhafte Sache an den Verkäufer herauszugeben und Nutzungsersatz zu leisten (§ 439 Abs. 5 iVm § 346 Abs. Satz 1, 348 BGB). Beim Verbrauchsgüterkauf besteht die Pflicht zum Nutzungsersatz allerdings nicht (§ 475 Abs. 3 Satz 1 BGB).

II. Sachmangel

Eine gekaufte Sache ist mangelhaft, wenn bei Gefahrübergang ihre tatsächliche Beschaffenheit (Ist-Beschaffenheit) von der geschuldeten Beschaffenheit (Soll-Beschaffenheit) zu Lasten des Käufers abweicht. Welche Beschaffenheit die Sache nach dem Kaufvertrag aufweisen sollte, richtet sich vor allem nach § 434 Abs. 1 BGB. Danach kommt es grundsätzlich auf diejenige Beschaffenheit an, welche die Parteien vereinbart haben (Satz 1). Fehlt es an einer solchen Beschaffenheitsvereinbarung, ist die Sache mangelfrei, wenn sie sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet, ansonsten dann, wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann (Satz 2).

Der Gefahrübergang tritt grundsätzlich mit der Übergabe der Sache an den Käufer ein (§ 446 Satz 1 BGB).

C. Entscheidung

Der VIII. Zivilsenat hat der Revision der Beklagten zwar nur teilweise, aber doch im entscheidenden Punkt stattgegeben.

I. Mangelhaftigkeit bei Gefahrübergang

Zunächst stellt der BGH fest, dass das gekaufte Diesel-Fahrzeug bei Übergabe an den Kläger mangelhaft gewesen sei. Die vorhandene Prüfstanderkennung stelle eine unzulässige Abschalteinrichtung dar, durch die das Fahrzeug sich nicht für die gewöhnliche Verwendung eigne und nicht eine Beschaffenheit aufweise, die bei Sachen der gleichen Art üblich sei und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten könne.

Ein Kraftfahrzeug eigne sich für seine gewöhnliche Verwendung grundsätzlich nur dann, wenn es eine Beschaffenheit aufweist, die weder seine (weitere) Zulassung zum Straßenverkehr hindert noch ansonsten seine Gebrauchsfähigkeit aufhebt oder beeinträchtigt.

Bei der Prüfstanderkennung – aufgrund der entsprechenden Programmierung verringert sich der Ausstoß an Stickoxiden nur dann, wenn sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befindet – handle es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung. Die maßgebliche Rechtsgrundlage ist dabei Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der „Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge“. Die Details müssen sicher nicht bekannt sein und können bei Interesse in den Randnummern 26 ff. der Entscheidung nachgelesen werden.

Infolge dieser unzulässigen Abschalteinrichtung sei bereits zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs der ungestörte Betrieb des Fahrzeugs des Klägers im öffentlichen Straßenverkehr nicht gewährleistet gewesen. Damit eigne sich das Fahrzeug nicht für die gewöhnliche Verwendung im Straßenverkehr.

Zur Begründung verweist der BGH auf die latent drohende Gefahr einer Betriebsuntersagung. Einschlägig ist hierbei § 5 der Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV). Danach kann die zuständige Zulassungsbehörde in Fällen, in denen sich ein Fahrzeug als nicht vorschriftsmäßig nach der Fahrzeug-Zulassungsverordnung erweist, dem Eigentümer oder Halter eine angemessene Frist zur Beseitigung der Mängel setzen oder den Betrieb des Fahrzeugs auf öffentlichen Straßen beschränken oder untersagen. Der BGH nimmt Bezug auf die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung, wonach Fahrzeuge, die mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen sind, auch dann “nicht vorschriftsmäßig” im Sinne von § 5 Abs. 1 FZV seien, wenn der Halter einer Aufforderung zur Entfernung der Abschalteinrichtung mittels eines von der zuständigen Typgenehmigungsbehörde zugelassenen Software-Updates nicht Folge leistet, da ein solches Fahrzeug entgegen den in § 3 Abs. 1 Satz 2 FZV normierten Zulassungsvoraussetzungen keinem genehmigten Typ (mehr) entspreche.

Nach Auffassung des BGH kommt es dabei nicht darauf an, ob die Zulassungsbehörde im konkreten Fall bereits eine Betriebsuntersagung angedroht hat. Die den Käufer an der gewöhnlichen Verwendung hindernde Beschaffenheit liege nicht erst in der behördlich verfügten Untersagung des Betriebs, sondern bereits in der durch die unzulässige Abschalteinrichtung hervorgerufenen Möglichkeit eines entsprechenden behördlichen Eingreifens. Das gelte jedenfalls so lange, wie der Käufer das von der Volkswagen AG zur Verfügung gestellte Software-Update, mit dem die Prüfstanderkennung beseitigt werden soll, nicht hat installieren lassen, wie es vorliegend der Fall ist.

Schaue Dir hier die (prüfungs-) relevanten Lerninhalte zu diesem Fall an:

II. Nachlieferungsanspruch

Der VIII. Zivilsenat bejaht zwar die grundsätzliche Möglichkeit des Fahrzeugkäufers, im Rahmen der Nacherfüllung die Lieferung eines Nachfolgemodells zu verlangen. Er hat jedoch entschieden, dass der Kläger einen solchen Anspruch nicht habe.

Der Anspruch auf Nacherfüllung durch Lieferung einer mangelfreien Sache sei nicht auf die Ersatzbeschaffung einer mangelfreien, im Übrigen aber identischen Sache beschränkt, sondern bestimme sich vielmehr nach der vom Verkäufer im jeweiligen Einzelfall übernommenen Beschaffungspflicht. Diese könne über die ursprüngliche Leistungsverpflichtung des Verkäufers hinausgehen und sich auch auf eine vom Kaufgegenstand abweichende Sache - wie etwa ein zwischenzeitlich auf den Markt getretenes Nachfolgemodell des Kaufgegenstands - erstrecken, die nach dem Parteiwillen als gleichwertig und gleichartig anzusehen ist.

Auf die Unterscheidung zwischen Stückkauf und Gattungskauf komme es dagegen von vornherein nicht (mehr) an, da der Gesetzgeber diese mit der Schuldrechtsmodernisierung ausdrücklich als verzichtbar angesehen habe.

Die Möglichkeit einer Ersatzbeschaffung bei Unmöglichkeit der Lieferung einer dem Kaufgegenstand vollständig entsprechenden (mangelfreien) Sache hänge im jeweiligen Einzelfall entscheidend davon ab, ob und wodurch nach dem durch interessengerechte Auslegung zu ermittelnden Willen der Parteien (§§ 133, 157 BGB) bei Vertragsschluss eine Nachlieferung in Betracht kommen sollte. Auf den Parteiwillen komme es deshalb maßgeblich an, weil die Vorschrift des § 439 Abs. 1 BGB selbst keine Regelung zu der Frage treffe, welche Ersatzsache als austauschbar, also als gleichwertig und gleichartig, mit dem Kaufgegenstand zu bewerten ist. 

Inhalt und Reichweite dieser mit Vertragsabschluss vom Verkäufer für den Fall der Mangelhaftigkeit der Kaufsache übernommenen Beschaffungspflicht könnten je nach Parteiwillen Abweichungen gegenüber dem ursprünglichen Erfüllungsanspruch aufweisen und damit insbesondere für den Verkäufer auch über dessen ursprüngliche Leistungsverpflichtung hinausgehen sowie zu einer zusätzlichen wirtschaftlichen Belastung führen. Es gehe bei der Nacherfüllung nicht allein darum, den noch ausstehenden “Rest” (Mangelfreiheit) der ursprünglich geschuldeten Leistung nachträglich zu erbringen. Vielmehr solle der durch die Lieferung einer mangelhaften Sache geschaffene Zustand durch Nachbesserung oder Ersatzlieferung beseitigt und im zweiten Anlauf eine vertragsgemäße Leistung erbracht werden. Die Pflichten des Verkäufers würden damit nicht mehr allein durch den im Vertrag vereinbarten Kaufgegenstand festgelegt, sondern in Ansehung der Pflichtverletzung des Verkäufers modifiziert und ergänzt.

Der Schutz des Verkäufers vor unverhältnismäßigen Kosten der Nachlieferung werde grundsätzlich bereits durch die Regelung in § 439 Abs. 4 BGB, die kaufrechtliche Verjährungsfrist von zwei Jahren (§ 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB) und die Regressmöglichkeiten nach §§ 445a, 478 BGB sichergestellt.

Im Rahmen der gebotenen nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung der zum Kaufvertragsabschluss führenden Willenserklärungen müsse allerdings im Einzelfall sorgfältig und nicht nur schematisch geprüft werden, ob die Parteien die Ersatzlieferung eines Nachfolgemodells als austauschbar mit dem ursprünglich gelieferten Kaufgegenstand angesehen haben. Hierbei könnten, je nach Sachverhalt, verschiedene Gesichtspunkte ausschlaggebende Bedeutung gewinnen.

  • Insbesondere könne die den Verkäufer im Rahmen eines Verbrauchsgüterkaufs treffende Beschaffungspflicht in dem Fall, dass lediglich ein Nachfolgemodell der erworbenen Kaufsache lieferbar ist, von vornherein nicht zeitlich unbegrenzt gelten. Denn der Käufer eines Verbrauchsguts habe für die gelieferte mangelhafte Sache, die durch Nutzung fortlaufend an Wert verliert, eine Nutzungsentschädigung nicht zu zahlen (§§ 474 Abs. 1 Satz 1, 475 Abs. 3 Satz 1 BGB). Bereits aus diesem Grund sei bei einer nach beiden Seiten interessengerechten Auslegung der Willenserklärungen der Parteien eines Verbrauchsgüterkaufs - vor allem beim Kauf von Fahrzeugen, die bereits nach kurzer Zeit einen deutlichen Wertverlust erleiden - eine Austauschbarkeit von Kaufgegenstand und Ersatzsache grundsätzlich nur dann anzunehmen, wenn der Verbraucher sein Nachlieferungsbegehren innerhalb eines an die Länge der regelmäßigen kaufrechtlichen Verjährungsfrist von zwei Jahren (§ 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB) angelehnten Zeitraums - beginnend ab dem für die Willensbildung maßgeblichen Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses - geltend mache.

Das führe zugleich dazu, dass sich eine mögliche Beschaffungspflicht des Verkäufers allein auf das Nachfolgemodell beschränke, das zu dem Zeitpunkt hergestellt wird, zu dem das Nachlieferungsverlangen erstmals innerhalb von zwei Jahren ab Vertragsschluss gestellt worden ist. Auf diese Weise werde sichergestellt, dass im Fall einer sich etwa anschließenden gerichtlichen Geltendmachung des Nachlieferungsanspruchs bei langer Prozessdauer nicht auch weitere Folgemodelle erfasst sind. Andernfalls könnte der Verkäufer - was im Rahmen einer beiderseits interessengerechten Auslegung ebenfalls zu berücksichtigen sei - nicht kalkulierbar prüfen, ob er das zeitgerecht gestellte Nachlieferungsbegehren als berechtigt anerkennt und damit das ausgelieferte Fahrzeug ohne noch größeren Wertverlust zurückerlangen kann.

  • Weiterhin könne im Rahmen der nach beiden Seiten interessengerechten Auslegung der zum Vertragsschluss führenden Willenserklärungen bei einem erheblichen Mehrwert der Ersatzsache Anlass bestehen zu prüfen, ob die Parteien bei Vertragsschluss die Ersatzlieferung eines Nachfolgemodells (insbesondere bei Fahrzeugen) übereinstimmend nur gegen eine vom Käufer von sich aus anzubietende Zuzahlung als austauschbar mit dem ursprünglich gelieferten Kaufgegenstand angesehen haben. Falls die vom Käufer angebotene Zuzahlung aus Sicht des Tatrichters nach dessen freiem Schätzungsermessen nicht angemessen sein sollte, um einem solchen Wertunterschied Rechnung zu tragen, entfalle nach dem interessengerecht auszulegenden Parteiwillen regelmäßig eine Beschaffungspflicht des Verkäufers (§ 439 Abs. 4 BGB).

 

Der BGH weist jedoch darauf hin, dass diese Möglichkeit beim Verbrauchsgüterkauf dann nicht bestehe, wenn eine Nachbesserung nicht in Betracht komme (§ 475 Abs. 4 Satz 1 BGB). Schon deshalb dürfe sich die Prüfung der Übernahme einer Beschaffungspflicht des Verkäufers nicht auf die Wertunterschiede zwischen dem verkauften und dem Nachfolgemodell beschränken.

Es sei nicht davon auszugehen, dass die Parteien eines Kaufvertrags über ein Neufahrzeug einer Modellgeneration ein Fahrzeug aus der nächsten Baureihe aufgrund zahlreicher Unterschiede zwischen den Modellen grundsätzlich nicht für erfüllungstauglich halten würden. Selbst wenn sich Nachfolgemodelle von ihren Vorgängern üblicherweise aufgrund von Ausstattungsmerkmalen und ihrer Marktbewertung deutlich unterscheiden sollten, wäre dies allein nicht ausschlaggebend, weil beim Kauf eines Neufahrzeugs mit der Produktion und dem Markteintritt eines Nachfolgemodells typischerweise zu rechnen sei. Den Parteien, namentlich dem Fahrzeughändler, sei bei Abschluss des Kaufvertrags in der Regel bewusst, dass der Fahrzeughersteller nach gewisser Zeit das bisherige Modell nicht mehr in der im Kaufvertrag beschriebenen Form herstellt. Am Markt trete das Nachfolgemodell eines Neufahrzeugs regelmäßig für beide Seiten erkennbar an die Stelle des nicht mehr aktuellen Vorgängermodells.

Allein der Umstand, dass ein Fahrzeug über bestimmte Eigenschaften verfügt, begründe auch keine tragfähigen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer (konkludenten) Beschaffenheitsvereinbarung auf die Leistungsmerkmale und Eigenschaften des verkauften Modells.

Da zwischen dem Kaufvertrag im Jahr 2009 und dem erstmaligen Nachlieferungsbegehren im Jahr 2017 deutlich mehr als zwei Jahren liegen, hat der BGH den Nachlieferungsanspruch des Klägers verneint. Aus dem 2016 erklärten Verjährungsverzicht der Beklagten folge nichts anderes, denn der maßgebliche Zeitpunkt für die interessengerechte Auslegung des Parteiwillens sei der Vertragsschluss.

III. Rückabwicklung

Ob der hilfsweise vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, begründet ist, konnte der BGH nicht abschließend beurteilen und hat die Sache – nur insoweit – an das Berufungsgericht zurückgewiesen. Der Kläger habe der Beklagten keine Nacherfüllungsfrist gesetzt. Ob diese wegen Unmöglichkeit der Nacherfüllung entbehrlich gewesen sei (§ 326 Abs. 5 BGB), hänge jedoch nicht nur von der – nunmehr feststehenden – Unmöglichkeit der Lieferung eines Neufahrzeugs ab, sondern auch von der Unmöglichkeit der Nachbesserung. Insoweit müsse das Berufungsgericht nach der Zurückverweisung insbesondere Feststellungen dazu treffen, ob sich die unzulässige Abschalteinrichtung mit dem Aufspielen des Software-Updates beseitigen lasse. Entgegen der Auffassung des Klägers sei die Nachbesserung nicht allein deshalb unzumutbar iSv § 440 Satz 1 Alt. 3 BGB, weil es aufgrund der durch die Volkswagen AG beim Inverkehrbringen des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs begangenen arglistigen Täuschung zu einer nachhaltigen Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen den Parteien gekommen sei. Weder müsse sich die Beklagte als Vertragshändlerin diese Täuschung zurechnen lassen noch habe der Kläger behauptet, dass sie die Täuschung gekannt habe. Unabhängig davon habe der Kläger durch sein bis zuletzt verfolgtes Nachlieferungsbegehren gezeigt, dass er das Vertrauen in die Volkswagen AG gerade nicht verloren habe.

D. Prüfungsrelevanz

Wieder ein Urteil wie aus einem Lehrbuch für Prüfungsämter. Die technische Komplexität der Diesel-Fälle und die ungewohnten rechtlichen Grundlagen aus dem Europarecht sowie die deutschen Vorschriften über die Zulassung von Kraftfahrzeugen dürfen nicht den Blick dafür verstellen, dass der BGH ganz grundlegende Fragen zum Nacherfüllungsanspruch des Käufers klärt, die auch für „gewöhnlichere“ Sachmängel Relevanz haben. Deshalb schauen wir uns die Kernaussagen noch einmal an:

  • Der Anspruch auf Nacherfüllung durch Lieferung einer mangelfreien Sache ist nicht auf die Ersatzbeschaffung einer mangelfreien, im Übrigen aber identischen Sache beschränkt.

  • Deshalb kommt es für die Frage, ob dem Verkäufer die Nachlieferung unmöglich ist, nicht auf die Unterscheidung zwischen einer Stückschuld und einer Gattungsschuld an.

  • Maßgeblich ist vielmehr, ob der Verkäufer im Einzelfall eine Beschaffungspflicht übernommen hat, die Parteien also die Ersatzlieferung einer anderen Sache als austauschbar mit dem ursprünglich gelieferten Kaufgegenstand angesehen haben. Hierfür sind die Willenserklärungen der Kaufvertragsparteien nach beiden Seiten hin interessengerecht auszulegen

  • Das Interesse des Verkäufers, nicht mit unverhältnismäßigen Kosten der Nachlieferung belastet zu werden, wird grundsätzlich bereits durch das Gesetz sichergestellt, nämlich über die Regelung in § 439 Abs. 4 BGB, die kaufrechtliche Verjährungsfrist von zwei Jahren (§ 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB) und die Regressmöglichkeiten nach §§ 445a, 478 BGB.

Für die konkrete Frage nach der Nachlieferung eines Nachfolgemodells des mangelhaften Fahrzeugs hat der BGH folgende Regeln aufgestellt:

  • Es ist nicht davon auszugehen, dass die Parteien eines Kaufvertrags über ein Neufahrzeug einer Modellgeneration ein Fahrzeug aus der nächsten Baureihe aufgrund zahlreicher Unterschiede zwischen den Modellen grundsätzlich nicht für erfüllungstauglich halten würden. 

  • Bei einem Verbrauchsgüterkauf ist die Übernahme einer Beschaffungspflicht in Bezug auf ein Nachfolgemodell aber nur dann anzunehmen, wenn der Verbraucher sein Nachlieferungsbegehren innerhalb von zwei Jahren seit dem Kaufvertragsschluss geltend macht.

  • Hat die Ersatzsache einen erheblichen Mehrwert gegenüber der verkauften Sache, entfällt regelmäßig die Beschaffungspflicht, es sei denn, 

  • die Parteien haben nach interessengerechter Auslegung bei Vertragsschluss die Ersatzlieferung eines Nachfolgemodells übereinstimmend nur gegen eine vom Käufer von sich aus anzubietende Zuzahlung als austauschbar mit dem ursprünglich gelieferten Kaufgegenstand angesehen und

  • diese angebotene Zuzahlung ist angemessenen, um dem Wertunterschied Rechnung zu tragen.

 

Zu einem Wegfall der Beschaffungspflicht kann es jedoch beim Verbrauchsgüterkauf dann nicht kommen, wenn dem Verkäufer die Nachbesserung unmöglich ist (§ 475 Abs. 4 Satz 1 BGB). Der BGH weist deshalb darauf hin, dass sich die Prüfung nicht auf die Wertunterschiede zwischen dem verkauften und dem Nachfolgemodell beschränken dürfen.

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