Sollen Corona-Maßnahmen jetzt bundeseinheitlich geregelt werden?

Sollen Corona-Maßnahmen jetzt bundeseinheitlich geregelt werden?

Wie ist die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern geregelt?

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist unzufrieden damit, wie einige Bundesländer die Corona-Maßnahmen umsetzen. Deswegen droht sie jetzt bundeseinheitliche Regelungen an, sollten die Länder notwendige Maßnahmen gegen die dritte Corona-Welle verweigern. Geht das überhaupt? Wie ist das hier mit der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern? Wo ist das gesetzlich geregelt und kann der Bund den Ländern die Kompetenz einfach so “wegnehmen”?

Worum geht es?

Einige Bundesländer, kritisierte Bundeskanzlerin Merkel im Anne Will-Interview, seien sich offenbar der großen Ernsthaftigkeit der Situation nicht bewusst. Jetzt müssten die nötigen Maßnahmen ergriffen werden, um die dritte Infektionswelle zu brechen. Wenn dies nicht “in sehr absehbarer Zeit” geschehe, müsse sie sich überlegen, wie sich das vielleicht auch bundeseinheitlich strenger regeln lasse. Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) fordert vor dem Hintergrund stetig steigender Fallzahlen, dass der Bund im Kampf gegen die Corona-Pandemie die Zügel in die Hand nimmt und bundesweit einheitliche Regeln erzwingt. Der Bund habe “von jeher die Gesetzgebungskompetenz auf diesem Gebiet”, sagte Seehofer, “man muss nur Gebrauch davon machen”.

Infektionsschutz derzeit Sache der Länder

Welche Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie überhaupt möglich sind, ist in Deutschland im Infektionsschutzgesetz (IfSG) geregelt. Das IfSG ist ein Bundesgesetz, welches generell den Zweck verfolgt, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern. Derzeit sind für die konkrete Umsetzung, also die Anordnung beispielsweise von Kontaktbeschränkungen, die Schließung von Geschäften oder die Verhängung von Ausgangsbeschränkungen laut IfSG allein die einzelnen Bundesländer zuständig. Sie können frei entscheiden, welche Corona-Beschränkungen vor Ort gelten sollen und welche nicht und regeln dies in eigenen Verordnungen. Wäre eine bundeseinheitliche Regelung überhaupt möglich? Wie ist das rechtlich zu beurteilen? 

Rechtlich wäre eine bundeseinheitliche Regelung grundsätzlich möglich. Art. 74 GG regelt die konkurrierende Gesetzgebung zwischen Bund und Ländern. Das bedeutet, dass die Länder nur zuständig sind, soweit der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz keinen Gebrauch macht. Gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG sind “Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren, Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe, sowie das Recht des Apothekenwesens, der Arzneien, der Medizinprodukte, der Heilmittel, der Betäubungsmittel und der Gifte” Teil der konkurrierenden Gesetzgebung. Bislang hat der Bund zwar Regelungen getroffen, die Landesregierungen aber dazu ermächtigt, diese in Verordnungen auszugestalten. Daher sind derzeit zwar die Länder zuständig. Eine bundeseinheitliche Regelung durch die Bundesregierung wäre aber möglich. Dazu müssten die mit der Materie befassten Ministerien eine Gesetzesvorlage erarbeiten, die anschließend im Kabinett beschlossen und dem Bundestag zugeleitet werden müsste. Eine Maßnahme wäre, das IfSG zu ändern und konkrete Handlungsmaßnahmen zu benennen - wie beispielsweise die Schließung des Einzelhandels ab einem Inzidenzwert von 100. Es könnte aber auch ein neues Gesetz beschlossen werden, in dem genau geregelt ist, welche Maßnahmen bei welchem Infektionsgeschehen ergriffen werden müssen.

Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 70 ff. GG
prüfungsrelevante Lerneinheit

Der Bundesrat, welcher sich aus Vertretern der Länder zusammensetzt, ist jedoch auch Teil des Gesetzgebungsverfahrens. Ob dieser eine Kompetenzübertragung auf den Bund gut heißt, ist fragwürdig. Um herauszufinden, ob der Bundesrat eine mögliche Änderung des IfSG durch die Verweigerung seiner Zustimmung verhindern kann, bedarf es der Unterscheidung zwischen Zustimmungs- und Einspruchsgesetz. Welche Gesetze zustimmungsbedürftig sind, ist ausdrücklich und abschließend im Grundgesetz geregelt. Im Wesentlichen lassen sich drei Gruppen unterscheiden: **Gesetze, die die Verfassung ändern.**Hier muss der Bundesrat sogar mit einer Zweidrittelmehrheit (46 Stimmen) zustimmen (Artikel 79 Abs. 2 GG). **Gesetze, die in bestimmter Weise Auswirkungen auf die Finanzen der Länder haben.**Hierunter fallen auf der Einnahmeseite alle Gesetze über Steuern, an deren Aufkommen die Länder oder Gemeinden beteiligt sind (Artikel 105 Abs. 3 GG): zum Beispiel die Lohn- und Einkommensteuer, die Mehrwertsteuer und die Gewerbesteuer. Auf der Ausgabenseite zählen hierzu alle Bundesgesetze, die Pflichten der Länder zur Erbringung von Geldleistungen, geldwerten Sachleistungen oder vergleichbare Dienstleistungen gegenüber Dritten begründen (Artikel 104a Abs. 4 GG). **Gesetze, für deren Umsetzung in die Organisations- und Verwaltungshoheit der Länder eingegriffen wird.**Die Länder haben das Recht, von bundesgesetzlichen Regelungen über die Einrichtung der Behörden und über das Verwaltungsverfahren durch Landesgesetz abweichen zu dürfen. Die Zustimmung des Bundesrates ist insoweit nur erforderlich, wenn im Bundesgesetz wegen eines besonderen Bedürfnisses nach bundeseinheitlicher Regelung das Verwaltungsverfahren ausnahmsweise ohne Abweichungsmöglichkeit für die Länder geregelt wird (Artikel 84 Abs. 1 GG).

Beim Infektionsschutz bedarf es somit zwar nicht der Zustimmung des Bundesrates. Da es sich bei IfSG um ein Einspruchsgesetz handelt, kann der Bundesrat aber Einspruch einlegen. Durch diesen und die Einberufung des Vermittlungsausschusses, welcher sich aus Mitgliedern des Bundestags und Bundesrats zusammensetzt, könnte die Länderkammer das Gesetzgebungsverfahren aber zumindest verzögern. Strittig ist außerdem, was gilt, wenn der Infektionsschutz mit anderen Themen wie Bildung, zum Beispiel in Form von Schulschließungen, zusammen trifft. Denn Bildung ist Sache der Länder.

Die Ankündigung Merkels ist sicher dazu geeignet, Druck auf die Länder auszuüben. Eine Kompetenzübertragung wäre auch grundsätzlich möglich. Eine Umsetzung würde jedoch einige Zeit dauern und vor allem im Bundesrat für Debatten sorgen. Abzuwarten bleibt also, ob es sich dabei nur um eine Drohung handelt.

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