BVerfG: "Berliner Mietendeckel“ ist nichtig

BVerfG:

I. Sachverhalt

Das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln) trat am 23. Februar 2020 in Kraft (Ausnahme § 5). Der sog. „Berliner Mietendeckel“ besteht im wesentlichen aus drei Regelungsbereichen:

a) einem Mietenstopp, der die am 18. Juni 2019 (Stichtag) vereinbarte Miete überschreitet (§§ 1,3 MietenWoG Bln),

b) einer lagenunanbhängige Mietenobergrenze bei Wiedervermietungen §§ 1,4 MietenWoG Bln),

c) einem gesetzlichen Verbot überhöhter Mieten (§§1,5 MietenWoG Bln).

Das Gesetz findet keine Anwendung auf Neubauten, die ab dem 1. Januar 2014 bezugsfertig wurden.

Antragsteller im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle waren 284 Abgeordnete des Deutschen Bundestages, die das Gesetz für unvereinbar mit der grundgesetzlichen Gesetzgebungskompetenz (Art 70 ff GG) hielten (2 BvF 1/20).                                 

Außerdem gab es zwei Richtervorlagen (Berliner Amtsgericht und Landgericht- 2 BvL 4/20, 2 BvL5/20), die ebenfalls die fehlende Gesetzgebungskompetenz des Landes Berlin rügten.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat am 25.März 2021 beschlossen:

Die Verfahren 2 BvF 1/20, 2 BvL 4/20 und 2 BvL 5/20 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. 
Das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln) in der Fassung des Artikel 1 des Gesetzes zur Neuregelung gesetzlicher Vorschriften zur Mietenbegrenzung vom 11. Februar 2020 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin vom 22. Februar 2020 Seite 50) ist mit Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Artikel 72 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.

II. Gründe

1. Der Antrag auf abstrakte Normenkontrolle (a) und die beiden Richtervorlagen (b) sind zulässig

a) Das BVerfG hat den abstrakten Normenkontrollantrag für zulässig erklärt die Voraussetzungen hierfür bejaht.

Nach Art. 93 1 Nr. 2 GG kann ein Viertel der Mitglieder des Bundestages einen Antrag auf abstrakte Normenkontrolle stellen, wenn es das Bundes- oder Landesrecht für unvereinbar mit dem GG hält. Es genügt ein objektives Feststellungsinteresse an der Gültigkeit der Norm, ein subjektives Rechtsschutzinteresse ist nicht notwendig. Die Voraussetzungen liegen vor; die 284 Antragsteller repräsentieren mehr als ein Viertel der 709 Mitglieder des 19. Deutschen Bundestages.

Aufbau der Prüfung - Abstrakte Normenkontrolle, Art. 93 I Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG
Relevante Lerneinheit

b) Die Richtervorlagen sind ebenfalls zulässig.

Die Zulässigkeit der Richtervorlagen bestimmen sich nach Art. 100 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 13 Nr. 11, 80 Abs. 1 und Abs. 2 BVerfGG. Diese Voraussetzungen sind gegeben. Die Gerichte haben jeweils substantiert dargelegt, dass die Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 1 MietenWoG Bln für die Verfahren entscheidungserheblich sei.

2. Begründetheit der Normenkontrolle sowie der Richtervorlagen

Das BVerfG stellt klar, dass das GG von einer in aller Regel abschließenden Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern ausgeht.

a) Der Bund hat das Recht zur Gesetzgebung, soweit das GG ihm diese ausdrücklich zuweist.

Nach dem GG haben die Länder daher nur insoweit das Recht zur Gesetzgebung, soweit das GG nicht dem Bund die Gesetzgebungskompetenz zuweist. Das GG enthält eine vollständige Verteilung der Gesetzgebungskompetenz (Ausnahme: Art. 109 Abs. 4 GG); Doppelzuständigkeiten sind den Kompetenznormen fremd. Dabei wird nach der Systematik des GG der Kompetenzbereich der Länder grundsätzlich durch die Reichweite der Bundeskompetenzen bestimmt, nicht umgekehrt. Es gibt nach Art. 30 und Art. 70 GG keine Zuständigkeitsvermutung zugunsten der Länder. Macht der Bund von der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 74 GG) Gebrauch, verlieren die Länder gemäß Art. 72 Abs. 1 GG das Recht zur Gesetzgebung (sog. Sperrwirkung).

b) Sperrwirkung

Die Sperrwirkung setzt denselben Gegenstand der gesetzlichen Regelung voraus. Sie verhindert für die Zukunft den Erlass neuer Landesgesetze. Die Länder dürfen auch nicht die bundesrechtlichen Bestimmungen ergänzen oder wiederholen, sofern der Bund eine abschließende Regelung getrofffen 91 hat bzw. treffen wollte. Dabei ist die Reichweite der Sperrwirkung jeweils für die konkrete Regelung und den konkreten Sachbereich zu bestimmen (vgl. BVerfGE 109, 190, 229; 113,348, 371). Die Vermutung für eine abschließende Regelung greift schon dann, wenn der Gesetzgeber sich im Gesetzgebungsverfahren mit einer bestimmten Frage auseinandergesetzt hat, selbst wenn diese in der Norm keinen Niederschlag gefunden hat (Rspr. des BVerfG, BVerfGE 98,265,313).

c) Abgrenzung der Gesetzgebungsbefugnis zwischen Bund und Ländern

Das BVerfG führt hierzu aus, dass für die Abgrenzung allein die Art. 70 ff GG maßgeblich sind. Aus Art. 70 Abs. 1 GG ergebe sich keine Auslegungsmaxime nach der im Zweifel die Länder zuständig seien. Die Zuordnung einer gesetzlichen Regelung zu einem Kompetenztitel von Art. 73,74 oder 105 GG 104,105 erfolge anhand des Regelungsgegenstandes. Eine gesetzliche Regelung sei dem Kompetenztitel zuzuordnen, den sie speziell - nicht allgemein - behandle.

Aufbau der Prüfung - Gesetzgebungszuständigkeit, Art. 70 ff. GG
Relevante Lerneinheit

Der Normzweck ergebe sich regelmäßig aus dem objektivierten Willen des Gesetzgebers; dieser sei mit den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung (Wortlaut der Norm, Sinn und Zweck, Entstehungsgeschichte, Gesetzesmaterialien) zu ermitteln.

d) Regelungen zur Miethöhe als Teil des bürgerlichen Rechts

Nach Auffassung des BVerfG fallen die Regelungen zur Miethöhe für frei finanzierten (ungebundenen) Wohnraum als Teil des sozialen Mietrechts in die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für das bürgerliche Recht nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG – und somit in die Zuständigkeit des Bundes.

Das Recht der Mietverhältnisse ist seit Inkrafttreten des BGB (1. Januar 1900) in den §§ 535 ff BGB geregelt und essentieller Bestandteil des bürgerlichen Rechts. Ein Mietvertrag ist das Ergebnis privatautonomer Entscheidungen. Der Gesetzgeber wollte Mietverhältnisse nicht öffentlich- rechtlich reglementieren, sondern sie zivilrechtlich ausgestalten lassen. Dies belege Regelungstradition und Staatspraxis. Heute ist das soziale Mietrecht vollständig im BGB geregelt – Mietrechtsreformgesetz vom 19. Januar 2000 BGBl I S. 1149. Dieses Gesetz hatte das Ziel, das Recht der Mietverhältnisse über ungebundenen Wohnraum im BGB zusammenzufassen und zu vereinheitlichen. Dies gilt auch für das Mietpreisrecht.

e) Das soziale Mietrecht als Teil der konkurrierenden Gesetzgebung

Das BVerfG betont, dass das soziale Mietrecht im Allgemeinen und die Vorschriften des BGB über zulässige Mieten auf dem freien Markt unter die konkurrierende Gesetzgebung i.S. des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG fallen. Auf dieser Grundlage habe der Bundesgesetzgeber auch seine Gesetze zur Regelung der Miethöhe erlassen(vgl. Mietrechtsnovellierungsgesetz 2015, Mietrechtsanpassungsgesetz 2018). Das BVerfG hat diese Staatspraxis nie problematisiert und die Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG 146 sogar ausdrücklich bejaht (so BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. August 1992, 1 BvR 605/92). Dies ist auch die herrschende Auffassung im Schrifttum. Mit den §§ 556 bis 561 BGB hat der Bundesgesetzgeber von der konkurrierenden Zuständigkeit für das Mietpreisrecht als Teil des bürgerlichen Rechts abschließend Gebrauch gemacht. Die Länder sind insoweit von der Gesetzgebungszuständigkeit von Regelungen zur Festlegung der Miethöhe ausgeschlossen.

Das Land Berlin ist mit seinem Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen neben das Regime der Mietpreisbremse im BGB ( §§ 556 d ff) getreten. Hierzu fehlt ihm die Gesetzgebungskompetenz.

f) Keine anderen Kompetenztitel nach dem GG

Nach Ansicht des BVerfG lässt sich das Berliner Gesetz zur Mietenbegrenzung auch nicht auf andere Kompetenztitel der konkurrierenden Gesetzgebung wie Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 - Recht der Wirtschaft- noch auf die allgemeine Gesetzgebungskompetenz der Länder nach Art. 70 Abs. 1 GG stützen.

Aufbau der Prüfung - Gesetzgebung, Art. 70-82 GG (Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes)
Relevante Lerneinheit

Zwar können preisrechtliche Regelungen grundsätzlich unter Art. 74 Abs. Nr. 11 GG fallen, wie Regelungen zur Preisbildung und Preisüberwachung sowie für den Verbraucherschutz. Allerdings unterfällt nicht jede zivilrechtlichen Regelung zum Ausgleich sozialer Disparitäten dem Recht der Wirtschaft im Sinne der Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11tritt vielmehr hinter das bürgerliche Recht im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr.1 GG zurück, soweit das BGB Elemente sozialer Regulierung wirtschaftlicher Vorgänge enthält. Die Gesetzgebungskompetenz für das Recht der Wirtschaft ist nur einschlägig, wenn ein Gesetz im Kern darauf zielt, wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen etc. zu regulieren und nicht außerökonomische Ziele im Vordergrund stehen. Auch der frühere Gesetzgebungstitel „Wohnungswesen“ (Art. 74 Abs.1 Nr. 18 GG a.F.) umfasste zum Zeitpunkt seiner Änderung im Jahre 2006 (Föderalisreform) vor allem die Wohnraumbewirtschaftung, die Wohnungsbauförderung und den sozialen Wohnungsbau, nicht aber die Festlegung der höchstzulässigen Miete für ungebundenen Wohnungsraum. Er konnte daher auch nicht in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder übergehen.

3. Ergebnis

Die Unvereinbarkeit von § 1 in Verbindung mit §§ 3, 4, 5 Abs. 1, 6,7 MietenWoG Bln mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 1 GG führt zur Nichtigkeit des gesamten Gesetzes zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin.

III. Anmerkung

Das BVerfG hat in seinem sehr ausführlichen Beschluss (38 Seiten) eine klare Entscheidung getroffen: Das Land Berlin hatte für sein Gesetz zur Mietenbegrenzung keine Gesetzgebungskompetenz.

Ob es nun entsprechende (verschärfende) Regelungen im BGB durch den Bundestag geben wird, wie es der Berliner Senat gefordert hat, ist genauso offen wie eine mögliche Grundgesetzänderung zur Übertragung der Gesetzgebungskompetenz an die Länder. Rechtlich wäre der Weg hierfür frei.

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