Examensreport: ÖR II 1. Examen Februar 2021 in NRW

Examensreport: ÖR II 1. Examen Februar 2021 in NRW

Examensklausur aus dem Öffentlichen Recht

In dieser Examensklausur ging es unter anderem um die folgenden Lerninhalte:

Sachverhalt beruht auf einem Gedächtnisprotokoll

Seit vielen Jahren ist ein vermehrter Zuzug und geringer Wegzug der Bevölkerung in deutschen Großstädten festzustellen. Aus diesem Grund ist ein überproportional starker Anstieg der Mietpreise für Wohnraum festzustellen. Der gestiegene Bedarf kann jedoch nicht durch Schaffung neuen Wohnraums abgefangen werden, da es beispielsweise an Baugrund fehlt.

Viele Vermieter:innen nutzen die durch hohe Nachfrage und Angebotsmangel gekennzeichnete Situation, ihren Mietertrag durch Anhebung der Mieten zu steigern. Damit sollen sowohl Investitionen in die Mietobjekte schneller kompensiert werden, als auch der eigene Wohlstand der Vermieter:innen erhöht werden. Die Mieter:innen müssen daher einen immer größeren Teil ihres Einkommens für die Wohnraummiete aufwenden.

Die Möglichkeiten, Mieten in einem laufenden Mietverhältnis zu erhöhen, sind mietrechtlich durch §§ 557 ff. BGB eingeschränkt. In diesen Vorschriften ist eine wiederholt modifizierte “Kappungsgrenze” geregelt, § 558 III 1-3 BGB. Aufgrund der rechtspolitischen Diskussion, dass auch die Miethöhe bei Beginn eines Mietverhältnisses reglementiert werden soll (“Startmiete”) hat der Bund im Jahr 2019 die sog. “Mietpreisbremse”, welche in §§ 556d - 556g BGB normiert wurde, geschaffen. Mit dieser sollte der Anstieg von Startmieten in von den Ländern zu bestimmenden “Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten” i.S.d. § 556 II BGB, verlangsamt werden. In diesen Gebieten darf die Startmiete von der ortsüblichen Vergleichsmiete (vgl. § 558 II BGB) um höchstens zehn Prozent nach oben abweichen.

Gerade in Berlin (B) führt die Wohnraumnot zu einem besonders starken Anstieg der Wohnraummieten. Die Regierungsfraktionen im Landesparlament von B gehen die bestehenden Regelungen im BGB zur Reglementierung von Mieten nicht weit genug. Vor allem die Orientierung der Startmiete an der ortsüblichen Vergleichsmiete sei wirkungslos. Deshalb hat das Land B von den Ermächtigungen in §§ 556d II, 558 III 3 BGB keinen Gebrauch gemacht. Die Regierungsfraktionen sind der Ansicht, dass das Mietpreisrecht eine Angelegenheit der Gemeinwohlfürsorge sei und daher in die Länderzuständigkeit falle. Das Parlament des Landes B verabschiedet daraufhin Anfang 2020 das Gesetz zur Wohnmietenbegrenzung (“Landesmietendeckelgesetz” - LMDG).

Das Gesetz wird im Februar 2020 ausgefertigt, verkündet und tritt in Kraft. Das Gesetz sieht unter anderem folgende Regelungen vor: § 3 LMDG friert die Mieten in laufenden Mietverhältnissen ab Inkrafttreten des Gesetzes durch ein weitgehendes Verbot von Mieterhöhungen auf den Stand vom 18.06.2019 ein. § 4 LMDG verbietet eine Startmiete, die bestimmte Grenzbeträge überschreitet. Diese werden in § 6 LMDG in einer Mietentabelle vorgegeben. § 5 LMDG regelt die Absenkung der geschuldeten Miete, wenn die Grenzbeträge der Mietentabelle des § 6 LMDG überschritten werden. Neubauten sind gem. § 7 I LMDG nicht von dem Gesetz betroffen.

Zur Begründung heißt es in den Gesetzesmaterialien des LMDG unter anderem: “Vor allem für einkommensschwache Bevölkerungsschichten droht die Verdrängung aus dem sozialen Umfeld. Die gegenwärtige Situation auf dem Wohnungsmarkt gefährdet daher den sozialen Frieden der Stadt. Die Aufgabe eines Sozialstaates ist es, diesem Kräfteungleichgewicht sowie der drohenden Verdrängung einkommensschwacher Bevölkerungsschichten wirksame Maßnahmen entgegenzusetzen.”

Insbesondere die in § 5 LMDG angeordnete Mietensenkung führe zu einer Enteignung der Vermieter:innen im Hinblick auf bereits begründete Ansprüche und bedürfe aus diesem Grund einer besonders gewichtigen Legitimation, welche hier nicht erkennbar sei. Das Land B sei daher gehalten, den Erfolg der Maßnahmen des Bundesgesetzgebers (Modifikation der Kappungsgrenze, Schaffung der Mietpreisbremse) abzuwarten und die Schaffung neuen Wohnraums anzutreiben. Das Land B müsse zumindest den Anwendungsbereich des Gesetzes auf besonders begehrte Wohngebiete beschränken.

Nach langen Diskussionen im Bundestag wenden sich 150 Abgeordnete mit dem Begehren “Aufhebung des LMDG des Landes B in einem gemeinsamen schriftlichen Antrag” an das Bundesverfassungsgericht. Sie halten die landesrechtlichen Regelungen für unwirksam, da B die Gesetzgebungskompetenz nicht zustehe. Der Bund habe abschließende Regelungen zum Mietpreisrecht getroffen. Die Verordnungsermächtigungen im BGB stünden dem nicht entgegen. Das Gesetz schränke zudem das verfassungsmäßig garantierte Eigentum und die Vertragsfreiheit der Vermieter:innen ein. Die Bezugnahme auf einen vergangenen Zeitpunkt in § 3 LMDG sei rechtsstaatlich generell unzulässig, da dadurch das Vertrauen in die Rechtssicherheit erschüttert würde.

Hat der Antrag der Abgeordneten Aussicht auf Erfolg?

Bearbeitervermerk:

  1. Verstöße gegen Art. 19 I 2 und 31 GG und die Vereinbarkeit des LMDG mit einfachem “sonstigem” Bundesrecht sind nicht zu prüfen. Ob die Mietentabelle aus § 6 LMDG bzw. der in § 7 LMDG vorgesehene Stichtag gegen Verfassungsrecht (insb. gegen Art. 3 GG) bzw. sonstiges Bundesrecht verstoßen, ist nicht zu prüfen.

  2. Es ist davon auszugehen, dass die §§ 556d ff. BGB und §§ 557 ff. BGB verfassungsgemäß sind und der Bundestag der derzeitigen 19. Wahlperiode (nur) mit einer gesetzlichen Anzahl von 598 Abgeordneten besetzt ist.

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