Die Anwaltsklausur im Zivilrecht - Teil 12

Die Anwaltsklausur im Zivilrecht - Teil 12

Einspruch des Beklagten gegen ein Versäumnisurteil – Zweckmäßigkeit und Einspruchsschrift

Nachdem wir in den letzten Beiträgen die folgenden Punkte bereits besprochen haben:

A. Begehr des MandantenB. Prozessuales GutachtenC. Materielles Gutachten

widmen wir uns nunmehr den Zweckmäßigkeitserwägungen.

D. Zweckmäßigkeitserwägungen

In den Zweckmäßigkeitserwägungen geht es wieder darum, ob es der effektivste Weg für die Mandantin ist, Einspruch einzulegen.

1. Wie sind die Erfolgsaussichten für einen Einspruch?

Das ist zunächst davon abhängig, wie sich nach dem materiellen Gutachten die Erfolgsaussichten eines Einspruchs darstellen. Ist es überwiegend wahrscheinlich, dass das Versäumnisurteil Bestand haben wird, ist aus Kostengründen nicht zum Einspruch zu raten.

2. Sollte der Einspruch beschränkt werden?

Hat der Einspruch nur teilweise Erfolg, könnte es angezeigt sein, ihn auf diesen Teil zu beschränken. Das hätte Auswirkungen auf die Terminsgebühren der Anwälte, die dann nur auf den geringeren Streitwert anfallen würden, da über den Rest nicht mehr verhandelt werden muss.

3.  Soll ein Gegenanspruch geltend gemacht werden?

Hier kann auf die Ausführungen zur Beklagtenklausur verwiesen werden.

4. Soll einem Dritten der Streit verkündet werden?

Hier gilt ebenfalls das zur Beklagtenklausur Gesagte.

5.  Soll für den Mandanten PKH beantragt werden?

Auch für einen PKH-Antrag gibt es keine Besonderheiten zu beachten.

6.  Sollte gegen die Kostentragungslast aus § 344 ZPO vorgegangen werden?

Nach § 344 ZPO hat die säumige Partei selbst dann die Kosten ihrer Säumnis zu tragen, wenn sie den Rechtsstreit gewinnt. Hierunter fallen eine 0,5-Terminsgebühr für den Anwalt des Klägers (Nr. 3105 VV RVG) und seine mögliche Reisekosten.

Das gilt nur dann nicht, wenn das Versäumnisurteil gemäß §§ 335, 337 ZPO unzulässig war, was du bei entsprechenden Anhaltspunkten an dieser Stelle prüfen musst.

7. Soll die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung beantragt werden?

Ein wichtiger Punkt, der leider häufig vergessen wird, ist der Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach §§ 707, 719 ZPO.

Das Versäumnisurteil ist ohne Sicherheitsleistung und ohne Abwendungsbefugnis vorläufig vollstreckbar (§§ 708 Nr. 2, 711 ZPO). Der Mandant läuft also Gefahr, dass der Kläger aus dem Versäumnisurteil vollstreckt. Damit entsteht zudem das Risiko, den Vollstreckungsgegenstand nach Aufhebung des Versäumnisurteils nicht zurückzuerhalten.

Gemäß §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO sollte deshalb die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung beantragt werden. Das ist grundsätzlich nur gegen Sicherheitsleistung zulässig (§ 719 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Ohne Sicherheitsleistung kann die Einstellung wiederum dann erfolgen, wenn das Versäumnisurteil unzulässig war.

8. Beispielsfall

„Die dargestellten Erfolgsaussichten der Rechtsverteidigung sprechen dafür, Einspruch einzulegen. Erhebliche Risiken bestehen nicht.

Die Mandantin müsste auch im Fall des Obsiegens die Kosten ihrer Säumnis im Termin vom 14. September 2020 tragen (§ 344 ZPO). Hier kommt die 0,5-Terminsgebühr des Klägervertreters in Betracht (100,50 Euro). Das gilt dann nicht, wenn der Erlass des Versäumnisurteils unzulässig war. Hierunter fällt die schuldlose Versäumung des Termins (§ 337 ZPO). An dieser Stelle kann also auf die Ausführungen zum Wiedereinsetzungsgrund verwiesen werden.

Außerdem könnte es sachgerecht sein, für die Mandantin die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 719 Abs. 1 ZPO zu beantragen, um die Mandantin vor einer vorläufigen Vollstreckung des Urteils zu bewahren, die sie sonst nicht abwenden könnte (§§ 708 Nr. 2, 711 ZPO). Da das Versäumnisurteil unzulässig war, wird die Einstellung ohne Sicherheitsleistung erfolgen.“

E. Einspruchsschrift

Die Einspruchsschrift selbst weist nur wenige Besonderheiten gegenüber der allgemeinen Beklagtenklausur auf.

I. Inhalt (§§ 340 Abs. 2, 3, 130 ZPO)

Der Inhalt der Einspruchsschrift richtet sich im Besonderen nach § 340 Abs. 2, 3 ZPO.

Sie muss das Versäumnisurteil bezeichnen und die Erklärung enthalten, dass und in welchem Umfang Einspruch eingelegt wird.

In ihr sind sämtliche Verteidigungsmittel des Beklagten aufzuführen, soweit es nach der Prozessleitung einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozessführung entspricht. Hier gilt nichts anderes als für die Klageerwiderung. Der Beklagte muss also auf den Klägervortrag reagieren und ggf. die Voraussetzungen von Einwendungen und Einreden darlegen.

II. Darstellung

1. Rubrum

Für das Rubrum kannst du dich an der Klageerwiderung orientieren. Der Schriftsatz sollte mit „Einspruch“ überschrieben sein.

2. Überleitungssatz

„legitimiere ich mich für den Beklagten. Namens und im Auftrag des Beklagten lege ich gegen das am … zugestellte Versäumnisurteil vom …

Einspruch

ein.“

3. Vollstreckungsschutz

Den Vollstreckungsschutzantrag solltest du an den Anfang setzen, um sicherzustellen, dass ihn das Gericht nicht übersieht. Hier geht es um eine schnellstmögliche Entscheidung.

„Vorab beantrage ich,

                 *die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil vom … ohne, hilfsweise gegen Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen.“*
4. Sachantrag

Der Sachantrag muss darauf reagieren, dass es mit dem Versäumnisurteil bereits einen Titel für den Kläger gibt. Hier kannst du dich an § 343 ZPO orientieren.

„Im Einspruchstermin werde ich beantragen:

 „das Versäumnisurteil vom … aufzuheben und die Klage abzuweisen.“

5.  ggf. Wiedereinsetzung

„(hilfsweise) beantrage ich,

dem Beklagten Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist zu bewilligen.“

6. Weitere Anträge

Für einen Antrag auf Verweisung des Rechtsstreits an die Kammer für Handelssachen bzw. von dort an die Zivilkammer gilt ebenso wie für einen PKH-Antrag dasselbe wie in der Klageerwiderung.

7. Überleitungssatz zur Begründung

„In der Sache ist Folgendes auszuführen:“

8.Begründung

Wie in den anderen Schriftsätzen auch, verwendest du für die Begründung deiner Anträge den Urteilsstil.

a) ggf. Zulässigkeit des Einspruchs/Wiedereinsetzung

Ist die Einspruchsfrist abgelaufen oder musst du jedenfalls damit rechnen, dass das Gericht es so sehen könnte, musst du deine Auffassung begründen bzw. die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung darlegen.

„Der Einspruch ist zulässig. Die zweiwöchige Einspruchsschrift des § 339 Abs. 1 ZPO läuft noch, denn die Frist begann erst am … Erst an diesem Tag hat der Beklagte Kenntnis vom Versäumnisurteil erlangt (§ 189 ZPO). Der vorherige Zustellungsversuch konnte die Frist nicht in Gang setzen, denn die Zustellung war unwirksam. (…)“ oder

Zwar ist die Einspruchsfrist seit dem … abgelaufen. Dem Beklagten ist jedoch Wiedereinsetzung zu bewilligen, da er die Frist unverschuldet versäumt hat. (…)“

b) Verteidigungsmittel

Schwerpunkt des Schriftsatzes ist natürlich die Begründung des Antrags, das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

aa) ggf. Zulässigkeitsrügen

Bist du der Auffassung, dass die Klage bereits unzulässig ist, stellst du das – wie sonst auch – vor der Unbegründetheit dar.

bb) Unbegründetheit der Klage

Es folgen die Ausführungen dazu, warum du die Klage für unbegründet hältst. Auch hier kannst du dich an der Klageerwiderung orientieren.

Am Ende solltest du ggf. erläutern, warum der Mandant nicht gemäß § 344 ZPO die Kosten seiner Säumnis zu tragen hat.

c) Vollstreckungsschutz

Den Vollstreckungsschutz musst du vor allem dann ausführlich begründen, wenn die Einstellung ohne Sicherheitsleistung erfolgen soll.

9Unterschrift

Die Einspruchsschrift endet mit der Unterschriftenzeile.

10. Beispielsfall

Rechtsanwältin Ria Reimann, Glockengießerstraße 21, 23552 Lübeck

An das*Amtsgericht Lübeck(…)*

3 C 412/20

Einspruchsschrift

In der Sache, Kwiatkowski ./. Bulut,

„legitimiere ich mich für die Beklagte. Namens und im Auftrag der Beklagten lege ich gegen das zugestellte Versäumnisurteil vom 14. September 2020

Einspruch

ein.

Vorab beantrage ich,

die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil vom 14. September 2020 ohne, hilfsweise gegen Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen.

In der Sache werde ich beantragen,

das Versäumnisurteil vom 14. September 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Darüber hinaus beantrage ich hilfsweise, der Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Diese Anträge begründe ich wie folgt:

1. Der Einspruch ist zulässig.

a) Die Einspruchsfrist hat nicht bereits mit dem Einlegen in den Briefkasten am 19. September 2020 begonnen. Diese Art der Zustellung war unzulässig, weil es sich nicht um den Briefkasten zur Wohnung der Beklagten handelte. Die Beklagte befand sich vom 23. Juli 2020 bis zum 5. Oktober 2020 auf Weltreise. Folglich hatte sie ihren Lebensmittelpunkt am 19. September 2020 nicht unter ihrer Wohnanschrift.

b) Sollte das Gericht dieser Auffassung nicht folgen, liegen jedenfalls die Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor.

aa) Die Beklagte war ohne ihr Verschulden daran gehindert, rechtzeitig Einspruch einzulegen (§ 233 Satz 1 ZPO). Wie bereits erwähnt, befand sie sich für längere Zeit auf Weltreise. Sie hatte niemanden damit beauftragt, ihren Briefkasten zu leeren und erlangte deshalb auch erst nach ihrer Rückkehr am 5. Oktober 2020 Kenntnis von Klage und Versäumnisurteil.

Glaubhaftmachung: Eidesstattliche Versicherung der Beklagten (Anlage B 1)

Sie begab sich bereits am 6. Oktober 2020 in meine Kanzleiräume, was anwaltlich versichert wird. An diesem Tag war die Einspruchsfrist aber bereits abgelaufen, wenn man die Zustellung am 19. September 2020 für wirksam erachtet.

Die Beklagte war nicht verpflichtet, für die Zeit ihrer Abwesenheit dafür zu sorgen, dass Gerichtspost sie erreicht. Eine solche Pflicht könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn sie bereits vor ihrer Abreise mit Gerichtspost rechnen müsste. Das war aber nicht der Fall. Zwar trifft es zu, dass die Beklagte am 12. Juli 2020 in einen Verkehrsunfall mit der Klägerin verwickelt war. Hieran traf sie jedoch keine Schuld, wie unten gezeigt werden wird. Die Klägerin hat sich vor Ort auch mehrfach dafür entschuldigt, dass sie auf das Fahrzeug der Beklagten aufgefahren war.

Glaubhaftmachung: Parteivernehmung der Klägerin Eidesstattliche Versicherung der Beklagten (Anlage B 1)

Deshalb musste die Beklagte bis zu ihrer Abreise nicht damit rechnen, gerichtlich in Anspruch genommen zu werden. Es besteht kein Erfahrungssatz dahin, dass ein Unfallteilnehmer stets damit zu rechnen hätte, vom Gegner mit einem Prozess überzogen zu werden. Die Klägerin hat erstmals mit Schreiben vom 7. August 2020 Ansprüche gegen die Beklagte geltend gemacht.

Glaubhaftmachung: Parteivernehmung der Klägerin Schreiben vom 7. August 2020 (Anlage B 2)

Zu diesem Zeitpunkt war die Beklagte jedoch längst abgereist.

bb) Der Wiedereinsetzungsantrag erfolgt fristgerecht. Die Wiedereinsetzungsfrist hat erst am 5. Oktober 2020 begonnen, als die Beklagte nach ihrer Rückkehr das Versäumnisurteil vorgefunden hat.

2. Das Versäumnisurteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Klage ist unbegründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes aus §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB.

Die Beklagte bestreitet mit Nichtwissen, dass die Klägerin bei dem Unfall ein Schleudertrauma erlitten haben soll.

Jedenfalls scheitert der Anspruch am fehlenden Verschulden der Beklagten. Die Klägerin trägt die Beweislast für das Verschulden, da es sich hierbei um eine Anspruchsvoraussetzung handelt. Außerdem streitet für die Beklagte der Anscheinsbeweis, dass denjenigen, der im Straßenverkehr auf das vor ihm fahrende Fahrzeug auffährt, hieran die Schuld trifft. Ob das anders wäre, wenn die Beklagte ohne ersichtlichen Grund gebremst hätte, kann offenbleiben, denn so hat es sich entgegen der Darstellung der Klägerin nicht zugetragen. Vielmehr musste die Beklagte bremsen, weil ohne Vorwarnung ein E-Roller-Fahrer auf die Fahrbahn einbog. Ohne die schnelle Reaktion der Beklagten wäre dieser arg in Mitleidenschaft gezogen worden. Auch insoweit wäre es an der Klägerin zu beweisen, dass es nicht so war. Die Beklagte ist bereit, sich hierzu als Partei vernehmen zu lassen.

Unabhängig davon wäre ein Schmerzensgeld in Höhe von 3.000,00 Euro erheblich übersetzt. Die Klägerin müsste sich zumindest ein erhebliches Mitverschulden an der Entstehung des Schadens anrechnen lassen (§ 254 Abs. 1 BGB), weil sie offenkundig nicht den erforderlichen Sicherheitsabstand zum Wagen der Beklagten eingehalten hatte.

3. Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass die Beklagte nicht verpflichtet ist, die Kosten ihrer Säumnis nach § 344 ZPO zu tragen. Die Beklagte hat die mündliche Verhandlung am 14. September 2020 schuldlos versäumt. Die Ladung ging ihr während der Weltreise zu. Auf die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags wird verwiesen.

4. Die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil ist gemäß § 719 Abs. 1 ZPO ohne Sicherheitsleistung einzustellen. Auf die Ausführungen unter 3. wird Bezug genommen.“