Gilt hier eine staatliche Handlungspflicht gegenüber Einzelnen?
Wenn jemandem im Rechtsverkehr ein Fehler unterläuft und einer anderen Person dadurch ein Schaden entsteht, kann diese in aller Regel eine Entschädigung verlangen. Dieser Rechtsgrundsatz gilt in Deutschland sogar für denjenigen, der die Regeln erlässt: den Staat. Dieser Anspruch des Bürgers gegen Verletzungen durch den Staat wird Amtshaftungsanspruch genannt. Der Amtshaftungsanspruch ist in Art. 34 GG geregelt, welcher besagt, dass, wenn jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt, die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft trifft, in deren Dienst er steht. Aber haftet der Staat auch dann, wenn er fehlerhafte Gesetze erlässt?
Staatshaftungsrechtliche Anspruchsgrundlagen
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Worum geht es?
Mit dieser Frage musste sich der Bundesgerichtshof (BGH) am vergangenen Donnerstag beschäftigen. Es ging um eine fehlerhaft erlassene Verordnung zur sogenannten Mietpreisbremse des Bundeslandes Hessen, welche einige Mieter viel Geld kostete. Laut der Entscheidung des BGH hat der Staat bei fehlerhaften Gesetzen zur Mietbegrenzung den entstandenen finanziellen Schaden des Bürgers nicht zu ersetzen (Urteil vom 28. Januar 2021 – III ZR 25/20). Der BGH knüpfte mit dieser Entscheidung an seine langjährige Rechtsprechung an, nach der der Staat nicht für legislatives Unrecht haftet.
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin, der Rechtsdienstleister “wenigermiete.de”, nahm das Land Hessen aus abgetretenem Recht eines Ehepaares auf Schadensersatz wegen der Unwirksamkeit der von der Landesregierung 2015 erlassenen Mietenbegrenzungsverordnung in Anspruch.
Die ursprünglichen Rechtsinhaber mieteten im Jahr 2017 eine Wohnung in Frankfurt am Main an. Der betreffende Stadtteil war in der Mietenbegrenzungsverordnung als Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt im Sinne von § 556d II BGB festgelegt. Die Klägerin nahm aus abgetretenem Recht der Mieter deren Vermieterin in einem Vorprozess auf Rückzahlung überhöhter Miete in Anspruch, wobei sie sich auf die Mietenbegrenzungsverordnung stützte. Diese Verordnung ist indes wegen Verstoßes gegen die in § 556d II S. 5 bis 7 BGB bestimmte Begründungsverpflichtung unwirksam. Deshalb wurde die Klage der Klägerin abgewiesen.
Die hessische Mietenbegrenzungsverordnung
Das Gesetz zur Mietpreisbremse wurde 2015 eingeführt. Es erlaubt den Ländern für einzelne “Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten” per Verordnung für bis zu fünf Jahre festzulegen, dass die Mieten dort bei Abschluss des Mietvertrags nur noch maximal zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen dürfen – Ausnahmen gelten für Neubauten und bei umfassenden Sanierungen. Mit diesem Instrument sollte den stetig steigenden Wohnungspreisen in besonders gefragten Ballungsgebieten begegnet werden.
Die hessische Mietbegrenzungsverordnung von 2015 wurde 2019 durch den BGH für nichtig erklärt (Urt. v. 17.07.2019, Az. VIII ZR 130/18). Der Verordnung lag laut BGH keine hinreichende Begründung zugrunde. Die Länder müssten insbesondere darlegen,
“auf Grund welcher Tatsachen ein Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt im Einzelfall vorliegt. Ferner muss sich aus der Begründung ergeben, welche Maßnahmen die Landesregierung in dem nach Satz 1 durch die Rechtsverordnung jeweils bestimmten Gebiet und Zeitraum ergreifen wird, um Abhilfe zu schaffen.”
Die Begründung des BGH: keine staatliche Handlungspflicht gegenüber Einzelnen
In dem Verfahren, das der BGH jetzt entschieden hat, machte die Klägerin (“wenigermiete.de”) gegen das beklagte Land Hessen als Schaden der Mieter geltend, dass diesen bei Wirksamkeit der Mietenbegrenzungsverordnung ein Rückzahlungsanspruch gegen die Vermieterin für die im August 2017 gezahlte Miete zugestanden hätte. Sie hält die Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruchs gemäß § 839 BGB für gegeben. Mit dem Erlass der fehlerhaften Verordnung habe das beklagte Land eine ihm gegenüber den Mietern obliegende Amtspflicht verletzt.
Der unter anderem für Rechtsstreitigkeiten über Schadensersatzansprüche gegen juristische Personen des öffentlichen Rechts zuständige III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass Mietern keine Amtshaftungsansprüche zustehen, wenn eine Landesregierung eine Mietenbegrenzungsverordnung mit weitem räumlichem und persönlichem Geltungsbereich erlässt, die jedoch wegen Verstoßes gegen die Pflicht zur Begründung der Verordnung unwirksam ist.
Das OLG Frankfurt als Vorinstanz habe zu Recht ausgeführt, es bestünden regelmäßig keine Amtshaftungsansprüche wegen Nachteilen, die durch die Gesetzgebung entstanden seien. Mit seinem legislativen Handeln verfolge der Staat Gemeinwohlinteressen. § 556d BGB und die darauf beruhenden Rechtsverordnungen verfolgten außerdem ein sozialpolitisches Ziel. Sozialstaatliche Zielsetzungen würden sich regelmäßig nicht zu staatlichen Handlungspflichten gegenüber Einzelnen oder Gruppen verdichten.
Der BGH bestätigte außerdem, dass eine besondere Beziehung zwischen der verletzten Amtspflicht und dem geschädigten Dritten bestehen müsse. Die hessische Mietenbegrenzungsverordnung betreffe angesichts ihres weiten räumlichen und persönlichen Geltungsbereichs nicht einzeln identifizierbare Mieter (und Vermieter), sondern einen unüberschaubar großen und nicht individuell begrenzten Personenkreis. Dementsprechend handele es sich bei der Verordnung um eine ihrem Zweck nach allein auf die Wahrung des Interesses der Allgemeinheit und nicht bestimmter Einzelner oder eines bestimmten Personenkreises gerichtete Regelung.
Amtshaftung, § 839 BGB, Art. 34 GG
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Auch eine mögliche Verletzung wegen eines Eingriffs in eine geschützte Grundrechtsposition könne daran nichts ändern, so der BGH. Ob überhaupt eine betroffen war, könne laut BGH offenbleiben. Jedenfalls führe nicht jede Grundrechtsbeeinträchtigung durch staatliche Amtsträger zur Staatshaftung. § 839 I S. 1 BGB komme hier nicht zur Anwendung. Die erhebliche Ausdehnung der Staatshaftung für legislatives Unrecht, die mit der Annahme einer Drittbezogenheit bei jeder Beeinträchtigung subjektiver Rechte von Grundrechtsträgern durch grundrechtswidrige Gesetzgebung zwangsläufig verbunden wäre, komme außerdem jedenfalls nicht im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung in Betracht.
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