AG Potsdam zu erschossenen Wolf: Hat der Jäger in Notstand gehandelt?

AG Potsdam zu erschossenen Wolf: Hat der Jäger in Notstand gehandelt?

Deutscher Jagdverband stilisiert den Fall als Präzedenzfall

Die Rückkehr des Wolfes nach Deutschland entfacht seit einigen Jahren wieder regelmäßig Diskussionen. Einerseits steht der Wolf unter Naturschutz, andererseits beklagen sowohl Halter von Nutztieren als auch Jäger, dass Wölfe in immer größerer Zahl Tiere wie Schafe, Nutztiere und Hunde angreifen. Jüngst musste sich das AG Potsdam mit dem Protagonisten vieler Grimm-Märchen beschäftigen: Das AG hat einen Jäger freigesprochen, der gezielt einen Wolf abgeschossen hat. Wie begründet der Richter seine Entscheidung?

Worum geht es?

Am Amtsgericht Potsdam fand vor Kurzem der Prozess gegen einen 61-jährigen Jäger aus den Niederlanden statt, der im Frühjahr 2019 in Brandenburg während einer Jagd einen Wolf erschossen hat (Urteil v. 21.06.2021, Az. 82 Ds 82/20). Daraufhin hat die zuständige Staatsanwaltschaft den 61-Jährigen wegen Verstoßes gegen das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) angeklagt. Unerlaubte Abschüsse auf wild lebende Tiere der besonders geschützten Art - wozu auch der Wolf zählt - sind gem. § 44 I Nr. 1 BNatSchG strafbar und werden gemäß §§ 69 ff. BNatSchG mit Geldstrafen oder mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft.

Nach der Darstellung des Jägers saß er während einer Treibjagd im brandenburgischen Fläming auf einem Hochstand. Von dort habe er beobachten können, wie der Wolf einige Jagdhunde angegriffen habe. Zum Schutz der Hunde sei ihm nichts anderes übrig geblieben, als den Wolf zu erschießen. Er habe zuvor versucht, den Wolf durch Klatschen, Rufen und einen Warnschuss zu vertreiben.

Der angeklagte Jäger berief sich in der mündlichen Verhandlung auf den Rechtfertigungsgrund des Notstandes gem. § 34 StGB. Dieser setzt im Gegensatz zur Notwehr gem. § 32 StGB nur eine gegenwärtige “Gefahr” für ein Rechtsgut voraus - die Notwehr erfordert hingegen einen gegenwärtigen, rechtswidrigen “Angriff”. Für eine gegenwärtige Gefahr reicht es bereits aus, dass es wahrscheinlich zu einem Schaden kommen wird. Dies war nach den Schilderungen des Angeklagten der Fall: der Wolf habe die Jagdhunde angegriffen. Daher lag nach den Schilderungen des Klägers zunächst ein rechtfertigender Notstand vor.

Prüfungsaufbau: Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB
Relevante Lerneinheit

Im Rahmen der Beweisaufnahme wurden acht Zeugen am Verhandlungstag vernommen. Darunter waren laut Gericht Jäger, Vertreter der Jagdbehörde sowie eine sachverständige Veterinärin, die die Hunde auf Biss- bzw. Kampfspuren untersuchte.

In dubio pro reo?

Die Aussagen der Zeugen seien widersprüchlich gewesen. Teilweise bestätigten die Zeugen die Aussage des Angeklagten, obwohl sie den Vorfall nicht selbst gesehen hatten. Sie zogen aus den von ihnen akustisch vernommenen Geräuschen der laut bellenden Hunde ihre Schlüsse auf den Geschehensablauf. Ein anderer Zeuge äußerte hingegen, dass im Fall eines Angriffs durch den Wolf Kampfspuren hätten sichtbar sein müssen. Dies sei aber nicht der Fall gewesen. Auch die Sachverständige konnte keine Bissverletzungen an den Hunden feststellen.

Aufgrund der widersprüchlichen Beweislage sah das Gericht den Vorwurf der Staatsanwaltschaft im Ergebnis jedoch nicht als bewiesen an und sprach den Jäger frei. Er sei berechtigt gewesen, den Wolf zu erschießen, da dieser die Jagdhunde angegriffen habe. Da sich der Wolf auch nicht durch das Klatschen, Rufen und den Warnschuss vertreiben lassen habe, sei auch kein milderes Mittel in Betracht gekommen, als auf den Wolf zu schießen, um die Gefahr von den Hunden abzuwenden. Nach dem in dubio pro reo-Grundsatz sei der Angeklagte daher vom Vorwurf der Verletzung des BNatSchG freizusprechen.

Potsdamer Fall als Präzedenzfall?

Der Fall des 61-jährigen Jägers ist der erste in Deutschland wegen eines Wolfsabschusses verhandelte Fall. Der Deutsche Jagdverband stilisierte den Fall als Präzedenzfall. Das AG sei bereit gewesen, den Fall gegen eine Geldauflage einzustellen. Der Verband hielt den Jäger jedoch davon ab, um einen Freispruch zu erwirken. Würde es zu einer Verurteilung kommen, würden sich sicherlich viele Jäger überlegen, ob sie künftig noch in einem Wolfsgebiet jagen würden, sagte der Sprecher des Deutschen Jagdverbandes im Vorfeld.

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