BVerfG zur Informationspflicht der Bundesregierung

BVerfG zur Informationspflicht der Bundesregierung

Hat die Bundesregierung den Bundestag in der Griechenland-Krise zu spät informiert?

Grünenfraktion gegen Bundesregierung: Vor dem BVerfG ging es um die Informationspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag. Anlass war die Herangehensweise der Regierung im Rahmen der Griechenland-Krise 2015 – das BVerfG fand mahnende Worte.

Worum geht es?

In einer aktuellen Entscheidung hat sich das BVerfG mit mahnenden Worten zu der Informationspflicht der Bundesregierung geäußert. Hintergrund ist ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag, der sich gegen die Herangehensweise der Bundesregierung im Rahmen der Griechenland-Krise richtet.

Im Jahr 2015 stand Griechenland kurz vor dem Staatsbankrott: Bereits im Jahr 2000 betrug die Staatsverschuldung Griechenlands 104,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die durch die weltweite Finanzkrise weiter stieg. Die wirtschaftliche Lage des Landes war brisant und besorgte alle weiteren Länder der EU. Es kam zu langen und komplexen Verhandlungen in Brüssel, an denen auch Deutschland beteiligt war.

Das nun entschiedene Organstreitverfahren bezieht sich auf die Ereignisse vom 11. – 13. Juli 2015, in denen erneut Verhandlungen der Finanzminister und Regierungschefs (Euro-Gipfel) der europäischen Eurozone stattfanden. Es stand sogar ein Ausschluss oder eine „Auszeit“ Griechenlands aus dem Währungsraum zur Debatte, doch letztendlich einigte man sich auf Bedingungen eines weiteren, dritten Hilfspaket in Milliardenhöhe.

Zur Vorbereitung der Verhandlungen hatte das Finanzministerium ein Dokument erarbeitet, das am 10. Juli einigen europäischen Politikern und Beamten zugeleitet worden sei – allerdings nicht dem Deutschen Bundestag. Dieser wurde über die Ergebnisse des Euro-Gipfels erst am 14. und am 16. Juli 2015 unterrichtet. Zu spät, meint die Grünenfraktion – und rief das BVerfG an.

Ausgangspunkt: Art. 23 II 2 GG

Den rechtlichen Ausgangspunkt bildet Art. 23 GG, der mit Wirkung zum 25.12.1992 in das Grundgesetz eingefügt wurde. Art. 23 I GG enthält eine Integrationsklausel, wodurch unsere nationale Rechtsordnung in europäischer Hinsicht geöffnet wird: Nach Art. 23 I 2 GG kann der Bund per Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, Hoheitsrechte auf die Europäische Union übertragen. Hier liegt eine hohe europarechtliche Prüfungsrelevanz, Stichwort: Solange-Rechtsprechung des BVerfG. In der vorliegenden Entscheidung des BVerfG geht es um Art. 23 II GG:

In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

In Art. 23 II 2 GG ist damit eine Informationspflicht normiert, aus dem gleichermaßen ein Unterrichtungsrecht des Bundestags ergeht. Die Bundesregierung muss dabei zum frühestmöglichen Zeitpunkt informieren. War das hier der Fall?

BVerfG bestätigt Verletzung

Der Antrag der Fraktion sei begründet und damit erfolgreich, hat das BVerfG entschieden. Die Bundesregierung habe den Deutschen Bundestag in seinem Unterrichtungsrecht aus Art. 23 II 2 GG verletzt, indem sie es unterlassen habe, ihn vor den Gesprächen vom 11. – 13. Juli 2015 umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über ihre Verhandlungslinie zu Griechenland zu unterrichten. Eine frühzeitige Unterrichtung sei wesentlich für eine effektive Einflussnahme auf die Willensbildung der Bundesregierung, argumentierten die Karlsruher Richter:innen. Gerade dann, wenn es sich um so komplexe Angelegenheiten wie die Griechenland-Krise handele, sei eine intensive Unterrichtung geboten. Schließlich würden die Verhandlungen über das Milliarden-Hilfspaket „unmittelbar das Budgetrecht und die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestags“ betreffen.

Und bezüglich des Zeitpunkts fand der Zweite Senat deutliche Worte: Der Deutsche Bundestag müsse die Informationen spätestens dann erhalten, wenn er noch in der Lage ist, sich fundiert mit dem Vorgang zu befassen und Stellung zu beziehen – bevor die Bundesregierung nach außen wirksame Erklärungen abgibt. Dies sei bei den Ereignissen im Juli 2015 nicht der Fall gewesen. Der Deutsche Bundestag habe einen Informationsanspruch noch vor dem Euro-Gipfel gehabt.

Grenze der Informationspflicht: Art. 20 II 2 GG

Eine Unterrichtungspflicht der Bundesregierung sei auch nicht begrenzt gewesen. Art. 23 II 2 GG finde seine Grenzen im Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 II 2 GG).

Die Regierung besitzt einen Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung, der einen grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich einschließt.

Dazu gehöre auch die Willensbildung der Bundesregierung – doch eine Grenze lasse sich dann ziehen, wenn und soweit sie schon Zwischenergebnisse erreicht oder Positionierungen ausgearbeitet habe. Die Willensbildung der Bundesregierung sei jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn sie über eine regierungsinterne Abstimmung hinaustrete und in einen „Abstimmungsprozess mit Dritten“ eintreten wolle.

Überblick: Rechtsstaatsprinzip
Relevante Lerneinheit

Die Bundesregierung habe sich zwar darauf berufen, dass ihre Verhandlungsposition vor Beginn der Gespräche noch nicht endgültig festgelegt gewesen sei. Damit konnte sie das BVerfG nicht überzeugen. Wenn die Bundesregierung im Rahmen einer überaus bedeutsamen Angelegenheit Lösungsvorschläge in die Diskussion mit ihren europäischen Partnern einführe, so das Gericht, unterliege auch dieser nach außen gerichteter Willensentschluss der Informationspflicht nach Art. 23 II 2 GG. Durch die Übersendung des Dokuments am 10. Juli 2015 an die europäischen Politiker und Beamte habe festgestanden, dass die Bundesregierung dessen Inhalt den europäischen Verhandlungspartnern vortragen würde. Spätestens dann hätte der Bundestag informiert werden müssen.

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