Wahlkampf bei Facebook – welche verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen gelten für Wahlwerbung durch Amtsträger?
Wahlkampf bei Facebook: Einer Recherche zufolge sollen Parteien gezielt Werbeanzeigen geschaltet haben, die allerdings widersprüchliche Aussagen enthielten. Außerdem soll auch ein Ministerium gezielt Beiträge beworben haben, wofür Steuergelder verwendet worden sein. Wie sieht es hier verfassungsrechtlich aus?
Worum geht es?
Am Anfang dieser Woche waren die Dienste von Facebook, Instagram und WhatsApp für mehrere Stunden offline. Der weltweite Totalausfall der sozialen Netzwerke soll den Facebook-Gründer Mark Zuckerberg Milliarden gekostet haben. Generell soll es sich um einen herben Rückschlag für den Internet-Giganten handeln, das schon lange mit Kritik in puncto Datenschutz und Transparenz zu kämpfen hat.
Aktuell kommen neue Vorwürfe hinzu und sie betreffen den Bundestagswahlkampf. Dabei geht es um Facebooks Haupteinnahmequelle: Werbeanzeigen. Diese sollen rund 99 Prozent von Facebooks Umsatz ausmachen. Besonders interessant für Werbende sind dabei maßgeschneiderte Anzeigen für Nutzer:innen, die als Microtargeting bezeichnet werden.
Doch nicht nur Unternehmen oder Organisationen nutzen die Möglichkeit des Microtargetings, um ihre Produkte und Ideen zielgruppenspezifisch zu verbreiten. Auch die politischen Akteure sind auf die maßgeschneiderten Werbeanzeigen aufmerksam geworden, wie der ZDF-Satiriker Jan Böhmermann in seiner Sendung „ZDF Magazin Royal“ berichtete. Das stößt auf Kritik und verfassungsrechtliche Bedenken, im Raum steht unter anderem ein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot.
Parteien schalten zum Teil widersprüchliche Anzeigen
Die geschalteten Anzeigen bei Facebook von Parteien können als digitale Wahlplakate bezeichnet werden, die in ganz Deutschland im Wahlkampf aufgehängt waren. Doch es gibt wichtige Unterschiede: Zum einen bedürfen die realen Wahlplakate einer Sondernutzungserlaubnis. Die Behörden müssen nämlich über das Plakatieren im öffentlichen Raum Bescheid wissen, um etwaige gegenläufige Interessen von Bewohner:innen berücksichtigen zu können. Zwar ist das Ermessen im Wahlkampf stark reduziert, dennoch gibt es strenge Anforderungen. Und zum anderen ist der Inhalt eines realen Wahlplakates unveränderbar, was hängt, das hängt.
Bei Facebook soll das anders aussehen. In einer umfangreichen Datenerhebung soll das ZDF Magazin Royale festgestellt haben, dass die politischen Werbeanzeigen der FDP anhand der Interessen der Nutzer:innen variieren. Der Medienforscher Simon Kruschinski M. A. von der Universität Mainz kritisiert dies als „Überwachungswerbung“: Facebook spähe die Nutzer:innen aus, um ihnen die passende Wahlkampfwerbung zu zeigen.
Anhand der geschalteten Anzeigen der FDP werde dies deutlich. Spannend sei insbesondere, dass sich die Werbeinhalte dabei widersprechen. Für die Zielgruppe, die sich für „Umweltschutz“ oder „Organic Food“ interessierte, soll die FDP mit einem strikten CO2-Limit als effektive Maßnahme gegen den Klimawandel geworben haben. Anders sah es bei der Zielgruppe aus, die Böhmermann als „vielreisende Business-Jetter“ bezeichnete: Diesen Nutzer:innen sei Wahlwerbung gezeigt worden, in der sich die Liberalen gegen Freiheitseinschränkungen und staatliche Verbote aussprachen.
Möglich ist diese Art der Werbung bei Facebook schon lange. Auch der Linken-Politiker Diether Dehm nutzte im Wahlkampf das Microtargeting für Wahlwerbung. Bereits Monate vor der Bundestagswahl wurde daher eine Selbstverpflichtung von Parteien gefordert. Die FDP soll damals gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland versichert haben, sich „gemeinsam mit allen anderen demokratischen Parteien“ zu fairen Wahlkampfregeln zu bekennen. Doch eine besondere Selbstverpflichtung sei nicht abgegeben worden.
Vorwurf gegen Arbeitsminister Heil
Doch nicht nur die FDP und die Linken wurden durch die Recherche belastet. Einen anderen Verstoß soll das Bundesarbeitsministerium unter Führung von Hubertus Heil (SPD) begangen haben, einen Verstoß mit verfassungsrechtlichem Gewicht. Denn das Ministerium soll ebenfalls das Microtargeting von Facebook genutzt haben, im Rahmen dessen ein Posting für Nutzer:innen beworben worden sei, die sich für die „SPD“ interessierten.
Problematisch: Werbung kostet Geld – die geschalteten Werbepostings sollen also mit Steuergeldern bezahlt worden sein. Dies stößt auf laute verfassungsrechtliche Kritik, da Amtsträger bei ihren Äußerungen jederzeit das Recht der Parteien achten müssen, gleichberechtigt an der politischen Willensbildung teilnehmen zu können (vgl. Art. 1 III, Art. 21 I GG). Staatliche Akteure sind auch bei einem schlicht-hoheitlichen und nicht rechtsförmigen Verhalten nach Art. 20 III GG an Recht und Gesetz und nach Art. 1 III GG an die Grundrechte gebunden. Dies gelte damit auch für Minister Heil, insbesondere in Zeiten des Wahlkampfs. Gerade dann müsse der Staat das Neutralitätsgebot befolgen und dürfe nicht für oder gegen eine Partei wirken. Vielmehr sei äußerste Zurückhaltung in politischen Angelegenheiten gefordert. Ansonsten widerspreche dies den Grundsätzen der Art. 21 I GG und Art. 38 I 1 GG.
Dieser Grundsatz der Neutralität wurde bereits mehrfach vom BVerfG bestätigt. Die Karlsruher Richter:innen führten aus, dass es Staatsorganen verboten sei, unter Einsatz staatlicher Mittel politische Parteien „zu unterstützen oder zu bekämpfen, insbesondere durch Werbung die Entscheidung des Wählers zu beeinflussen“. Danach dürften für politische Aktivitäten keine sachlichen oder finanziellen Mittel genutzt werden, die dem ministeriellen Bereich zugeordnet werden können.
Der Recherche des ZDF Magazin Royales zufolge soll das Arbeitsministerium den „Fehler“ zugegeben haben.
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