BVerfG: Elektronische Fußfessel ist verfassungskonform

BVerfG: Elektronische Fußfessel ist verfassungskonform

Verfassungsbeschwerden liegen beinahe 10 Jahr zurück

Mit kürzlich veröffentlichten Beschluss hat das BVerfG entschieden, dass das Tragen einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung, auch bekannt unter dem Begriff “elektronische Fußfessel”, verfassungskonform ist. Die Verfassungsbeschwerden der beiden Beschwerdeführer, die Ausgangspunkt für die 58 Seiten starke Entscheidung des BVerfG waren, liegen nun fast zehn Jahre zurück.

Worum geht es?

Die Regelungen zur elektronischen Fußfessel aus § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 12, Satz 3 StGB in Verbindung mit § 463a Abs. 4 StPO seien mit dem Grundgesetz vereinbar. Hierin liege laut BVerfG zwar ein tiefgreifender Grundrechtseingriff insbesondere in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Gleichwohl sei dieser Grundrechtseingriff aufgrund des Gewichts der geschützten Belange zumutbar und stehe nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der Rechtsgüter, deren Schutz die elektronische Aufenthaltsüberwachung bezwecke.

Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Art. 2 I, 1 I GG
Prüfungsrelevante Lerneinheit

Die umgangssprachlich genannte elektronische Fußfessel wurde durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010, in Kraft getreten am 1. Januar 2011, eingeführt. Anlass war ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Darin hielt der EGMR die Fortdauer der Sicherungsverwahrung nach Ablauf der im Zeitpunkt der Verurteilung geltenden Höchstfrist von zehn Jahren für konventionswidrig. Das Urteil hatte zur Folge, dass Personen mit negativer Rückfallprognose in die Freiheit entlassen und sodann teilweise rund um die Uhr polizeilich überwacht wurden. Die elektronische Aufenthaltsüberwachung sollte nach dem Willen des Gesetzgebers derartige Überwachungsmaßnahmen entbehrlich machen. Die Aufenthaltsbestimmung könne dabei mittels Global Positioning System (GPS) erfolgen. Voraussetzung sei, dass ein entsprechendes Empfangsgerät am Fuß der Betroffenen angebracht werde.

Die elektronische Aufenthaltsüberwachung wurde in den Katalog der Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht des § 68b Abs. 1 Satz 1 StGB als Nummer 12 eingefügt. Deren Anordnung setzt nach § 68b Abs. 1 Satz 3 und Satz 4 StGB im Wesentlichen voraus, dass die Führungsaufsicht auf Grund der vollständigen Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren oder der Erledigung einer Maßregel, die aufgrund einer Straftat der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genannten Art verhängt oder angeordnet wurde, eingetreten ist und die Gefahr besteht, dass die verurteilte Person weitere qualifizierte Straftaten begehen wird. Die Weisung muss zudem erforderlich erscheinen, um die verurteilte Person von der Begehung weiterer qualifizierter Straftaten abzuhalten. Bei den qualifizierten Straftaten handelt es sich insbesondere um Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung und Straftaten gegen die öffentliche Ordnung. Die von der Aufsichtsstelle im Rahmen der elektronischen Aufenthaltsüberwachung gespeicherten Daten dürfen ohne Einwilligung der betroffenen Person nur verwendet werden, wenn dies zu bestimmten Zwecken erforderlich ist (§ 463a StPO). Zu diesen Zwecken gehören insbesondere die Feststellung und Ahndung eines Verstoßes gegen eine Weisung, die Abwehr einer erheblichen gegenwärtigen Gefahr für gewichtige Rechtsgüter und die Verfolgung einer qualifizierten Straftat.

Die Beschwerdeführer: zwei ehemalige Sexualstraftäter

Ausgangspunkt des Beschlusses waren die Klagen zweier ehemaliger Sexualstraftäter. Einer von ihnen war in den 90er Jahren unter anderem wegen Mordes und Gefangenenmeuterei zu mehreren Freiheitsstrafen von insgesamt 20 Jahren verurteilt worden. Der andere wurde aufgrund wiederholter Vergewaltigungen zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Die Beschwerdeführer wurden nach Verbüßung ihrer langjährigen Freiheitsstrafen 2011 aus der Haft entlassen. Da es sich bei beiden um “Vollverbüßer” handelt, trat bei ihnen die sogenannte Maßregel der Führungsaufsicht ein, weshalb sie zunächst polizeilich beobachtet wurden. Deren Zweck ist es, entlassene Straftäter bei ihrer Resozialisierung zu unterstützen, aber auch für eine angemessene Kontrolle ihres zukünftigen Verhaltens zu sorgen. 

Eine Weisungsmaßnahme des § 68b Abs. 1 S. 1 StGB ist unter anderem die elektronische Aufenthaltsüberwachung. Die Fachgerichte - in diesem Fall das LG und OLG Rostock - ordneten diese als Weisung im Rahmen der Führungsaufsicht an, woraufhin ihnen die „elektronische Fußfessel“ angelegt wurde. Dagegen wandten sich die Beschwerdeführer im Wege der Verfassungsbeschwerde an das BVerfG. 

Schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen

Welche Grundrechte der Beschwerdeführer könnten durch das Tragen einer Fußfessel betroffen sein? 

Die Beschwerdeführer rügten insbesondere einen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 - Menschenwürdeund allgemeines Persönlichkeitsrecht - in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sowohl in seiner Ausprägung als informationelles Selbstbestimmungsrecht als auch in seiner Ausprägung als Resozialisierungsgebot. Darüber hinaus machen sie eine Verletzung von Art. 12 GG, Art. 11 GG und Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG sowie Art. 103 Abs. 2 GG beziehungsweise des allgemeinen Vertrauensschutzgebotes und schließlich von Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG geltend.

Das BVerfG hatte also eine Menge Grundrechte zu prüfen. Es verneint zunächst einen Eingriff in die Menschenwürdegarantie aus Art. 1 Abs. 1 GG. Argumentiert wird vor allem damit, dass die Fußfessel “nur” anlassbezogen den Aufenthaltsort der betreffenden Person übermittelt. Es finde weder eine optische noch akustische Überwachung statt. Eine genaue Ortung innerhalb der Wohnung habe der Gesetzgeber zudem strikt untersagt. Es sei weder möglich, die Betroffenen rundum zu überwachen, noch ein Persönlichkeitsprofil zu erstellen. Die bloße Feststellung des Aufenthaltsortes mittels GPS erreiche in der Regel nicht den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung.

Menschenwürde, Art. 1 I GG
Prüfungsrelevante Lerneinheit

Auch seien die Beschwerdeführer nicht in ihremAllgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verletzt. Die elektronische Aufenthaltsüberwachung stelle zwar einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff dar, indem sie tief in die Privatsphäre des Weisungsunterworfenen eindringt und dessen durch das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Menschenwürde gewährleistete Autonomie, sein Leben frei zu gestalten und seine Individualität zu entwickeln, beeinträchtigt. Sie sei aber mit der Verfassung in den Fällen vereinbar, soweit sie dem Schutz hinreichend gewichtiger Rechtsgüter dient, für deren Gefährdung oder Verletzung im Einzelfall konkrete, tatsächliche Anhaltspunkte bestehen. Diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben trage § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 12, S. 3 StGB Rechnung. Der intensive Grundrechtseingriff sei aufgrund des Gewichts der geschützten Belange zumutbar und stehe insbesondere nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der Rechtsgüter, deren Schutz die elektronische Aufenthaltsüberwachung bezwecke. Eine entsprechende Weisung dürfe nur erlassen werden, wenn die hinreichend konkrete Gefahr bestehe, dass der Betroffene weitere schwere Straftaten der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genannten Art begehen könnte, weshalb die gesetzlichen Vorschriften verhältnismäßig seien.

Ein Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Resozialisierungsgebot aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG liege auch nicht vor. Durch das Anlegen der Fußfessel werde die eigenverantwortliche Lebensgestaltung oder die Wiedereingliederung des Betroffenen in die Gesellschaft nicht wesentlich erschwert. Die elektronische Fußfessel sei im alltäglichen, sozialen Umgang nicht ohne Weiteres erkennbar. Das mittels Fußband angebrachte Sendegerät lasse sich durch übliche Kleidung ohne größere Schwierigkeiten verdecken. Betroffene würden jedenfalls nicht „sichtbar gebrandmarkt“ und es sei nicht unmöglich, die „elektronische Fußfessel“ auch im engeren sozialen Bereich zu verbergen, so das BVerfG. Die damit verbundenen Einschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit seien jedenfalls zum Schutz der hochrangigen Rechtsgüter des Lebens, der Freiheit, der körperlichen Unversehrtheit und der sexuellen Selbstbestimmung Dritter gerechtfertigt.

Die Beschwerdeführer seien auch nicht in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verletzt. Im Rahmen der Überwachung würden zwar durchgehend Daten der Weisungsbetroffenen erhoben, die dem Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts unterfallen. Die Erhebung und Verarbeitung dieser Daten sei in § 463a Abs. 4 StPO aber in einer Weise geregelt, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten Rechnung trage.

Dass das Tragen einer Fußfessel zu Gesundheitsbeeinträchtigungen führen können - Stichwort Recht auf körperliche Unversehrtheit - und bei der Ausübung eines Berufes hinderlich sein könnte, sieht das BVerfG zwar. Doch hat das Gericht auch dagegen wegen der mit dieser Maßnahme avisierten Zielgruppe nichts zu meckern. Die allenfalls geringfügigen Eingriffe seien auch hier gerechtfertigt. 

Die anderen von den Beschwerdeführern angeführten Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte seien nicht betroffen. 

Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers

Obwohl die Verfassungsbeschwerden vor dem BVerfG keinen Erfolg hatten, haben die Richter dem Gesetzgeber eine Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht auferlegt. In den Verhältnismäßigkeitsprüfungen haben die Richter zwei Studien des Freiburger Max-Planck-Instituts und des Tübinger Instituts für Kriminologie angeführt und darauf hingewiesen, dass bisher zwar keine gesicherten Erkenntnisse darüber vorlägen, dass die Fußfesseln tatsächlich zu einer Reduzierung des Rückfallrisikos ihrer Träger beitragen. Deren Einsatz könne laut Gericht aber auch nicht als “generell wirkungslos” bezeichnet werden. Deshalb hat das BVerfG dem Gesetzgeber eine besondere Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht auferlegt. So sei er “verpflichtet, die spezialpräventiven Wirkungen der elektronischen Aufenthaltsüberwachung empirisch zu beobachten und das gesetzliche Regelungskonzept gegebenenfalls den dabei gewonnenen Erkenntnissen anzupassen”.

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