Mordprozess in Berlin: Kannibalismus-Verdacht

Mordprozess in Berlin: Kannibalismus-Verdacht

Der Fall erinnert an den ausbildungs- und prüfungsrelevanten „Kannibalen von Rothenburg”

Mordprozess in Berlin: Ein Lehrer soll seine Verabredung getötet und zerteilt haben, um Teile des Leichnams zu verspeisen. Bislang schweigt der Angeklagte. Der Fall erinnert an einen berühmten Fall aus dem Jahr 2001, der die Gerichte mehrere Jahre lang beschäftigte.

Worum geht es?

In Berlin hat vor dem Landgericht ein spektakulärer Strafprozess begonnen. Dem angeklagten Lehrer wird vorgeworfen, aus „sadistisch-kannibalistisch geprägten“ Tatmotiven einen anderen Mann getötet zu haben. Bislang schweigt der Angeklagte, 18 Verhandlungstage sind angesetzt. Der Fall erinnert an den „Kannibalen von Rotenburg“, der die Gerichte lange Zeit beschäftigt hatte.

Monteur wurde wochenlang vermisst

Der 41-jährige Angeklagte, der vor seiner Untersuchungshaft an einer Berliner Schule Mathematik und Chemie lehrte, soll im September 2020 sein Opfer über eine Dating-Plattform kennengelernt haben. In derselben Nacht soll es zu der Tat gekommen sein, doch sie blieb zunächst unentdeckt. Wochenlang galt das Opfer, ein Monteur aus dem Hochleitungsbau, als vermisst und wurde von der Polizei als Vermisstenfall behandelt. Im November wurden dann Knochenteile an einem Waldstück in Berlin-Buch entdeckt.

Durch die Auswertung von Chatprotokollen und der Zeugenaussage eines Taxifahrers sollen die Ermittler:innen auf die Spur des Angeklagten gekommen sein. Seit November sitzt der Mann in Untersuchungshaft. Seitens der Staatsanwaltschaft wird ihm vorgeworfen, aus einer „sadistisch-kannibalistisch geprägten sexuellen Tatmotivation“ den Monteur getötet zu haben, um Teile der Leiche zu essen. Diese soll der Angeklagte vorab zerteilt und die Leichenteile dann an verschiedenen Stellen in der Hauptstadt abgelegt haben. Hinweise dafür, dass das Opfer in die Tötung „eingewilligt“ haben könnte, sollen sich hingegen nicht ergeben haben.

Neben den Chatprotokollen sollen auch die Google-Suchverläufe des Angeklagten ausgewertet worden sein. Diese würden auf Aktivitäten in „einschlägigen Kannibalismus-Foren“ hinweisen. Bei einer anschließenden Hausdurchsuchung soll sich dann der Verdacht auf Kannibalismus verstärkt haben: Nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft habe man „einschlägige Instrumente“ wie verschiedene Sägen und Messer gefunden. Außerdem sei eine hohe Menge einer Chemikalie sichergestellt worden, die zum Auflösen menschlichen Gewebes geeignet sei.

„Kannibale von Rotenburg“: Tötung auf Verlangen oder Mord?

Der Fall, der nun vor dem LG Berlin verhandelt wird, erinnert an die Geschehnisse aus dem Jahr 2001 in der Kleinstadt Rotenburg in Hessen. Im März 2001 soll ein damals 39-Jähriger einen damals 43-Jährigen in seinem Anwesen zunächst kastriert und dann vor laufender Kamera getötet haben. Die Leiche sei anschließend von ihm zerlegt worden, um Teile des Körpers zu essen. Das Menschenfleisch wurde von Polizisten in einer Gefriertruhe gefunden. Vom Täter wurde durchweg beteuert, dass das Opfer in die Kastration und in die spätere Tötung eingewilligt habe. Der Täter, der sich noch immer in Haft befindet, wird daher als „Kannibale von Rotenburg“ bezeichnet. Der Fall sorgte nicht nur aufgrund der schrecklichen Tat für viel Aufmerksamkeit - er war zudem aus strafrechtlicher Sicht nicht einfach zu beurteilen. 

Töten auf Verlangen, § 216 I StGB?

Da der “Kannibale von Rotenburg” stets beteuerte, sein Opfer auf dessen eigenen Wunsch getötet zu haben und dass die Tat so mit dem Opfer abgesprochen gewesen sei, ging es unter anderem um den Straftatbestand des § 216 I StGB, also dem Töten auf Verlangen:

§ 216 I StGB
Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

Jedoch haben alle Instanzen eine „Tötung auf Verlangen“ abgelehnt. Die Gerichte werteten die Zustimmungsbekundungen des Opfers nämlich nicht als „Verlangen“ – vielmehr soll es sich dabei höchstens um eine Einwilligung gehandelt haben. Doch eine solche reiche für die Verwirklichung des § 216 I StGB nicht aus. Der Straftatbestand fordert nämlich ein „Bestimmen“, das von einer hohen Einwirkung auf den Willen des Tötenden zeugt. Das Opfer muss also im Täter den Entschluss zur Tat hervorrufen. Wenn der Täter aber bereits unabhängig davon zur Tat entschlossen ist, könne es sich nicht um eine „Tötung auf Verlangen“ handeln.

Prüfungsaufbau: Tötung auf Verlangen, § 216 StGB
Relevante Lerneinheit

Mordmerkmal „Befriedigung des Geschlechtstriebs“

Stattdessen ging es in den Instanzen beim Fall des „Kannibalen von Rotenburg“ um Mord. Während das LG Kassel den Angeklagten noch wegen Totschlags verurteilte, vertrat das LG Frankfurt eine andere Rechtsauffassung und sah das Mordmerkmal „zur Befriedigung des Geschlechtstriebs“ erfüllt. Dieses sei insbesondere daran deutlich geworden, dass zwischen dem Tötungsakt und den Kannibalismus-Szenen ein Zusammenhang durch die hergestellten Videoaufnahmen entstanden sei. Der Täter soll diese angefertigt haben, um sich beim Ansehen der Aufnahmen sexuell zu befriedigen. Daher spiele es keine Rolle, ob die Tötung als solche sexuelle Erregung bereite. Auch die später erstrebte sexuelle Befriedigung reiche aus, urteilte das Gericht. Der BGH sah das ebenfalls so.

Mordmerkmal „um eine andere Straftat zu ermöglichen“

Schließlich bejahte das Gericht im Prozess gegen den „Kannibalen von Rotenburg“ das Mordmerkmal „um eine andere Straftat zu ermöglichen“. Der Kannibalismus finde nämlich nicht nur in der Befriedigung des Geschlechtstriebs Ausfluss – vielmehr bedeute Kannibalismus auch stets eine eigene Straftat, die durch die Tötung ermöglicht wird. Die Rede ist hier von der Störung der Totenruhe gemäß § 168 StGB. Sowohl der BGH als auch das LG Frankfurt subsumierten den kannibalistischen Umgang mit dem Leichnam unter die Norm und argumentierten, dass durch das Essen des Menschenfleischs der Mensch einem Nutztier gleichgestellt werde.

Eine Einwilligung in den Verzehr des eigenen Fleisches nach Tötung könne die Strafbarkeit auch nicht ausschließen. Die Gerichte begründeten dies mit dem geschützten Rechtsgut des § 168 StGB: Zwar schütze die Norm zum einen die postmortale Unversehrtheit der individuellen Rechtsgüter des Verstorbenen. Zum anderen aber schütze § 168 StGB auch das „Pietätsempfinden der Allgemeinheit“. Durch diesen über die individuellen Interessen hinausgehende Schutzrichtung könne eine rechtfertigende Einwilligung nicht greifen.

Prüfungsaufbau: Mord, § 211 StGB
Relevante Lerneinheit

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