Wie schreibe ich eine Anwaltsklausur im Zivilrecht? - Teil 3

Fortsetzung: Die Klägerklausur – Materielles Gutachten

Auch diese Woche setzen wir unsere Reihe rund um die Anwaltsklausur im Zivilrecht fort. Nachdem wir die folgenden Punkte bereits besprochen haben,

A. Begehr des MandantenB. Materielles GutachtenI. AufbauII. Zweistufiger Aufbau1. Welche Anspruchsgrundlagen führen zu der vom Mandanten gewollten Rechtsfolge?2. Ist schlüssiger Vortrag möglich?a) Welches sind die Anspruchsvoraussetzungen?b) Liegt ausreichendes Tatsachenmaterial vor?c) Können auch Nebenforderungen schlüssig dargetan werden?

sind wir im materiellen Gutachten bei der Frage, ob auch Nebenforderungen schlüssig dargetan werden können, stehengeblieben und führen unsere Gliederung nun mit dem nächsten Punkt fort:

3. Ist erheblicher Gegenvortrag zu erwarten?

Liegen sämtliche Anspruchsvoraussetzungen vor, musst du prüfen, ob eine Klage vielleicht trotzdem aussichtslos oder jedenfalls mit einem unvertretbaren Risiko verbunden ist, weil erhebliches Gegenvorbringen zu erwarten ist, das sich nicht ausräumen lässt.

Ein Beklagter kann zum einen den Tatsachenvortrag des Klägers bestreiten und zum anderen selbst Tatsachen behaupten, die eine Einwendung oder Einrede begründen.

a) Wird der Gegner Tatsachenbehauptungen bestreiten?

Häufig haben die Parteien bereits korrespondiert, bevor der Mandant erscheint. Die entsprechenden Schreiben findest du dann im Aktenauszug. Prüfe gründlich, ob sich aus ihnen Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Gegner Tatsachenbehauptungen des Mandanten in Abrede stellt.

Ist das der Fall, musst du prüfen, ob das Bestreiten auch in einem Prozess zulässig wäre. Dabei musst du vor allem das Bestreiten mit Nichtwissen nach § 138 Abs. 4 ZPO im Blick behalten.

„Die Mandantin hat ein Schreiben der Gegnerin vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass diese das Beschleunigungsproblem in Abrede stellt bzw. es auf unsachgemäße Bedienung des Fahrzeugs durch die Mandantin zurückführt. Sie bestreitet also die Mangelhaftigkeit des Wagens bei Gefahrübergang.“

b) Wird der Gegner Einwendungen und Einreden gegen den Anspruch erheben?

Finden sich im Aktenauszug Anhaltspunkte dafür, dass sich der Gegner auf anspruchshindernde oder -vernichtende Einwendungen bzw. rechtshemmende Einreden beruft, musst du prüfen, wie sich das auf die Erfolgsaussichten des Mandanten auswirkt.

„Aus dem Kaufvertrag ergibt sich ein Gewährleistungsausschluss. Auch wenn sich die Gegnerin in ihrem Schreiben an die Mandantin darauf nicht berufen hat, ist es wahrscheinlich, dass sie das in einem Prozess tun würde.“

aa) Sind die Einwendungen oder Einreden erheblich?

Behauptungen des Gegners zu Einwendungen und Einreden müssen zunächst erheblich sein, also überhaupt Auswirkungen auf die Erfolgsaussichten der Klage haben können. Hieran fehlt es bei sog. äquipollentem Vortrag.

Bsp.: Der Mandant begehrt nach Rücktritt vom Kaufvertrag die Rückzahlung des Kaufpreises. Der Gegner beruft sich auf seine Geschäftsunfähigkeit. Diese rechtshindernde Einwendung aus § 105 Abs. 1 BGB führt zwar zur Nichtigkeit des Kaufvertrages, so dass der Rücktritt ins Leere ginge, begründet aber zugleich die Voraussetzungen der Leistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB. Bringt der Gegner nichts weiter vor (bspw. Entreicherung), ist der Verweis auf die Geschäftsunfähigkeit unerheblich. Hierzu muss sich der Mandant allerdings dieses äquipollente Parteivorbringen jedenfalls hilfsweise zu eigen machen (BGH I ZR 150/15 Rn. 39).

„Der Gewährleistungsausschluss würde eine erhebliche Einwendung gegen den Anspruch der Mandantin darstellen. Greift er durch, besteht der Nachbesserungsanspruch nicht.“

bb) Sind die Einwendungen oder Einreden schlüssig?

Liegen Anhaltspunkte für erhebliche Einwendungen oder Einreden vor, musst du zunächst prüfen, ob der Gegner sie schlüssig vortragen kann. Ergeben sich aus den Unterlagen nicht für alle Voraussetzungen hinreichende Tatsachenbehauptungen, kommt es darauf an, wie wahrscheinlich es ist, dass der Gegner diese im Prozess vorbringen wird. Stellst du bspw. fest, dass der Anspruch verjährt ist, solltest du davon ausgehen, dass der Gegner auch die Einrede der Verjährung erheben wird.

„Es ist deshalb zu prüfen, ob sich die Gegnerin mit Erfolg auf den Gewährleistungsausschluss berufen kann. An der Vereinbarung besteht kein Zweifel. Sie ergibt sich aus der Kaufvertragsurkunde. Der Gewährleistungsausschluss könnte jedoch unwirksam sein. Gemäß § 476 Abs. 1 Satz 1 BGB kann sich bei einem Verbrauchsgüterkauf der Unternehmer vor Mitteilung eines Mangels nicht auf eine Vereinbarung berufen, die zum Nachteil des Verbrauchers u.a. von §§ 437, 439 BGB abweicht. Wie gezeigt, würde der Gewährleistungsausschluss dazu führen, dass die Mandantin kein Nachbesserungsrecht nach §§ 439 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 437 Nr. 1 hätte. Es wurde auch bereits dargelegt, dass es sich um einen Verbrauchsgüterkauf handelt. Die Gegnerin kann sich deshalb nicht mit Erfolg auf den Gewährleistungsausschluss berufen.“

cc) Kann sich der Mandant gegen die Einwendungen oder Einreden verteidigen?

In Bezug auf die Einwendungen und Einreden ist der Mandant in derselben Situation wie der Beklagte gegenüber der schlüssigen Anspruchsbegründung. Er kann also jetzt seinerseits die Tatsachenbehauptungen des Gegners bestreiten oder dagegen Einwendungen und Einreden vorbringen.

  • Bestreiten darfst du den Vortrag allerdings nur, wenn der Mandant ihn nicht ausdrücklich oder konkludent einräumt (§ 138 Abs. 1 ZPO).
  • Du musst prüfen, ob ein Bestreiten mit Nichtwissen reicht. Ist das nicht der Fall, kommt es darauf an, ob du dich auf ein einfaches Bestreiten zurückziehen kannst oder substantiiert bestreiten musst. Das hängt davon ab, wie konkret der gegnerische Vortrag ist. Sollte der Gegner bislang lediglich eine pauschale Behauptung aufgestellt haben, würde einfaches Bestreiten (Leugnen) grundsätzlich genügen, es sei denn, den Mandanten trifft eine sekundäre Darlegungslast.

Eine ausführliche Darstellung erfolgt im Rahmen der Beklagtenklausur.

  • Gegen-Einwendungen und -Einreden müssen schlüssig vorgebracht werden können. Beruft sich der Gegner bspw. auf Verjährung und ist die Verjährungsfrist rechnerisch tatsächlich abgelaufen, kommt es darauf an, ob zugunsten des Mandanten ein Hemmungstatbestand vorliegt (bspw. Verhandlungen über den Anspruch, § 203 ZPO).

4. Wird der Mandant die eigenen streitigen Behauptungen voraussichtlich beweisen können?

Zuletzt musst du prüfen, ob es im Prozess zu einer Beweisaufnahme kommen kann und ob der Mandant in diesem Fall hinreichende Erfolgsaussichten hat.

a) Gibt es streitige Tatsachen, für die der Mandant die Beweislast trägt?

Die Erfolgsaussichten hängen vorrangig von der Beweislast ab. Es ist deutlich schwieriger, einen Beweis zu führen, als ihn zu erschüttern. Auch hier musst du an die Möglichkeit einer Beweislastumkehr denken. Du darfst auch nicht vergessen, dass aus einer sekundären Darlegungslast des Gegners (bspw. für den Rechtsgrund im Rahmen eines Anspruchs aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB) keine sekundäre Beweislast folgt, sondern die Beweislast für die entsprechende Voraussetzung („ohne Rechtsgrund“) beim Anspruchsteller bleibt.

„Wie gezeigt, trägt die Mandantin als Anspruchstellerin zwar die Beweislast für die vom Gegner bestrittene Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs, nicht jedoch für die Ursache des Mangels und dessen Vorliegen bei Übergabe. Vielmehr ist es Aufgabe der Gegnerin, den Gegenbeweis zu führen, dass der Mangel erst nach Übergabe durch einen Bedienungsfehler des Mandanten entstanden ist (§ 292 ZPO).“

b) Müsste das Gericht Beweis erheben?

Nicht über jede streitige erhebliche Tatsachenbehauptung muss das Gericht Beweis erheben. Ist es gerichtsbekannt oder lässt es sich aus allgemein zugänglichen Quellen ermitteln, ob sie wahr oder unwahr ist, genügt diese Feststellung (§ 291 ZPO).

„Das Gericht müsste Beweis erheben. Das Beschleunigungsproblem am Fahrzeug der Mandantin ist weder bei Gericht bekannt noch lässt es sich aus allgemein zugänglichen Quellen ermitteln (§ 291 ZPO).“

c) Kann der Mandant Beweis antreten?

Ansonsten kommt es darauf an, ob der Mandant Beweis antreten kann. Auch das muss sich aus dem Aktenauszug ergeben.

„Allein mit der Vorlage des Kostenvoranschlages kann die Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs nicht bewiesen werden. Es handelt sich lediglich um ein Privatgutachten, das vom Gericht als (streitiger) Parteivortrag gewertet werden wird. Das Gericht wird zu dieser Frage jedoch ggf. ein Sachverständigengutachten einholen. Ein Beweisantritt ist hierfür nicht nötig (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO), kann aber auch ohne Weiteres erfolgen. Darüber hinaus könnte Beweis durch Benennung des sachverständigen Zeugen Müller angeboten werden.“

d) Wie ist die Beweisprognose?

Es ergibt keinen Sinn, sich im Prozess auf eine Beweisaufnahme einzulassen, wenn relativ klar ist, dass der Beweis nicht gelingen wird. Ein solches Vorgehen wäre mit einem unnötigen Kostenrisiko für den Mandanten verbunden und somit für einen Anwalt grundsätzlich pflichtwidrig. Die Beweisprognose stellt deshalb einen wichtigen Prüfungspunkt dar, der sich letztlich gar nicht so sehr von der Beweiswürdigung in einer Urteilsklausur unterscheidet.

aa) Ist das Beweismittel geeignet, das Gericht von der Richtigkeit der Tatsachenbehauptung zu überzeugen?

Aus sämtlichen Angaben, die dir der Aktenauszug liefert, musst du ermitteln, welche Überzeugungskraft das Beweismittel hat.

  • Hierzu muss es zunächst ergiebig sein, also die streitige Tatsachenbehauptung des Mandanten bestätigen.
  • Ein ergiebiges Beweismittel muss geeignet sein, das Gericht von der Richtigkeit der Tatsachenbehauptung zu überzeugen. Hier kommt es aber erst mal nur darauf an, ob du selbst schon durchgreifende Bedenken an der Glaubhaftigkeit der Angaben und/oder der Glaubwürdigkeit eines Zeugen hast.

„Fraglich ist, ob sich das Gericht durch die Beweisaufnahme eine Überzeugung von der Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs verschaffen kann. Einziger Anhaltspunkt hierfür ist der von der Mandantin eingeholte Kostenvoranschlag. Aus diesem ergibt sich allerdings hinreichend klar, dass der Wagen in den oberen Gängen kaum beschleunigt. Es spricht deshalb sehr viel dafür, dass auch ein Gerichtssachverständiger zu diesem Ergebnis kommt. Das verbleibende Risiko eines abweichenden Befundes erscheint vertretbar. Die Beweisprognose ist also positiv.“

bb) Könnte der Gegner den Beweis erschüttern?

Selbst wenn das Beweismittel ein Gericht überzeugen könnte, kann der Prozess verlorengehen, nämlich dann, wenn es dem Gegner gelingt, den Beweis zu erschüttern. Hierzu muss er das Gericht nicht vom Gegenteil der behaupteten Tatsache überzeugen, sondern es genügt, wenn er Zweifel an der Richtigkeit der Behauptung weckt.

Du musst also prüfen, ob sich Hinweise auf zulässige Gegenbeweismittel ergeben, und wiederum eine Beweisprognose anstellen.

„Weiterhin ist zu prüfen, ob die ernsthafte Gefahr besteht, dass die Gegnerin den Sachverständigenbeweis erschüttert kann. Hier gilt aber das zuvor Gesagte: Es ist wahrscheinlich, dass ein Sachverständiger das Beschleunigungsproblem zur Überzeugung des Gerichts feststellt. In diesem Fall sind aber keine Möglichkeiten der Gegnerin ersichtlich, das Gutachten zu entkräften.“

5. Wird der Gegner die eigenen streitigen Behauptungen voraussichtlich beweisen können?

Auch für die streitigen Behauptungen des Gegners musst du eine Beweisprognose nach den zuvor dargestellten Grundsätzen anstellen.

„Zu prüfen bleibt, wie wahrscheinlich es ist, dass die Gegnerin im Hinblick auf die Vermutung des § 477 BGB den Gegenbeweis führen kann. Dies wird sie nur durch ein Sachverständigengutachten erreichen können. Nach derzeitigem Stand lässt sich nicht einschätzen, worin die Ursache des Beschleunigungsproblems liegt. Gleichzeitig hat die Gegnerin außer dem pauschalen Verweis auf einen Bedienfehler nicht erläutert, was genau die Mandantin falsch gemacht haben sollte. Im Hinblick auf die Beweislast der Gegnerin ist es deshalb gut vertretbar, die Beweisaufnahme abzuwarten. Angesichts der damit verbundenen Kosten erscheint es jedenfalls nicht sinnvoll, zuvor ein Privatgutachten einzuholen.“

III. Ergebnis

Als Abschluss des materiellen Gutachtens fasst du deine Ergebnisse zusammen.

„Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Mandantin gegen die Gegnerin einen Anspruch auf Mangelbeseitigung nach § 439 Abs. 1 Alt. 1 BGB hat, dessen Voraussetzungen schlüssig vorgetragen und mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ggf. auch bewiesen werden können. Derzeit ist nicht zu erwarten, dass es der Gegnerin gelingen wird, die Beweisführung der Mandantin zu entkräften bzw. einen Gegenbeweis zu führen.“

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