BVerfG entscheidet über die Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung
Zwangsbehandlung im psychiatrischen Krankenhaus: Einem im Maßregelvollzug untergebrachten Straftäter wurden gegen seinen Willen Neuroleptika verabreicht – solche Mittel hatte er aber einige Jahre zuvor in einer Patientenverfügung ausgeschlossen. Durften ihm die Medikamente trotzdem verabreicht werden? Wo liegen die Grenzen bei medizinischer Zwangsbehandlung?
Worum geht es?
Vor dem BVerfG hatte jüngst ein Straftäter im Maßregelvollzug teilweise Erfolg. Es ging um eine Zwangsbehandlung im psychiatrischen Krankenhaus. Solche Zwangsbehandlungen können zwar gerechtfertigt sein, doch es gebe hohe Hürden und eine „Freiheit zur Krankheit“ – dies haben die Karlsruher Richter:innen nun entschieden.
Der im Maßregelvollzug untergebrachte Beschwerdeführer war infolge eines Strafverfahrens dauerhaft in einem psychiatrischen Bezirkskrankenhaus untergebracht. Bereits einige Jahre zuvor habe er in einem Schreiben erklärt, eine „Patientenverfügung“ getroffen zu haben – aud diese wolle er sich weiterhin berufen. Dadurch wolle er jeder behandelnden Person verbieten, ihm gegen seinen Willen Neuroleptika (Psychopharmaka) zu verabreichen.
Während des Maßregelvollzugs diagnostizierte ihm das Krankenhaus allerdings eine Schizophrenie und sah Behandlungsbedarf. Es beantragte eine entsprechende Zwangsbehandlung, um den Mann vor irreversiblen hirnorganischen Schäden zu schützen – mit Neuroleptika, also den Mitteln, die der Beschwerdefüher in seiner Verfügung damals ausgeschlossen hatte. Die Behandlung mit dem Mittel wurde vom LG Nürnberg-Fürth auf Grundlage des Bayerischen Gesetzes über den Vollzug der Maßregeln der Besserung und Sicherung (BayMVG) bewilligt.
Mit den Verfassungsbeschwerden rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit und seiner Menschenwürde.
BVerfG stellt hohe Hürden an Zwangsbehandlung
Zunächst stellte das BVerfG klar, dass jede medizinische Behandlung einer Person gegen ihren natürlichen Willen in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 II 1 GG eingreife. Dazu zähle auch der Schutz gegen staatliche Zwangsbehandlungen. Eine Behandlung mit Neuroleptika an einer Person im Maßregelvollzug wiege dabei besonders schwer.
Allerdings können solche Zwangsmaßnahmen durchaus gerechtfertigt sein, betonten die Karlsruher Richter:innen. Der Schutz der Allgemeinheit vor Straftaten der untergebrachten Person könne aber nicht zur Rechtfertigung herangezogen werden – diese Sicherheit werde bereits durch die Unterbringung als solcher erreicht. Jedoch könne der Grundrechtsschutz anderer Personen innerhalb der Einrichtung eine Zwangsbehandlung rechtfertigen, führte das BVerfG aus. Eine Zwangsbehandlung dürfe aber nur als letztes Mittel eingesetzt werden, wenn kein milderes Mittel in Betracht komme. Außerdem müsse der Betroffene in seiner Einsichtsfähigkeit beschränkt sein. Das BVerfG stellte klar:
Weiterhin ist erforderlich, dass der Betroffene krankheitsbedingt nicht einsichtsfähig ist oder sich nicht einsichtsgemäß verhalten kann […].
Und schließlich formulierten die Karlsruher Richter:innen hohe Anforderungen an das Verfahren: Neben Dokumentationspflichten bedürfe es einer vorausgehenden Prüfung der Maßnahme, außerdem sei stets die Anordnung und Überwachung der Zwangsbehandlung durch ärztliches Personal erforderlich.
Keine Zwangsbehandlung bei wirksamen Ausschluss
Eine Zwangsbehandlung – auch zum Schutz der Grundrechte der untergebrachten Person selbst – könne aber nicht gerechtfertigt werden, wenn sie im Zustand der Einsichtsfähigkeit wirksam ausgeschlossen wurde. Der Einzelne sei grundsätzlich frei, argumentierte das BVerfG, über Eingriffe in seine körperliche Integrität und seine Gesundheit nach eigenem Ermessen zu entscheiden. Diese Freiheit werde gar über Art. 2 I in Verbindung mit Art. 1 I GG geschützt, das BVerfG spricht von einer „Freiheit zur Krankheit“. Daher könne man auch dann über seine gesundheitlichen Zustände selbst entscheiden, wenn dies „in den Augen Dritter den wohlverstandenen Interessen des Grundrechtsträgers zuwiderläuft“.
Das schließt die „Freiheit zur Krankheit“ und damit das Recht ein, auf Heilung zielende Eingriffe abzulehnen […].
Wenn und soweit der Betroffene wirksam, also im Zustand der Einsichtsfähigkeit, die Ablehnung von medizinischen Behandlungen durch Neuroleptika verfügte, dürfe sich der Staat über diese Disposition auch zum Schutz des Betroffenen hinwegsetzen.
Sache zurückverwiesen
Diese Überlegungen hätten die Fachgerichte bei Auslegung und Anwendung der Vorschrift aus dem BayMVG nicht genügend berücksichtigt. Zudem sei nicht bedacht worden, dass das Selbstbestimmungsrecht eine Zwangsbehandlung, die allein dem Schutz des Betroffenen dient, bei einer entgegenstehenden wirksamen Patientenverfügung von vornherein verbiete.
Das BVerfG hat die Sache an das LG Regensburg zurückverwiesen.
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- Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
- Rechtsfolgen der Tat, §§ 38 ff. StGB: Maßregelvollzug
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