Mord oder versuchte Körperverletzung mit Todesfolge?
In der Nacht zum 30. Oktober 2019 wurde ein 30-jähriger Mann an einer Berliner U-Bahn-Haltestelle in das Gleisbett gestoßen und von einer einfahrenden U-Bahn erfasst. Er verunglückte dabei tödlich. Nachdem der damals 27-jährige Täter vom Landgericht Berlin im Mai 2020 wegen versuchter Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt wurde, hat der BGH in der Revision der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin jüngst das Urteil aufgehoben. Der Fall muss nun neu verhandelt und entschieden werden. Was sagt der BGH?
Körperverletzung mit Todesfolge, § 227 StGB
Prüfungsrelevante Lerneinheit
Der Tathergang
In der aktuellen Pressemitteilung des BGH wird der Tathergang wie folgt zusammengefasst: Nach den Feststellungen des Landgerichts kam es in der Nacht zum 30. Oktober 2019 auf dem Bahnsteig des Berliner U-Bahnhofs Kottbusser Tor zwischen mehreren Personen aus der Betäubungsmittel Szene zu einem Streit, an dem sich auch der unter dem Einfluss von Drogen und Alkohol stehende Angeklagte und das spätere Tatopfer beteiligten. Als das Tatopfer sich vom Ort der Auseinandersetzung entfernte, folgte ihm der Angeklagte und stieß den Mann aus vollem Lauf mit einer solchen Wucht gegen den Rücken, dass er über die Bahnsteigkante in das Gleisbett stürzte. In dem Moment des Stoßes fuhr auf dem Gleis eine U-Bahn ein und erfasste das Opfer, das tödlich verletzt wurde. Die Schwurgerichtskammer konnte weder feststellen, dass der Angeklagte das Einfahren der Bahn wahrgenommen habe, noch dass er hinsichtlich einer tödlichen Verletzung seines Opfers vorsätzlich gehandelt habe. Er habe diese Folge aber vorhersehen können. Im Prozess hatte der Angeklagte außerdem erklärt, er habe keine vollständige Erinnerung an die Tat. Er könne nicht fassen, dass er „einen so schweren Fehler begangen habe“. Er habe den Mann nicht töten wollen.
Das sagen die Gerichte
Das Landgericht Berlin hat den Angeklagten im Mai 2020 wegen versuchter Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt und daneben eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet (Urteil v. 29. Mai 2020 – (522 Ks) 234 Js 270/19 (1/20)). Ein Tötungsvorsatz hat das LG Berlin nicht feststellen können. Die Anklage der Staatsanwaltschaft wirft dem Täter hingegen einen heimtückischen Mord gem. §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Alt. 5 StGB vor und fordert eine lebenslange Haftstrafe. Der Konflikt der beiden Männer sei zu dem Tatzeitpunkt bereits beendet gewesen, sodass sich das Opfer keiner Gefahr mehr bewusst gewesen sei, als es gestoßen wurde - dies wertet die Staatsanwaltschaft als Heimtücke.
Prüfungsaufbau: Mord, § 211 StGB
Prüfungsrelevante Lerneinheit
Aber wann liegt das Mordmerkmal der Heimtücke überhaupt vor? Die Heimtücke ist ein objektives – oder auch tatbezogenes – Mordmerkmal, welches das äußere Bild der Tat prägt. Es wird im objektiven Tatbestand geprüft. Der Täter muss hinsichtlich des Mordmerkmals vorsätzlich gehandelt haben. Heimtückisch tötet nach ständiger Rechtsprechung derjenige, der die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers in feindlicher Willensrichtung bewusst zur Tötung ausnutzt. Arglos ist derjenige, der sich zu Beginn der Tat keines Angriffs auf sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit versieht. Wehrlos ist, wer infolge seiner Arglosigkeit zur Verteidigung außerstande oder in seiner Verteidigung stark eingeschränkt ist.
Die Revision der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin hatte vor dem BGH jetzt Erfolg – die des Angeklagten hingegen nicht. Der in Leipzig ansässige 5. Strafsenat hat das Urteil des LG Berlin aufgehoben. Die Begründung des Schwurgerichts, mit der es einen Tötungsvorsatz des Angeklagten verneint, habe revisionsrechtlicher Prüfung nicht standgehalten. Nach Ansicht des BGH habe sich das Landgericht unzureichend damit auseinandergesetzt, welche Vorstellung der Angeklagte über eine mögliche Rettung seines Opfers hatte. Nun muss das Schwurgericht erneut einen Tötungsvorsatz überprüfen.
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