Gericht stellt hohe Anforderungen an die Entziehung des Pflichtteils im Erbrecht
Um einem gesetzlichen Erben den Pflichtteil wirksam entziehen zu können, müssen Erblasser sowohl formal als auch inhaltlich hohe Hürden überwinden. Insbesondere kann eine körperliche Auseinandersetzung nur dann dazu führen, dass der Pflichtteilsanspruch entfällt, wenn es sich um ein schweres Vergehen gegen den Erblasser gehandelt hat. Das hat die 8. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal in einem aktuellen Rechtsstreit entschieden.
Worum geht es?
Für den Pflichtteil, also die gesetzlich geregelte Mindestbeteiligung am Nachlass eines Erblassers, hat der Gesetzgeber besondere Ausnahmen vorgesehen, in denen der Erblasser dem Abkömmling den Pflichtteil entziehen kann. Mit den Voraussetzungen und Hürden hat sich das LG Frankenthal in einem aktuellen Fall beschäftigt und hat spannende Ausführungen zur Entziehung des Pflichtteils im Erbrecht getroffen. Der testamentarisch übergangene gesetzliche Erbe hatte eine an seiner Stelle bedachte soziale Einrichtung aus dem Rhein-Main-Gebiet verklagt. Diese soll ihm nun seinen 50-prozentigen Pflichtteil auszahlen und auch die Verfahrenskosten tragen.
Pflichtteil entziehen – welche Voraussetzungen?
Die Eltern des Klägers hatten ihn 1997 in einem notariellen Erbvertrag enterbt und zusätzlich bestimmt, dass ihm der Pflichtteil entzogen werden soll. In dem Vertrag wurde als Begründung angegeben, dass der Kläger die Mutter ein Jahr zuvor mehrfach geschlagen haben soll, wodurch sie eine Schädelprellung erlitten habe. Diese Entziehung des Pflichtteils wollte der Mann nach dem Tod seiner Mutter nicht akzeptieren und klagte gegen die als Erbin eingesetzte soziale Einrichtung.
Wenn es um den Pflichtteil im Erbrecht geht, dann gilt § 2303 BGB als Ausgangspunkt. Die Norm regelt die Höhe des Pflichtteils und auch wer pflichtteilsberechtigt ist. Voraussetzung für das Entstehen von Pflichtteilsansprüchen ist, dass der Erblasser per Testament oder Erbvertrag einen Pflichtteilsberechtigten von der Erbfolge ausgeschlossen hat.
Doch wie ist es, wenn der Erblasser mit seinem letzten Willen einen gesetzlichen Erben komplett ausschließen möchte? Möglich ist dies nur in bestimmten Fällen, die in § 2333 BGB geregelt sind. Denkbar sind Konstellationen, in denen der Abkömmling dem Erblasser „nach dem Leben trachtet“ oder er eine Unterhaltspflicht böswillig verletzt hat. Im Verfahren vor dem LG Frankenthal ging es um den Fall des § 2333 I Nr. 2 Alt. 2 BGB:
§ 2333 I Nr. 2 BGB:
Der Erblasser kann einem Abkömmling den Pflichtteil entziehen, wenn der Abkömmling sich eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen eine der in Nummer 1 bezeichneten Personen [zB Erblasser oder ein anderer Abkömmling] schuldig macht.
LG Frankenthal stellt hohe Anforderungen
Auf den ersten Blick scheinen die Voraussetzungen erfüllt zu sein: Im Erbvertrag der Mutter wurde bestimmt, dass der Pflichtteil ihrem Sohn aufgrund von Körperverletzungen entzogen werden soll. Doch das LG Frankenthal sah das anders und gab der Klage vollumfänglich statt. Die an seiner Stelle bedachte soziale Einrichtung muss ihm seinen 50-prozentigen Pflichtteil auszahlen.
Die Richter:innen argumentierten, dass bei der Entziehung des Pflichtteils hohe Anforderungen gelten müssten. Dies beginne bereits in formeller Hinsicht. Um zu verhindern, dass nachträglich weitere Gründe für die Entziehung nachgeschoben werden, müsse das maßgebliche Fehlverhalten des Erben aus § 2333 I Nr. 2 BGB bereits im Testament eindeutig begründet und geschildert sein. Dies sei im vorliegenden Fall nicht geschehen. Es seien keine Hintergründe festgehalten worden, weshalb es zu der Auseinandersetzung gekommen sein soll.
Von diesem formalen Hindernis abgesehen, seien die Hintergründe während des Verfahrens weiterhin unklar. Aus Sicht der 8. Zivilkammer des LG Frankenthals sei es daher auch denkbar, dass sich die Körperverletzung im Rahmen eines spontanen Streits oder im Affekt zugetragen haben könnte:
Dies rechtfertige nicht zwingend eine Pflichtteilsentziehung, denn nur ein schweres Vergehen gegen den Erblasser könne zum Verlust des Pflichtteils führen.
Außerdem zweifelte das Gericht daran, ob die Körperverletzungen aus dem Jahr 1996 wirklich der Hauptgrund für die Pflichtteilsentziehung gewesen sein sollen. Nach Auffassung der Kammer sei eher davon auszugehen, dass die Eltern mit dem Lebenswandel ihres Sohnes nicht mehr einverstanden gewesen seien. Dies rechtfertige, so das Gericht, aber keine Entziehung des Pflichtteils. Die Entscheidung ist rechtskräftig.
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